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Les Flâneurs | Reeperbahnfestival 2013, Teil 2: Es findet sich schon etwas Passendes

Hundreds.

Eine Wasserpfütze hat sich unter dem Stuhl gebildet, über dem meine Hose zum Trocknen hing. So befreiend der kalte Regen am ersten Tag war, so gut er den unvergesslichen Abend im Imperial Theater umrahmte, mit umso schönerem Sonnenschein entlohnte mich Hamburg auf meiner Radfahrt zum zweiten Tag auf der Reeperbahn. Der stand unter dem Druck, irgendwie mit dem Mittwoch mithalten zu können, wurde aber insgesamt höchstens mittelmäßig. Erst am späten Nachmittag kam ich dazu, in letzter Minute noch etwas für den frühen Abend in meinem Festivalplan zu finden. Dabei hatte ich mich ja dagegen wehren wollen, dass es in Stress ausartet. Immer mit der Ruhe. Es findet sich schon etwas Passendes.


Fündig wurde ich aus zwei Gründen: Ich liebe die Prinzenbar sehr, dieses mit Stuck verzierte Kleinod eines gemütlichen Clubs in Kleingröße, und der bewerbende Vergleich des dort aufspielenden Briten Fyfe mit James Blake. Dessen übertrieben gefeiertes Debüt ging bis auf die großartigen Singles bei mir als sehr überschätzt unter. Erst der großartige Nachfolger „Overgrown" öffnete mir die Türen zu Blake, ging dafür aber in der Presse ziemlich unter, bedauerlicherweise. Warum Fyfe aka Paul Dixon mit Blake verglichen wird, wurde mir auch schnell klar. Der sehr sanfte, ohne Wertung gesagt: zeitgemäße Elektrosoul geht in eine ähnliche Richtung, entbehrt aber fast völlig der Schwere und Melancholie, die der 23-Jährige Dixon sicher allein wegen seines Alters (noch) nicht aufbringen kann. Aber vielleicht ist das auch ein Klischee. Sein 30-minütiges Set eignete sich hervorragend zum Warmwerden, schuf eine schöne Stimmung bei mir und dem entspannten Publikum. Im Moment war es zwar nur ein kleines Häppchen, aber hier ist noch etwas im Werden. Und auf Albumlänge und vielleicht in einigen Jahren wird der Brite sich sicher etablieren können.


Etabliert sind dagegen die Österreicher Naked Lunch schon lange. Es ist lange her, rund sechs Jahre, dass ich mich durch einen damaligen Klagenfurter Freund intensiver mit der Band beschäftigt habe. Dazwischen muss einiges passiert sein, bei ihnen wie bei mir. Bevor es losging nahm ich an meinem Lieblingsplatz im Knust, nebenbei auch meinem Lieblingsclub, Platz, auf der Treppe links vor der Bühne, die zum dieses Mal abgesperrten Balkon führt. Naked Lunch zogen lange nicht so viel Publikum an, wie von mir erwartet. Die Zeit bis zum Start vertrieb ich mir damit, Janine bei ihrem Festivaljob zu helfen. Für Fragebogen 16 von 50 beantwortete ich ihr brav, wie ich damals auf das Festival aufmerksam geworden bin, welche ich sonst noch so besuche, wie ich hergekommen und welchem Social-Media-Quatsch ich mich nicht entziehe, und so weiter. Begeistert empfehlen wir einander dann noch aufspielende Bands, ehe das zu krachige Set der Österreicher beginnt. Irgendwie hatte ich mir ihren auf Platte sehr bodenständigen Indierock live ähnlich differenziert gewünscht. Letztlich ging alles in übersteuerten Gitarren unter, der Countryeinschlag landete unter den Füßen des zu trampeligen Feedbacks. Schade drum, aber das Einzige, das hiervon hängenblieb, waren die herrlich lakonisch-sarkastischen Ansagen des Sängers/Gitarristen Oliver Welter. „Man, sind die alt geworden", raunt mir Janine zwischen zwei Liedern zu. Stimmt schon, macht aber nichts.


