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„Symphonie Cinétique" in Berlin | Les Flâneurs

Schatten, Licht und der Alexanderplatz Von Michael Schock am 25. Juli 2013 um 10:03 Uhr

Der Alexanderplatz ist nicht der einladendste Ort Berlins. Das war mir schon vor der Lektüre des von mir tief verehrten „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin klar. Zwar litt ich beim ersten Betreten, damals auf Schulklassenfahrt, nicht unter Visionen herabstürzender Häuserdächer wie Romanprotagonist Franz Biberkopf. Aber die Betonwüste voll seelenloser Shoppingtempel und seltsam deplatzierter Skulpturen auf trostlos speienden Brunnen, an denen sich orientierungslos Touristen tummeln, hat nach wie vor einen gewissen urbanen Schrecken. Den Schrecken der Großstadt. Was passiert, wenn es Nacht wird, davon mag man gar nicht erst anfangen.


Wie eine Fata Morgana wirkt da der Kunstraum MADE in der Alexanderstraße 7. Im x-ten Bürokomplex aus Glas und Beton öffnet sich die Fahrstuhltür im neunten Stock derzeit zu einer deutsch/isländischen Gegenwelt, zumindest noch bis Ende Juli. Hier stellen Joachim Sauter und Ólafur Arnalds die „Symphonie Cinétique“ aus. Medienkünstler Sauter hat Lichtinstallationen geschaffen, die nebeneinander im abgedunkelten Raum Platz finden und in Form von reflektiertem Licht Tiefe schaffen. In einem Glaskasten etwa werden mehrere Reihen hintereinander aufgehängte Metallkugeln in verschiedenen Formationen gehoben und gesenkt. An anderer Stelle bewegt sich eine Taschenlampe über einem Perlenbett auf und ab, lässt das Funkeln des widergeworfenen Schimmers an der Decke tanzen. Schlicht sitzt dagegen eine metallene Panelkonstruktion an der Decke, die umso epischer Wellenbewegungen aus weißem Widerschein an die Wand wirft.


Der Part der akustischen Choreographie fällt dem isländischen Jungkomponisten Arnalds zu. Der hat für die Ausstellung ein Stück geschrieben, das wie sein restliches Werk wie speziell gemacht für Lichtinstallationen wirkt. Um ihn einem breiteren Publikum interessanter zu machen, wird gerne behauptet, dass er Popmusik mit Klassik mische. Eher trifft es hingegen der Term moderner Minimalismus. Geloopte, also wiederholte Klavierakkorde, ätherisch-flüchtige Synthieflächen und dann und wann anschwellende Streichersätze – kaum jemand ist so wie Arnalds ein Meister des schwerelosen Schwermuts. So ist es auch das einzige Manko der „Symphonie Cinétique“, dass das technische Surren der Hydraulik manches Mal die leisen Passagen der Musik übertönt. Unvermeidlich, aber es trübt dennoch nicht die schönste der Installationen. Alle sechs Minuten werden dreieckige Spiegelfragmente von der Decke heruntergelassen, deren goldene Reflektionen anschließend durch die stetigen Positionswechsel den Raum erst seinem Namen entsprechen lassen, einem MADE space, einem gemachten Raum für Licht und Musik, in mechanischer Brillanz verwoben. Der nächste Schritt hinaus auf den Alexanderplatz lässt dann die Realität wieder einbrechen. Und die Häuserdächer beginnen abzurutschen.

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