Keine Abos und 5 Abonnenten
Artikel

Koran-Experte Tarif Khalidi: Der Islam muss reformiert werden

Beirut. Der Islam muss nach Meinung des arabischen Historikers und Koran-Experten Tarif Khalidi dringend reformiert werden. «Es bedarf einer ganz neuen, ins 21. Jahrhundert passenden Interpretation des Korans», sagte Khalidi. Der Wissenschaftler lehrt als Professor an der Fakultät für islamische und arabische Geschichte an der Amerikanischen Universität von Beirut im Libanon. Nach Meinung Khalidis darf etwa die Scharia nicht als Gesetzbuch gesehen werden, sondern lediglich als Zusammenfassung rechtlicher Traditionen.

Auch für Frauen müsse sich vieles ändern. «Die Stellung der Frau ist schrecklich», sagte er: «Ich wache manchmal morgens auf und denke, Gott sei Dank hat Gott mich als arabischen Mann geschaffen und nicht als Frau. Diese Ungerechtigkeit würde mich töten.» So müsse es etwa in Sachen Erbrecht radikale Neuinterpretationen geben. Nach islamischem Recht erben Frauen weniger als Männer. Der Universitätsprofessor betonte: «Wenn man den Koran liest, findet man viele Stellen, die die absolute Gleichheit von Mann und Frau geltend machen.»

«Mein Traum wäre ein Komitee aus je drei repräsentativen muslimischen gelehrten Männern und Frauen - als unser Pendant zu Martin Luther und Hannah Arendt - die eine moderne Koran-Erläuterung erarbeiten», führte der Wissenschaftler aus, der sich selbst als «muslimischer Abweichler» bezeichnet. Jede Religion brauche Abweichler, sagte Khalidi, der Schriften über den Propheten Mohammed, den muslimischen Jesus und die Kultur des klassischen arabischen Islam verfasst hat. «Die Mitglieder des Komitees müssen sich grundsätzlich einig sein, dass der Text des Korans nicht wortwörtlich und endgültig ist, sondern dass man ihn interpretieren kann», sagte der Professor.

Vor einer umfangreichen Reform des Islam müssten sich die Muslime nach Meinung Khalidis aber der Terrororganisation «Islamischer Staat» (IS) entgegenstellen. «Der arabische Nahe Osten war einst ein Mosaik aus verschiedenen Religionen», sagte er. Der IS habe dieses Mosaik auf schreckliche Weise zerstört, indem er Christen, Jesiden, Juden und Schiiten angegriffen habe: «Das ist ein gewaltiges Verbrechen.» (epd)

Zum Original