Interkulturell, inklusiv und generationenübergreifend - gleich mehrere Ziele hat sich der Verein "zusammen leben" für sein Projekt gesteckt. In einem Freiburger Garten begegnen sich Menschen mit Behinderung, Geflüchtete, Zugezogene und Einheimische. Nicht nur Tomaten und Beeren gedeihen hier, sondern auch Freundschaften.
Die Herbstsonne glimmt orange-gelb in den Garten. Hinter dem Zaun liegt der autofreie Stadtteil Vauban, an den sich der Dorfbach schmiegt. Alles hier wirkt kunterbunt. Die Kornblumen, die Hängematten, und auch die Menschen. Der Gemeinschaftsgarten im Süden Freiburgs wächst und gedeiht.
Als der Verein „zusammen leben" im Juni 2016 die Fläche pachtete, diente sie noch als Pferdekoppel. Ein Gartenjahr später gleicht das Grundstück einem farbenfrohen Paradies. Auf der Fläche, etwa so groß wie ein halbes Fußballfeld, entstanden Parzellen mit Pilzen, Beeren, Kräutern und Stauden. Die meisten Beete werden gemeinschaftlich genutzt und gepflegt - von etwa 130 Menschen aus 16 Nationen, darunter auch einige Geflüchtete.
Die Freiburgerinnen Stefanie Koch und Johanna Dangel betreuen das Projekt. „Wir möchten hier einen Ort der Begegnung schaffen, in dem niemand ausgeschlossen wird", erzählt Johanna. Rollstuhlgerecht und ohne sprachliche Barrieren soll der Garten sein. Im Holzschuppen hängen aus diesem Grund über den Geräten - zum Beispiel über dem Rechen und dem Spaten - beschriftete Bildchen mit dem richtigen Begriff.
Die Komposttoilette bekommt eine Rampe, damit auch körperlich Beeinträchtigte sie benutzen können. Jeder soll die Möglichkeit haben, sich einzubringen. „Uns ist bewusst, dass jeder Mensch unterschiedliche Ressourcen hat", sagt Johanna. Und trotzdem könne man voneinander lernen und Spaß haben. „Wir sehen in der Vielfalt eine Bereicherung, nicht eine Belastung", sagt die 35-Jährige.
Urs Bürkle sieht das genauso. Er und seine Frau kommen häufig mit ihrer Tochter Franca in den Garten. Die 15-Jährige hat das Angelman-Syndrom und beherrscht unter anderem keine Lautsprache. Die Menschen hier wissen das und haben gelernt, trotzdem mit ihr zu kommunizieren, mit Händen und Füßen. Beim Betreten des Grundstücks grüßt Franca immer als eine der Ersten. Dann tippt sie den Besucher auf die Schulter und lacht.
Gerade sitzt sie gemütlich in einer der Hängematten und lässt die Füße baumeln. „Wir freuen uns, dass sie im Garten mit Menschen in Kontakt kommt", sagt ihr Vater. Im Alltag seien behinderte Menschen selten so gut integriert. „Wir müssen mehr tun, dass Vielfalt eine Selbstverständlichkeit wird." Er wünsche sich eine Gesellschaft in der es völlig normal ist, auf Menschen wie Franca zu treffen.
Herbert Brück, ein Physiotherapeut mit Ziegenbart und Baskenmütze, ist heute zum ersten Mal in den Garten gekommen und packt gleich mit an. Gemeinsam mit Francas Vater entrindet er einen Stamm aus Robinienholz, für die Rampe zum Klohäuschen. „Der Garten ist genial", sagt er, „ich will gar nicht mehr weg." Auch an der Komposttoilette wird fleißig gearbeitet. Haytham, ein 28-jähriger Palästinenser, schnitzt an der Holztreppe. Jeder bringt sich dort ein, wo er kann.
Um die Männer herum toben die Kinder. Einige Jungs hocken neben der Kräuterschnecke in Gummistiefeln im Lehm, ein paar Mädchen stehend kichernd vor dem Kompost. „Wir spielen Baseball!", erklärt Marla, die gerade versucht, verdorbene Eier mit dem Stock auf den Kompost zu klatschen. Kurz darauf spritzen Dotter und Eiweiß in alle Richtungen. Auch Ghaderi Sajad ist mit seinen Kindern hier. Seine Familie bewirtschaftet eine eigene kleine Gartenparzelle auf dem Grundstück. Mit grünen Handschuhen zupft der Afghane dünne Tomatenstauden aus dem Boden. „Sind leider kaputt gegangen", sagt er in klarem Deutsch. Der Afghane floh vor zwei Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Seitdem leben sie in einer nahegelegenen Flüchtlingsunterkunft. Zu viert, in einem Zimmer. „Laut, ungemütlich und eng ist es da." Für ihn sei der Garten eine Oase der Ruhe. „Und hier treffe ich Menschen", sagt er, und tiefe Lachfalten graben sich in sein Gesicht.
Die Idee zu dem Gemeinschaftsgarten schwelte bereits jahrzehntelang im Kopf des Garteneigentümers, erzählen Johanna und Stefanie. „In der Emotionslage der Willkommenskultur brachte er uns dann an einen Tisch." Und damit das Projekt ins Rollen. Wie aus der Koppel ein Paradies wurde, erlebte er leider nicht - er starb noch im Winter. Der Verein trägt seine Idee weiter. „Ich kann meinen Traum leben", sagt Stefanie. Die Landschaftsplanerin hat noch viele Visionen. „Der Garten bleibt soziales Zentrum, aber wir könnten ruhig noch etwas expandieren", sagt sie, und zeigt über den Zaun. „Dort könnten doch noch ein paar Hühner leben!" Ein sogenanntes Geodom, ein geodätisches Gewächshaus, haben sie diesen Sommer schon gebaut. Die Kuppel hält alle im Regen trocken, und abends warm. Im Herzen des Grundstücks lodern am Mittag Flammen über einer Feuerstelle. Hier wird gekocht, was der Garten hergibt. Heute köcheln eine Kürbis- und Kartoffelsuppe in den Feuertöpfen. Jemand spendierte selbst gebackenes Brot, daneben steht eine Schale mit frischem Hummus. Drum herum stapeln sich Schüsseln. Als es anfängt zu duften, lassen die meisten ihre Arbeit liegen, versammeln sich um den Tisch und löffeln gemeinschaftlich ihre Suppe. Rechen und Spaten lehnen jetzt erst mal an den Wänden. Der Garten ist ja auch zum Ruhen da.