Seinen Barbershop dürfen nur Männer betreten. Hier gibt es scharfe Messer, kaltes Bier und alten Whisky. Jo Blatter aus dem badischen Lichtenau hat sich einen Traum erfüllt.
Die Männeroase liegt im badischen Lichtenau in der Pfarrgasse, gegenüber vom Rathaus, mitten im ländlichen Idyll. Hier hat Jo Blatter eine Barberstub im 20er-Jahre-Stil eröffnet. Ein Herrensalon in dunklem Holz. Es gibt scharfe Messer, kaltes Bier und Whisky. An der Wand posiert ein Model in Spitzenhöschen. Hierher kommen der Bürgermeister, der Dorf-Punk und der Landwirt zum Abspannen. Jo Blatter lehnt an der Tür und zeigt sein 16-Quadratmeter-Reich aus Rock 'n' Roll, Pomade, und Bartwachs.
Herr Blatter, erzählen Sie Ihre Geschichte!
Ich bin 28 Jahre alt und bin hier in Lichtenau geboren. 2003 habe ich in Bühl eine Ausbildung zum Friseur gemacht, anschließend bin ich nach Stuttgart gezogen und habe in Zuffenhausen in einem Salon gearbeitet und mit einem Kumpel in einer WG gewohnt. Irgendwann hat's mich wieder zurück in die Heimat gezogen. Hier hatte mein Großvater Fritz schon 1924 ein Friseurgeschäft für Herren. Als er 1959 starb, wurde der Laden vermietet, bis mein Vater in seine Fußstapfen trat. Vor 25 Jahren zogen meine Eltern dann in unseren heutigen Salon. Heute führt meine Mutter das Geschäft. Im vergangenen Mai haben dann mein Vater und ich im ehemaligen Büro des Salons die Barberstub eröffnet. So richtig wie in den 20er Jahren. Hier lassen wir die alten Zeiten meines Opas wieder aufleben.
Es sieht tatsächlich ein bisschen so aus wie vor hundert Jahren.
Erst wollte ich ja ein Durcheinander machen, so dass alles im Laden ein bisschen zusammengeklaut aussieht. Den Vorschlag eines Kumpels, die Stub so Old School einzurichten wie einen populären Barbershop in Rotterdam, den fand ich erst mal scheiße. Am Ende war ich aber doch überzeugt. Die Einrichtung stammt zwar nicht aus dem Originalbestand meines Opas, ist aber trotzdem richtig alt. Das Friseurmobiliar aus Massivholz ist beispielsweise von 1920 und verstaubte bei einem Elsässer Antiquitätenhändler im Hinterzimmer. Nur die Spiegel und die Waschbecken haben wir neu reingemacht. Die Schwarz-Weiß-Fotos, die an den Wänden hängen, sind alle aus unserem Familienalbum, aus dem meiner Groß- und Urgroßeltern. Und ich habe uns original Lichtschalter aus Omas Zeiten besorgt, auch die Steckdosen sind aus Porzellan wie früher. Nur der Plattenspieler ist lediglich auf alt getrimmt. In Wahrheit hat er sogar Bluetooth. Den Rest habe ich mir von Flohmärkten zusammengesucht.
Wie kamen Sie zu der Idee mit der Barberstub?
Der Gedanke, dass ich in dem kleinen Raum etwas machen möchte, war schon lange da. Die Frage war dann, was und wie genau. Erst war es ja ein Büro und dann hatte meine Schwester hier drinnen ein Nagelstudio. So ein richtiger Mädelsladen. Als sie dann auszog, wollte meine Mutter ein Hochzeitszimmer einrichten - einen Raum nur für die Braut, zum Haare hochstecken und so. Aber als ich dann mit dem Vorschlag kam, hier einen Barbershop zu eröffnen, war meine Mutter begeistert. Ich zeigte ihr Bilder von dem bereits erwähnten Barbershop in Rotterdam, dem Schorem. Und sie meinte „Yeah, das machen wir! Das ist besser als ein Hochzeitszimmer!" Dann haben wir den Raum renoviert. Es folgten viele Kämpfe, bis alle zufrieden waren. Wir haben oft über Geld gestritten, was wir uns leisten wollen und was nicht.
