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Er trommelt nicht mehr

Am 13. April starb der deutsche Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Ein Spaziergang durch seine Geburtsstadt Danzig. 

Zugegeben: Oskar Matzerath kann diese Szenerie nur mit Unbehagen über sich ergehen lassen. Einsam sitzt er auf seiner Parkbank; sie ist umgeben von Müll, Unkraut sprießt aus dem Kopfsteinpflaster, es riecht nach Hundekot. Aus dem Nichts tauchen drei deutsche Touristen auf, begeben sich zu ihm, posieren, streicheln sein bronzenes Knie. Am liebsten würde er wohl aufspringen, ihre Brillengläser zerschreien und mit lautem Trommelwirbel davonrennen. Doch Vandalen haben ihm seine Trommelstöcke abgebrochen; seiner einzigen Waffe beraubt, ist er nun zum ewigen Sitzen verdammt.

Es ist der erste Sonntag nach Günter Grass’ Tod. Trostlose Stille liegt über dem Danziger Vorort Langfuhr, dem heutigen Wrzeszcz. Doch nicht nur er selbst ist hier geboren und aufgewachsen; Langfuhr ist auch die Heimat der Helden seiner „Danziger Trilogie“, jener drei Bücher, mit denen Grass in den 1950er und 60er Jahren zum bedeutendsten deutschen Nachkriegsautor aufstieg. 

„Der Stadtteil lebt heute von der Erinnerung an Günter Grass“, meint Ewelina Rogala. Die Polin hat ihr Germanistikstudium in Danzig vor kurzem mit einer Masterarbeit über Grass abgeschlossen und führt heute durch die Heimatstadt des Literaturnobelpreisträgers. „Hier geht es zu Grass’ Elternhaus“, sie weist auf den Labesweg 13, einen scheinbar frisch renovierten dreistöckigen Wohnblock, der aus der sonst grauen Häuserzeile hervorsticht. Im Erdgeschoss hatte die Familie einen Kolonialwarenladen, im darüber liegenden Stock lebten sie zu viert in beengten Verhältnissen. Im Labesweg wurde nicht nur Grass selbst groß, auch Oskar Matzerath wuchs hier auf, bekam hier seine Blechtrommel und entschied an seinem dritten Geburtstag, sein Wachstum einzustellen. Grass lässt in seinem Roman immer wieder die eigene Vergangenheit mit der Kindheit Oskars verschwimmen: So führen Spuren vorbei an der Pestalozzischule, die Grass besuchte und die er Oskar nur einen einzigen Tag besuchen lässt, durch den Park, in dem 2002 die Stadt eine Sitzbank mit dem kleinen Oskar aufstellte, hin zur Herz-Jesu-Kirche, in der Grass getauft wurde und in der Oskar versucht, die Jesusfigur zum Trommelspielen zu zwingen.

„Die Blechtrommel“, sagte Grass einmal, sei „ein Versuch, ein Stück endgültig verlorene Heimat festzuhalten.“ Danzig wurde 1945 stattdessen zur neuen Heimat für die in die vollkommen zerstörte Stadt kommenden Polen. Von der einst prachtvollen Hafenstadt blieb nur noch ein Trümmerfeld; an die deutsche Vergangenheit wollte sich in den folgenden Jahren niemand erinnern. „Erst mit Günter Grass begannen die Danziger, sich wieder als Danziger zu fühlen“, findet Anna Kowalewska-Mróz. Er habe der Stadt dabei geholfen, ihr „ein Stück Identität zurückzugeben.“ Auch sie hat sich in ihrem Germanistikstudium mit Grass beschäftigt, promoviert nun über ihn und ist Mitglied der Günter-Grass-Gesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Grass in Danzig und Polen populärer zu machen.  

Die Innenstadt Danzigs wurde nach dem Krieg im Renaissancestil wiederaufgebaut und zählt zu den schönsten in ganz Polen. Neben weiteren Spuren aus Grass’ und Oskars Leben spaziert man hier an der Günter-Grass-Galerie vorbei, vor deren Eingang die vom Autor selbst geschaffene Skulptur eines Butts in die Höhe ragt. In der Galerie eröffnete vergangene Woche eine Sonderausstellung, die Grafiken und Zeichnungen des Dichters zeigt. „Besonders die Danziger waren tief getroffen von Grass’ Tod“, berichtet Rogala. In Tageszeitungen wurde ausführlich an sein Leben erinnert, im Radio aus seinen Werken vorgelesen, im Fernsehen gab es Sondersendungen.

Das war nicht immer so: 2006, nach seinem Bekenntnis, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, gab es Stimmen, die forderten, ihm die Danziger Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. „Umfragen zeigten aber, dass eine deutliche Mehrheit dagegen war“, ergänzt Kowalewska-Mróz. Stattdessen kam Grass in den letzten Jahren immer wieder in seine Heimatstadt, gab Lesungen und nahm an Diskussionsrunden teil. Als die Parkbank anlässlich seines 75. Geburtstags eingeweiht wurde, sollte der Autor selbst als Bronzefigur neben seiner bekanntesten Romanfigur sitzen. Doch Grass protestierte: So lange er noch lebe, wolle er kein Denkmal von sich sehen. Jetzt könnte die schon fertiggestellte Figur wieder hervorgeholt werden und ihren vorgesehenen Platz einnehmen. Oskar Matzerath wäre damit sicherlich geholfen.
 
http://www.ruprecht.de/?p=8055

Veröffentlicht am 11. Mai 2015