»Der Wahnsinn krabbelt mir den Rücken hoch und beißt sich im Gehirnlappen fest.« Willkommen in der Welt von Isolation Berlin, die zum zweiten Mal auf Album-Länge zum gemeinsamen Leiden und Verdrängen einladen! Der Titel »Vergifte dich« impliziert vor allem Letzteres. Nicht von ungefähr steht auf dem Wohnzimmertisch einer anonymen Berliner WG eine Armada halb geleerter Schnapsflaschen, als unser Autor Mathis Raabe mit den Jungs in den emotionalen Tiefstand abtaucht.
Dass bis dato beide Langspieler im Februar erschienen, ist laut Front-Poet Tobias Bamborschke Zufall. Dabei scheint die sonnenarme Tristesse des Berliner Winters gut zur gepeinigten Stimmung seiner Texte zu passen. »Wenn ich eins liebe, dann ist das der Regen«, haucht er auf »Wenn ich eins hasse, dann ist das mein Leben«. Ein dunkle Wetterfront fegt auch durch die deutschsprachige Pop-Landschaft, seit Bands wie Der Ringer, Messer, Die Nerven oder Die Heiterkeit die Post-Party-Depression zum Politikum erheben. Allen voran: Isolation Berlin. Das Post-Punk-Revival ist schon eine Weile verebbt und auch mit »Jung und wütend«-Klischees oder der gefälligen Dream Pop-Schublade lässt sich die Band nicht greifen. Dass sie auch mehr sind als ein Joy-Division-Abziehbild, vermittelt schon der Name. Ein eingedeutschtes Cover von »Isolation« aus Ian Curtis’ posthumem Meilenstein »Closer« war eines der ersten Lebenszeichen, gleichzeitig ist die Traurigkeit aber nicht nur musikalische Referenz, sondern ein präzises Lebensgefühl bei der ersten Katerkippe, das man nicht nur in Berlin, sondern auch in Stuttgart versteht. Als Teil einer Szene sehen sich Isolation Berlin eh nicht, wie Schlagzeuger Simeon erklärt: »Das gibt es nicht mehr, dass man sich mit seinen Revoluzzer-Freunden in der Kneipe trifft und der eine hat eine Punk-Band und dann ist das eine Szene. Die Leute jagen einem Ideal hinterher, das seit zwanzig Jahren nicht mehr existiert.« Vielleicht seit das letzte greifbare Verständnis von Indie Rock, diese Sonnenbrillen, Hüte und Krawatten tragende männliche Coolness, Anfang der 2000er gestorben ist. Seitdem ist Gitarren-Musik weniger kommerziell erfolgreich, aber es ist Raum entstanden für ganz unterschiedliche Identitäten.
Im Zuge der großen Freude über den Seelen-Striptease auf dem Debüt-Album wurden Tobias’ Texte dann auch mitunter missverstanden oder für einen Diskurs über Depressionen in der Pop- Musik instrumentalisiert. »Viele haben das für offene Tagebuch-Einträge gehalten. Ich schreibe auch Songs, die wichtig für mich sind. Es sind aber eher die Songs, die ich in meinem Zustand gerade brauche. Es sind auch keine Antworten, die ich geben möchte, sondern es ist immer eine Figur, die etwas erzählt und auch einer bestimmten Person erzählt.« Auch die Arbeitsweise beinhaltet keinen Hölderlinschen Turm: »Ich habe mich nicht in mein Kämmerlein eingeschlossen und versucht, möglichst traurig zu sein. Ich habe mir die Welt angeschaut und mit Leuten gesprochen und dann sind mir Sachen eingefallen und die habe ich aufgeschrieben.« Im Tracklisting scheinen die Geschichten dieser Menschen aufeinander zu antworten und ergeben eine vielseitige Auseinandersetzung mit Weltschmerzen. Ist das lyrische Ich auf »Serotonin« noch hilflos ob des alltäglichen Trotts, der nur um den Pfandflaschenautomat und die Parkbank kreist, so regt im Anschluss »Vergifte dich« schon zur Verdrängung an. Melancholie stiftet Gemeinschaft. »Ein gemeinsamer Rausch bewirkt immer auch eine Öffnung.«, erklärt Tobias. »Auch dieser Text ist eher beobachtend. Ich habe in Berlin viele Menschen kennengelernt, die sich permanent wegballern. Ich interessiere mich für bestimmte Momente und Gefühle und versuche, die mit meinen Texten einzufangen, ohne wirklich zu werten.« Der Selbstzerstörung kann etwas Schönes innewohnen, wenn man nach dem zehnten Bier die Hüllen fallen lässt und es zu menscheln beginnt. Giftige Arten wachsen oft am besten im Geflecht. »So haben wir uns wahrscheinlich alle kennengelernt.«, vermutet Gitarrist Max und erntet Gelächter. »Es kann helfen, zusammenzukommen. Es ist aber natürlich traurig, wenn das das Einzige ist.«
Der Titeltrack ist einer der ersten Songs, die Isolation Berlin je zusammen geschrieben haben. »Oft muss man lange warten, bis es »Klick« macht und sich ein Song vervollständigt.«, erzählt Tobias. »Manche Sätze liegen bei mir bis zu sieben Jahre rum.« Nach diesem Prinzip entstehen dann mal Songs, die sehr lyrisch dicht sind, fast nach Chanson klingen, und solche, die zentrale Zeilen manisch wiederholen. »Ich bin nicht schlecht / Das Fleisch ist schwach.«, zetert Tobias wieder und wieder auf »Melchiors Traum«, als würde er sich mit den Sätzen geißeln. Die Inspiration stammt aus Frank Wedekins Drama »Das Frühlingserwachen«. Auch dafür, wie der Sänger Geschichten verarbeitet, die nicht seine eigenen sind, ist der Song also ein Paradebeispiel, obwohl er zugibt, sich so weit zurückzunehmen, sei ein großer Schritt gewesen. Auch dieses Mantra lag jahrelang als unfertiges Versatzstück in der Schublade.
Die Gemeinschaft schaffenden Momente und die Lust am Rausch waren auf dem Debüt-Album »Und aus den Wolken tropft die Zeit« noch besser versteckt. Das könnte damit zu tun haben, dass Tobias’ Schreibprozess damals von einer Trennung geprägt war. Er fasst zusammen: »Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben und in der Liebe geht es immer auf und ab, so wie im Leben. Den Rausch braucht man auch, ob es nun das Bier ist oder Bergsteigen. Rausch und Liebe sind für jeden Menschen wichtige Dinge.« Damit sind die zwei großen Gifte, die die Musik von Isolation Berlin prägen, benannt. Welches davon gefährlicher ist, ist schwer zu beantworten. Höhe- wie Tiefpunkte, die beschriebene Berg- und Talfahrt des Lebens, versprechen sie beide.