Michael Mosuch

Freier Journalist und Autor, Berlin

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Mercedes 300 SL Roadster - Zuerst beflügelt, das Ende ist offen

Im Stil der 50er Jahre: Die Legende 300 SL

Abgeleitet vom legendären Flügeltürer, gilt der Mercedes-Benz 300 SL Roadster heute als eines der schönsten klassischen Cabrios überhaupt und ist weltweit äußerst begehrt.

Die rennhistorischen Wurzeln des 300 SL Roadster

Viel, sehr viel ist über den 300 SL -gleich ob Flügeltürer oder Roadster- schon geschrieben worden. Soviel wie kaum jemals über ein anderes Fahrzeug, die weitere deutsche Sportwagen-Ikone Porsche 911 einmal ausgenommen. Deshalb möchten wir uns in diesem Beitrag einmal nicht auf die Karosserie des 300 SL mit ihren Flügeltüren fokussieren, sondern uns auf die rennhistorischen Wurzeln des 300 SL konzentrieren. Doch fangen wir einfach vorne an - denn die Entwicklung des 300 SL war in seiner offenen Form, als Roadster also, eigentlich gar nicht vorgesehen: der 300 SL war vielmehr als reiner Rennsportwagen (mit geschlossenem Dach) angedacht und konzipiert. 1951 wollte man in Stuttgart-Untertürkheim an die beachtlichen Rennerfolge der legendären Mercedes-Benz-Silberpfeile aus den 1930er Jahren anknüpfen. Unter der Gesamtleitung von Alfred Neubauer, der bereits in den 1930er Jahren als Leiter der Rennabteilung tätig war, begann man bei Daimler-Benz den Rennwagen W194 auf der motortechnischen Basis der etablierten Limousine 300 S (W186) zu entwickeln. Die Konstruktionsleitung übernahm Rudolf Uhlenhaut. Erste Probefahrten mit der Neuentwicklung auf der Stuttgarter Hausrennstrecke Solitude und auf dem Nürburgring waren recht vielversprechend.


Erste Rennerfolge

Das Fahrzeug wurde zunächst ausschließlich als reiner Rennwagen konstruiert und befand sich als W194 noch im Prototypenstadium, als man bereits 1952 wieder Erfolge im Motorsport feiern konnte: bei der 18. Auflage der Mille Miglia. In diesem Rennen, über 1.587 Kilometer Distanz auf öffentlichen Straßen ausgetragen und damals eines der bedeutendsten Rennen der Welt, sicherten sich die Mercedes-Benz-Werksfahrer Karl Kling und Hans Klenk den zweiten Platz im Schlussklassement. Es folgten noch im gleichen Jahr weitere bedeutende Siege.


Das Antriebsaggregat

Bei dem Motor mit der Werksbezeichnung M198, der ab 1953 im 300 SL in dessen noch immer einziger Version als reiner Rennwagen W194 eingesetzt wurde, handelt es sich um eine Entwicklung mit einem Alleinstellungsmerkmal im Fahrzeugmotorenbau: der M198 verfügt als erster Viertakt-Automotor über eine Benzin-Direkteinspritzung. Diese ist ein aus dem Flugmotorenbau stammendes und dort bereits bewährtes Konzept zur Gemischaufbereitung, das 1953 schon im Formel-1-Rennwagen W196 deutlich zur Leistungssteigerung beitrug und dies ab 1954 auch im 300 SL tun sollte. Im W188, dem Coupé-Ableger des "Adenauer-Mercedes", setzte man von 1955 bis 1958 ebenfalls Benzin-Direkteinspritzung ein. Diese neue Art der Gemischaufbereitung war damals zwar technisch innovativ, vom wirtschaftlichen Standpunkt des Herstellers her betrachtet aber keinesfalls ein Vorteil. Die Einspritzpumpe war sehr aufwendig zu fertigen und damit selbst für ein Fahrzeug der Luxusklasse wie den 300S zu teuer. Da man außerdem auch technische Probleme befürchtete, wechselte man später zurück zur ursprünglichen Saugrohreinspritzung. Lediglich für den hochpreisigen 300 SL blieb die Benzin-Direkteinspritzung aus Leistungsgründen erhalten. Erst Jahrzehnte später, gegen Ende der 1990er Jahre, sollte die Benzin-Direkteinspritzung im Rahmen des so genannten Downsizing erstmals weitflächig in Serienfahrzeugen eingesetzt werden: technisch entscheidend verfeinert und zusammen mit dem inzwischen entwickelten des so genannten Schichtladebetriebes und weiteren Entwicklungen wie der Lambdasonde dient sie seitdem weniger dem Ziel einer Leistungssteigerung als vielmehr der Kraftstoffeinsparung im Homogenbetrieb. Die Benzin-Direkteinspritzung ist damit heute ein wesentlicher Aspekt bei der Entwicklung moderner sparsamer und gleichzeitig leistungsstarker Ottomotoren.