Warum waren die Barberstuben so lange von der Bildfläche verschwunden?
Irgendwann konnte man davon nicht mehr leben. Erst heute kann man wieder etwas Geld für Schnitt und Rasur verlangen, weil es als kultig gilt, einen Barbershop zu besuchen. Vor dem Krieg war es normal, dass Männer zum Barbier gingen und Frauen sich zu Hause frisierten. Männer haben Männern die Haare geschnitten, so wurde es mir jedenfalls erzählt. Na ja, irgendwann wurden die Männer eingezogen oder lagen unter der Erde. Dann haben die Frauen das Handwerk übernommen.
Nun gibt es einen entgegengesetzten Trend?
Ja, die Männer wollen ihren Platz zurückerobern. Das sieht man auch
daran, dass viele wieder ein Herrenzimmer im Haus fordern – einen Raum,
in dem sie Whisky trinken und rauchen dürfen oder zocken und TV-Serien
gucken. Ich selbst wohne mit meiner Freundin zusammen in einem Haus und
habe mit dem Wintergarten ein eigenes Reich. Dort stehen Gin und Bier,
eine Spielkonsole und ein Flachbildschirm, und einmal die Woche kommen
meine Kumpels in den Wintergarten. Da darfst du noch rülpsen, ohne
schief angeguckt zu werden.
Helfen Sie im Haushalt mit?
Klar. Solange ich nicht putzen muss, ist alles in Ordnung. Zu meiner
Freundin sage ich immer: „Wenn du nicht putzen willst, dann holen wir
uns eben eine Putzfrau.“ Aber ich sauge manchmal Staub und mache auch
mal das Bad. Und ich koche sehr gerne.
In Ihrer Barberstub herrscht ein striktes Frauenverbot. Warum?
Klar, die Barberstub darf keine Frau betreten, solange ein Kunde da
ist! Schließlich werden hier Männergespräche geführt. Wir reden über
alles. Über Politik, über Beziehungen, übers Saufen, Partys und so Zeug.
Natürlich auch über Frauen, geteiltes Leid und so. Jeder hat dieselben
Probleme daheim, da ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Deswegen
reden wir im Herrensalon ohne die Frauen darüber. Wir reden natürlich
nicht nur schlecht über sie. Fest steht: hier darf ein Mann noch Mann
sein! Für die Kerle ist das ein besonderes Feeling. Sie hocken hier
drinnen, werden geschnitten, rasiert, und du merkst richtig, wie sie
sich immer geiler finden. Für sie ist der Blick in den Spiegel ein Kick.
Wie läuft ein Besuch in der Barberstub ab?
Also mit Schnitt und Rasur ist man so eine Stunde bei uns. Es läuft
Rock ’n’ Roll, und der Kunde kriegt erst mal ein Bier oder ein Glas
Whisky in die Hand. Das ist in so einem Gesamtpaket mit drin. Trinken
können die Kunden dann, so viel sie wollen. Gut, wären wir in der Stadt,
dann müssten wir das sicher anders regeln. Dort fährt man ja Bahn oder
Bus, und dann könnten die in einer Stunde sicher mehrere Bier
wegpressen. Für die Männer ist das hier die totale Entspannung. Die
finden es gut, dass es so was gibt.
Was sind das für Männer, die zu Ihnen kommen?
Das sind Gleichgesinnte. Die bringen Zeit mit und wollen abspannen.
Zwischen dem elfjährigen Buben und 80-jährigen Greis ist alles dabei.
