Sexshops, Arbeiterstrich, Bettler: Das Bahnhofsviertel ist verrufen wie kaum ein anderer Ort in München. Doch wer sich in das Gewusel stürzt, entdeckt ein lässiges, anarchisches Quartier. Jetzt droht dem Viertel ein radikaler Umbruch. Die Investoren liegen schon auf der Lauer.
Fritz Wickenhäuser liebt sein Bahnhofsviertel, die Liebe ist nicht einfach, aber aufrichtig. Und sie mündet mitunter in Poesie. „Wenn ich am Abend von der Sonnenstraße in die Landwehrstraße einbiege", sagt der 71-Jährige, „dann geht an deren Ende über der Paulskirche der rote Sonnenball unter. Mei, denke ich mir dann, is München schee." Es sind die Worte eines Liebenden, Wickenhäuser ist dem Quartier tief verbunden. Als Hotelier und Unternehmer, als Gründer des Stadtteilvereins.
Schräg gegenüber vom Hotel Cristal liegt das Hotel Goethe, noch so ein Beispiel für das internationale Flair. Der Chef Mahir Zeytinoglu lebt seit 1973 in München, erst als Gemüsehändler, dann als Hotelbetreiber. Die damals Fremden kamen auf Gleis 11 an, es liegt direkt am südlichen Ausgang des Bahnhofs. Wenn in München vom Bahnhofsviertel die Rede ist, meinen alle das dort beginnende Rechteck aus Paul-Heyse-, Bayer-, Pettenkofer- und Sonnenstraße. Wären die Gastarbeiter damals am nördlichen Ausgang angekommen, würde das Bahnhofsviertel vielleicht mit der Arnulfstraße auf der anderen Seite der Gleise beginnen.
Vor 40 oder 50 Jahren betraten die meisten Ausländer München im Rahmen eines Anwerbeabkommens, Italiener, Spanier, Türken, Marokkaner. Die Arbeitssuchenden aus Bulgarien oder Rumänien, die heute Glück und Geld im Viertel suchen, kommen dagegen auf eigene Faust. „Das sind arme Menschen", sagt Wickenhäuser. „Aber für die Betriebe, vor denen sich diese Gruppen treffen, ist das ein Riesenproblem."
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