Die Flügeltüren mussten sein

Der Einsatz von Flügeltüren beim 300 SL war keineswegs ein optischer Gag, sondern schlichtweg technische Notwendigkeit: unter der Karosserie des Fahrzeugs befindet sich ein Fachwerk aus Zug- und Druckstreben, welches einen komplexen Gitterrohrrahmen bildet. Dieser Gitterrohrrahmen sorgt für hohe Steifigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht: der gesamte Rahmen wiegt nur 50 kg. Die Karosserie ist systembedingt nicht selbsttragend. Ob das "SL" in der späteren Typenbezeichnung nun für "Sport Leicht" oder doch für "Super Leicht" steht, darüber streiten sich die Experten noch heute. Fest steht: Gitterrohrrahmen waren noch bis weit in die 1980er Jahre in der Formel 1 und bei Rennsportfahrzeugen sowie bei Sportwagen für Rundstrecken und Rallyes üblich, bis diese Konstruktionsweise schließlich durch das noch leichtere und gleichzeitig steifere Bauprinzip mit Kohlenstofffasern und anderen Verbundwerkstoffen abgelöst wurde. Im Motorradbau wird der Gitterrohrrahmen aber noch heute verwendet und ist dort Standard. Nachteil eines Gitterrohrrahmens ist im Automobilbau jedoch, dass dieser auch zur Seite Platz und auch einiges an Höhe beansprucht: konstruktiv eine Herausforderung für alle Fahrzeuge, die ein Dach haben und reglementbedingt Türen haben müssen. So kamen die Konstrukteure zu dem Entschluss, Flügeltüren in das Fahrzeug einzubauen: aus heutiger Sicht technisch wie optisch sicher nicht die schlechteste Entscheidung.


Der Wunsch, den erfolgreichen Rennwagen in einer Variante auch für den normalen Straßenverkehr tauglich zu machen, stammt der Legende nach von Max Hoffman, seines Zeichens in den 1950er Jahren der US-amerikanische Generalimporteur für Mercedes-Benz-Kraftwagen, die in die USA geliefert werden sollen. Im Vorstand in Untertürkheim gab man sich gegenüber Hoffmans Appell zunächst zögerlich, stimmte der Weiterentwicklung des Fahrzeugs aber schließlich zu. Im Februar 1954 präsentierte Mercedes-Benz die straßentaugliche Version des Flügeltürers als 300 SL W198 auf der International Motor Show in New York. Rund 1.400 Exemplare des W198 wurden gebaut und verkauft, fast alle davon ins Ausland und an wohlhabende Kundschaft. In Deutschland indes konnten sich einen 300 SL, so nun die offizielle Verkaufsbezeichnung, zum Preis von damals rund 29.000 DM die wenigsten leisten: ein Einfamilienhaus war kaum teurer, ein 1200er-Standard-Käfer kostete 3.950 DM, das Gehalt eines Angestellten lag Mitte der 1950er Jahre bei durchschnittlich rund 350 DM monatlich, das Arbeitsentgelt eines Arbeiters gar nur bei 320 DM - brutto.


1957 war Premiere für den Roadster

Viele 300 SL "Gullwing" gingen in die wirtschaftlich florierenden USA und dort meist ins sonnige Kalifornien. Unter den weit bis ins Dach gezogenen, konstruktionsbedingt allenfalls mit einer kleinen Schiebeluke zu öffnenden Seitenfenstern wurde es manchem 300 SL-Besitzer aber schon bald zu heiß. Da halfen auch die für die Serie ins Dach eingelassenen Entlüftungsschlitze (bei den vorherigen Rennversionen waren diese noch auf das Dach aufgesetzt) nur wenig. Der Ruf nach einer offenen Version des 300 SL "Gullwing" wurde lauter.


Hierfür waren einige teils weitreichende technische Veränderungen notwendig: Die ursprüngliche Konstruktion der unteren Züge des Gitterrohrrahmens wurde für den Roadster geändert, um einerseits die Steifigkeit des Rahmens erhalten und andererseits normale Schwenktüren in den Roadster einbauen zu können. Hinzu kam eine Eingelenk-Pendelachse mit Ausgleichfeder für die Führung der Hinterräder, die bei den 300er-Limousinen bereits eingeführt war und sich bei einer Zwischen-Evolutionsstufe der Rennversion auch im harten Renneinsatz schon bewährt hatte. Im 300er wie im 300 SL sorgte die Eingelenk-Pendelachse durch wesentlich geringere Spur- und Sturzänderungen beim Ein- und Ausfedern fortan für deutlich mehr Fahrstabilität, speziell in langen und welligen Kurven und Lastwechselsituationen.


