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Aufschieberitis der Bildungsministerin: Corona-Darlehen für Studierende lösen keine Probleme - sie schaffen neue

Bild: picture alliance/Christoph Soeder/dpa

Anja Karliczek handelt an der Lebensrealität junger Leute vorbei. Ein Kommentar.


Von Maximilian Senff


Wochenlang wurde auf Bundesebene über Unterstützung für Studierende diskutiert, die in der Coronakrise ihren Nebenjob verloren haben. Am Donnerstagmorgen trat Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) endlich mit einem konkreten Plan vor die Kameras: zinslose Darlehen, die ab dem 8. Mai beantragt werden können. Bis März 2021 können Studierende bis zu 650 Euro im Monat erhalten. Die Maßnahme soll von der KfW-Bank umgesetzt werden, die sich auch um die Studienkredite kümmert, die es vor Corona schon gab. Zusätzlich werden die Studierendenwerke mit 100 Millionen Euro für Notfallhilfen unterstützt.


Ab wann die Studierenden die beantragten Hilfen dann erhalten, diese Frage einer ARD-Reporterin konnte Karliczek bei der Pressekonferenz nicht genau beantworten. "Ab 8. Mai können Anträge gestellt werden", sagte sie lediglich. Die Journalistin fragte nach, ob es denn nicht konkreter gehe. Der Pressesprecher des Bildungsministeriums flüsterte Karliczek zu, sogar hörbar über den Livestream: "Ab Juni." Karliczek sagte nur: "Das wird dann ganz schnell gehen."


Die Hilfe für Studierende kommt zu spät

Genauso schnell, wie die Hilfe für die Studierenden kam? Hoffentlich nicht. Bereits seit einem Monat gibt es Corona-Soforthilfen für kleine Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler. 50 Milliarden Euro sollen insgesamt zusammenkommen ( Bundesministerium der Finanzen). Ein Fünfzigstel dieser Summe für Studierende auf den Weg zu bringen, hat einige Wochen länger gedauert.


Warum kam die Unterstützung nicht früher?


Man könnte meinen, Karliczek habe vielleicht Bedenkzeit benötigt, um ein ausgewogenes Maßnahmenpaket zu schnüren. Aber weit gefehlt: Die Bildungsministerin setzt einfach nur ihren eigenen Kopf durch. Die Meinung, dass zinslose Kredite gerade jetzt für Studierende mit Geldsorgen die perfekte Lösung seien, hat die Bildungsministerin nämlich exklusiv.


Der Koalitionspartner SPD forderte in den vergangenen Wochen, vorübergehend das BAföG zu öffnen, auch für Studierende, die bisher keinen Anspruch darauf hatten. Darauf drängten zudem die Studierendenwerke - und die Jugendorganisationen von SPD, Grünen, FDP und, aufgepasst: CDU.


Karliczek handelt also gegen die Empfehlung der jungen Leute in ihrer eigenen Partei. Und das ist schon bemerkenswert.


Es ist nicht das erste Mal, dass Karliczek an der Lebensrealität von Studierenden vorbei denkt. Schon als es um die Erhöhung der BAföG-Sätze im Herbst 2019 ging, in deren Rahmen auch die Wohnpauschale von 250 Euro auf 325 Euro erhöht wurde, sagte sie: Wem dieser Betrag nicht ausreiche, der solle doch einfach in eine günstigere Stadt ziehen. Dass jeder das Recht haben sollte, sich frei auszusuchen, an welcher Uni er sich bewirbt, und dass die Entscheidung für einen Studienort auch von Familie, Freunden oder Pflegebedürftigen abhängen kann - das war ihr egal ( bento). Unterstützung und Chancengleichheit für alle? Mit Anja Karliczek ein Diskussionsthema.


Das Darlehen zwingt Studierende, sich zu verschulden

Auch die BAföG-Lösung in der Coronakrise, gegen die sich die Ministerin nun ausgesprochen hat, würde dazu führen, dass Studierende später Geld zurückzahlen müssen, das stimmt. Aber eben nicht alles. In der Pressekonferenz sagt die Bildungsministerin, das BAföG sei für Studierende gedacht, die kein Geld von ihren Eltern erhalten, und das solle auch so bleiben.


Aber: Die Unterstützung vieler Eltern droht wegzufallen. Bis zum 26. April hatten Betriebe für 10,1 Millionen Personen Kurzarbeit beantragt ( Bundesagentur für Arbeit). Es ist eine unkomplizierte Rechnung: Erhalten Mütter oder Väter weniger Gehalt, können sie nicht mehr so viel an ihre Kinder zahlen wie bisher.


Sollten sich Studierende jetzt deswegen verschulden? Vor allem Studierende, die bereits von Existenznöten geplagt sind, dürften sich beim Blick in die Zukunft und auf die kommenden Rückzahlungen des Corona-Kredits fürchten - und die Hilfe deswegen vielleicht gar nicht erst beantragen. Eine simple Überschlagsrechnung: Jemand erhält zehn Monate lang 650 Euro, bekommt also insgesamt 6500 Euro Corona-Hilfe. Steigt er mit einem eher geringen Gehalt in den Job ein, ist eine mögliche Tilgung von ungefähr 100 Euro im Monat realistisch. Das würde bedeuten, die Rückzahlung dauert 65 Monate, also knapp fünfeinhalb Jahre.


Die Notfallhilfe für die Studierendenwerke ist eine Nebelkerze.

Allein dieses vereinfachte Beispiel zeigt schon, dass die Coronakrise für Studierende ein Schlag ist, den sie nicht so leicht abfedern können. Das Darlehens-Paket wirft Fragen auf: Warum müssen Selbstständige, die Geld verdienen, ihre Soforthilfen gar nicht zurückzahlen, aber Studierende, die in der Regel keinerlei Rücklagen haben, bekommen nur einen Kredit?


Dass zusätzlich auch noch 100 Millionen Euro Nothilfe an die Studierendenwerke gehen, ist gut, keine Frage. Aber auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Karliczek wollte vermutlich den Koalitionspartner befrieden. Das Wohlwollen, das sie damit zeigen will, wird schnell verdunsten.


Die Hilfe für Studierende hätte früher, schneller und besser kommen können. An Universitäten lernen Studierende, ergebnisoffen in Diskussionen zu gehen und sich auch mal umstimmen zu lassen. Etwas, das Anja Karliczek als Bildungsministerin eigentlich wissen müsste - und hätte tun sollen.

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