Aber die meisten sind so um die 25 Jahre alt. Die Männer kommen von
überall her. Ein Kunde ist Bundeswehrsoldat und beim Eurokorps in
Straßburg stationiert und fährt öfters hierher. Andere kommen aus
Freiburg, aus Baden-Baden und Karlsruhe. Aber es kommen auch Leute aus
dem Ort, aus allen Ecken der Gesellschaft. Der Bürgermeister besucht
mich, aber auch Landwirte kommen. Und Leute, von denen ich nie dachte,
dass sie sich so was gönnen und leisten wollen. Ein Punk zum Beispiel,
der kommt manchmal ganz versoffen her und genießt das Umfeld einfach.
Und dann erfährt man nebenbei, dass der Punk ein Haus hat, das er gerade
abbezahlt. Ein netter Typ.
Was ist gerade modisch angesagt?
Die Schnitte, die hier gefragt sind, sind Rockabilly, also aus den
50er Jahren. Die meisten wollen den Scumbag Boogie – eine Tolle mit
rasiertem Scheitel. Es wird wieder kräftig Pomade benutzt, schmieriges
Fett, das man sich in die Haare streift, damit es glänzt.
Echte Männer tragen jetzt wieder Bart, oder?
Tatsächlich versuchen viele, sich einen Bart wachsen zu lassen. Ich
glaube, das ist derzeit der größte Kampf der Männer zu Hause: Vielen
Frauen gefallen diese Rauschebärte nicht, und sie verbieten sie. Andere
Männer, die schon länger einen Vollbart tragen, wollen sich dagegen von
dem Trend wieder abheben und tragen jetzt Schnauzer. Die ganz Mutigen
wichsen sich den Schnauzer hoch. Am Ende muss das ja nicht der Frau
gefallen, sondern ihm. Er muss sich wohlfühlen. Der Bart ist
Männersache.
Im vorletzten James Bond, im Film „Skyfall“, rasiert Moneypenny 007
die Bartstoppeln ab – mit einem klassischen Rasiermesser. Angeblich gab
es danach einen Barbier-Boom.
Ja, mein Vater hat mir erzählt, dass zu der Zeit öfters ein Kunde
gefragt habe, ob er nass rasieren könne und ob er dieses Handwerk der
Ehefrau des Kunden beibringen könne. Da hatten wir den Barbershop noch
gar nicht im Kopf.
Wie lernt man denn dieses Handwerk?
In der heutigen Friseurausbildung habe ich das Nassrasieren kaum
gelernt, vielleicht mal rasieren am Luftballon. Mein Vater hat mir dann
an einem Holzkopf gezeigt, wie man abzieht, also in welcher Reihenfolge
ich die Haare nehmen muss. Dann mussten meine Kumpels zu mir nach Hause
kommen und herhalten. An ihnen habe ich geübt. Ich dachte, ich kriege
das nicht hin bis zur Eröffnung meines Ladens. Ich habe zur Sicherheit
noch einen speziellen Barbier-Kurs gemacht. Natürlich könnten wir nun
mit alten Klingen rasieren, aber wir arbeiten mit Einmalklingen, die
lediglich so aussehen wie die alten. Mit einer Wechselklinge drinnen,
die sind einfach sauberer und schärfer.
Gibt es einen No-go-Bart?
Auf jeden Fall: der Hitler-Bart.
Wie soll es für Sie weitergehen?
Ich habe noch keine genauen Vorstellungen, genieße erst mal den
Moment. Dass meine Barberstub so gut läuft, wie sie gerade läuft, hätte
ich kaum zu träumen gewagt. Ich hatte schon die Befürchtung, dass der
Laden bei den Leuten nicht ankommt. Lichtenau ist halt Lichtenau und
nicht Stuttgart. Keine Ahnung, was die Zukunft bringt. Wer weiß, worauf
ich in fünf Jahren Bock habe? Ich könnte in eine Großstadt ziehen und
dort so einen Laden aufmachen. Aber warum? Mir persönlich reicht das
hier.
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