Wie sie die Männer fand, von denen sie großer Fan sei seit sie 16 ist, kann ich nicht mehr persönlich fragen. Ich muss rechtzeitig los für den Nachschlag Hundreds. Das traumhafte Set vom Vortag ging mir nicht aus dem Kopf, und die Verheißung, diese Show auf den edel-bequemen Stühlen der Fliegenden Bauten noch einmal zu bekommen, hätte mich jederzeit in Lichtgeschwindigkeit auf meine zwei Räder getrieben. Umso besser, dass mein zeitiges Kommen mit einem Platz in der Mitte der ersten Reihe belohnt wurde. Dieses Mal baute sich Eva Milner schon während des Intros mit einem Spiegel am vorderen Bühnenrand auf und reflektierte damit einen Lichtstrahl durch die Reihen des Theaterzeltes. Da dieses ein, wenn auch stabiles, aber eben dennoch ein Zelt ist, wummerten Philipp Milners Bässe noch kräftiger durch Mark und Bein als im Imperial Theater. Fast hätte ich es noch besser gefunden, sie auch einmal mit Stehplätzen sehen zu können, denn der technoide Neuling im Set ging mir Donnerstag so durch Mark und Bein, es hätte wohl einen der unmöglichen Momente gegeben, in denen ich ganz ohne Unmengen an Alkohol und den Zuspruch von Freunden getanzt hätte. Wie gut, dass ihr neues Album im Februar erscheint. Ich zähle bis dahin die Sekunden.


Für den Abschluss des Tages griff ich dann leider bei dem reichhaltigen Angebot daneben. Mir waren die Shout Out Louds immer sehr sympathisch und anhörbar in Erinnerung geblieben. Niedlicher Gitarrenpop ohne Ecken und Kanten. Das stimmt auch so, aber letztlich passte ihr Set in das Docks, in dem trotz stattlicher Größe immer lausig-stickig-warme Luft nervt. Bis heute habe ich fast kein einziges wirklich gutes Konzert in der Disco gesehen. Die Schweden reihten sich hier ein, ihr säuseliger Indiepop mit Feelgoodzwang langweilte mich schon nach zwanzig Minuten. Das im vorderen Saalteil sehr junge, im hinteren recht alte Publikum hatte jedenfalls seinen Spaß. Um nicht in die Rolle des „grumpy old Man" zu fallen, die ich gerne mal adaptiere, die mich aber eigentlich nicht im Kern trifft, muss ich sagen: Es ist gut, dass das Reeperbahnfestival auch diese Konzerte, diese „Crowdpleasers" bietet. Jene, bei denen Scharen an 1,62-Meter-Girlies mit Pferdeschwanz und modischem Strickpulli so ekstatisch hin und her wackeln und Esotänze aufführen, dass ihre wie Satelliten um sie kreisenden, weißen Handtaschen einen Rückstoßradius von einem halben Meter erzeugen. Bei denen junge Gymnasiasten mit den Händen nicht nachvollziehbare Gesten in die dicke Luft wedeln und die jede einzelne Zeile mitsingen, während sie simultan versuchen, sich und ihre halb so große Freundin adäquat für ein sharebares Kuss-Selfie einzufangen. Solche Konzerte machen in Trailer geschnitten sehr viel her und wer Spaß daran hat, dem sei er gegönnt. Bloß für mich war das nicht das Richtige. Da musste ich eben die entsetzten Blicke aushalten, die mir beim nach der Hälfte des Sets Herausschieben aus dem Docks entgegen geworfen wurden. Ich werde die Blockbuster einfach meiden, denn wie an Tag eins angemerkt; für mich geht es hier nicht um die Blockbuster. Das sollte mir auch selbst klar werden.

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