Die Karosserie des werksintern W198 II genannten, 1957 erschienenen Roadster erfuhr abseits des Wegfalls der Flügeltüren nur leichte optische Retuschen: so wichen die 7 Zoll großen Rundscheinwerfer des Flügeltürers mit separaten Blinkern beim Roadster einem Ensemble mit Rundscheinwerfern für Abblendlicht und Fernlicht und oben liegenden Blinkern sowie rechteckigen Nebelscheinwerfern, alles unter einem gemeinsamen, aufrecht stehenden Scheinwerferglas. Für die US-Version des Roadsters wurden wegen der dortigen Zulassungsvorschriften ebenfalls 7-Zoll-Rundscheinwerfer in leicht veränderter Form eingesetzt. Die seitlichen Kiemen in den vorderen Kotflügeln sowie die lang gestreckten eleganten Kotflügelabdeckungen, die schon beim 300 SL in seiner geschlossenen Darreichungsform zur charakteristischen Seitenlinie beitrugen, blieben indes erhalten und verleihen auch dem 300 SL Roadster ausgeprägte optische Eleganz. Serienmäßig war das Fahrzeug mit einem Roadster-Stoffverdeck in Wunschfarbe passend zur Außenfarbe ausgestattet, das sich in geöffnetem Zustand elegant unter einem Deckel verbirgt. Ein Hardtop war für den W198 II auf Wunsch ebenfalls lieferbar. Am 8. Februar 1963 war auch beim Roadster nach 1.858 Exemplaren Schluss - der letzte gebaute Wagen verließ das Werk in Untertürkheim. Der Rest ist SL-Geschichte.


Fahrleistungen

Die Fahrleistungen des 300 SL beeindrucken sowohl in der geschlossenen wie in der offenen Variante auch heute noch: der trockensumpfgeschmierte M198 leistet bei 2.996 ccm Hubraum 215 PS, beim Roadster gab es auf Wunsch und gegen Aufpreis auch 240 PS - der Käfer brachte es zu der Zeit auf maximal 30 PS. Je nach Getriebe (es gab verschiedene Hinterachsübersetzungen ab Werk zur Wahl) sind mit dem 300 SL Geschwindigkeiten von bis zu 260 km/h möglich, den Spurt von 0-100 km/h legte ein 1955er 300 SL als Neufahrzeug seinerzeit in 9,3 Sekunden hin. Eine deutsche Autozeitschrift wiederholte die Messung im Jahre 2015 mit einem 1955er Modell: hier stoppte die Uhr sogar schon nach 7,2 Sekunden.


SL 300 Roadster heute kaufen

Der Mercedes-Benz 300 SL Roadster ist heute eines der begehrtesten historischen Fahrzeuge und eines mit der höchsten Wertsteigerung überhaupt. Im Jahre 1999 wurde der Fahrzeugtyp 300 SL von einer aus 50 Motorjournalisten bestehenden Jury mit dem Titel "Sportwagen des Jahrhunderts" prämiert - eine Auszeichnung, die naturgemäß nicht allzu viele Fahrzeuge für sich verbuchen können. Noch heute steht der Begriff "SL" in der aktuellen Mercedes-Benz SL-Klasse für hohes Image und besondere Exklusivität. Die Restaurierung eines originalen 300 SL W198/W198 II lohnt sich angesichts der bisherigen Wertentwicklung des Fahrzeugtyps in jedem Fall. Selbst Exemplare mit gravierenden Unfallschäden oder verschollen geglaubte und sehr selten noch als "Scheunenfund" wiederentdeckte Fahrzeuge werden wieder aufgebaut.


Der auf den Fotos zusammen mit seiner volksnäheren Ableitung, dem 190 SL, gezeigte SL 300 Roadster steht zum Verkauf. Es wurde ursprünglich in der Originalfarbe DB040 Schwarz und cremefarbenen Sitzen ins kalifornische San Francisco ausgeliefert. Mit Auslieferungsdatum 11.11.1957 gehört es zu den ersten Exemplaren seiner Serie. Das Fahrzeug wurde in den 1990er Jahren durch Paul Russell teilrestauriert. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde das Fahrzeug von Jürgen Kassen im Jahre 2013 umfangreich überholt und ist seitdem Teil einer deutschen Sammlung. Der hohe Sammlerwert und die automobilhistorische Bedeutung sowie die voraussichtlich mögliche weitere Wertentwicklung machen einen 300 SL Roadster W198 II zu einer attraktiven rollenden Wertanlage.


Text: Michael Mosuch / Bilder: Kestenholz Classic Center Freiburg
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