Ein junges Ehepaar in Delhi wird ermordet, weil es sich über die Regeln der Liebe hinwegsetzte. In der Hauptstadt ereigneten sich in den vergangenen Monaten viele Ehrenmorde wie dieser. Von Mathieu von Rohr
Alles, was geblieben ist von Kuldeep und Monica, ist das Foto, das an einer Wand im Haus von Kuldeeps Eltern hängt. Sie leuchten darauf jung und schön, als wären sie das Bollywood-Paar, das sie so gern sein wollten: sein Anzug schneeweiß, das Haar kunstvoll gegelt; ihr Gesicht wie gemalt, große Augen, volle Lippen, sie trägt einen türkisfarbenen Sari und Goldschmuck um den Hals.
Es ist das Bild eines Paares, das sterben musste, weil diese Liebe verboten war in Wazirpur, einem Stadtteil von Delhi, der Hauptstadt Indiens. Weil sie beide verschiedenen Kasten angehörten, weil sie aus dem- selben Dorf stammten. Kuldeep und Monica, 26 und 24 Jahre alt, träumten vom neuen Indien, aber das alte ließ sie nicht los, und am Ende tötete es sie.
Es war Ankit, ihr eigener Bruder, der Monica am 20. Juni in ihrem Apartment drei- mal mit einer Pistole in den Kopf schoss; nur Minuten nachdem er Kuldeep, ihren Mann, in dessen Wagen umgebracht hatte, während einer Spritztour, die er zum Schein mit ihm unternommen hatte. Ankit, der mutmaßliche Mörder, war nicht allein, er hatte einen Freund bei sich und einen Cousin, und auch dieser tötete an jenem Tag seine Schwester.
Die drei begingen drei Morde in 45 Minuten. Als sie vier Tage später gefasst wurden, sagten sie, sie hätten den Spott nicht mehr ausgehalten, dem sie im Dorf ihrer Schwestern wegen ausgesetzt waren.
Es gab schon immer Ehrenmorde in Indien, vor allem in den ländlichen nördlichen Bundesstaaten, es sind schätzungsweise tausend pro Jahr. Aber die drei Toten von Wazirpur starben nicht in der abgelegenen Provinz, sondern mitten in Delhi, und in den vergangenen Wochen und Monaten berichteten die indischen Medien von Dutzenden ähnlichen Fällen.
Da war eine junge Frau aus dem Stadtteil Swarup Nagar, die von Verwandten zusammen mit ihrem Geliebten gefoltert und mit Elektroschocks getötet wurde. Da war eine 22-jährige Journalistin, die es aus ihrem Dorf nach Delhi geschafft hatte, sich dort in einen Mann aus einer niederen Kaste verliebte und deswegen von ihrer Mutter umgebracht wurde.
Fast immer waren die Opfer junge Leute, die ihr Leben in die eigene Hand nehmen wollten. Sie gehörten der Generation an, die im Indien des Wirtschaftsbooms aufgewachsen ist, und ihre Werte kollidierten mit denen ihrer Eltern.
Die Medien des Landes, die voll sind von Meldungen über den indischen Fortschritt, zuletzt über das gewaltige neue Flughafenterminal von Delhi, das sechstgrößte der Welt - sie berichten über diese Fälle, als könnten sie die verwirrende Gleichzeitigkeit des alten und des neuen Indien kaum fassen.
In Wazirpur lässt sie sich besichtigen, an dem Ort, den man besuchen muss, um zu verstehen, warum drei junge Menschen tot sind und drei weitere im Gefängnis und wie das zusammenhängt mit den gesellschaftlichen Verwerfungen, die Indien durchlebt, während es zur wirtschaftlichen Großmacht aufsteigt.
Wazirpur liegt mitten in Delhi, und seine Bewohner bestehen darauf, dass es sich bei ihrer Siedlung um ein Dorf handele, obwohl auf den ersten Blick kaum etwas auf ein Dorf hinweist. Die Stadt hat sich Wazirpur vor Jahrzehnten einverleibt. Es ist in sie einbetoniert, samt seiner Clans und Traditionen, ein Gewimmel von engen, fliegenverseuchten Gassen, in denen sich Call-Shops und Heim-Fabriken aneinanderreihen, ein Labyrinth von grotesk ineinander verschobenen Betonbauten, die immer weiter ausgebaut werden, als Apartmentblocks für mittlerweile 15 000 Wanderarbeiter aus den armen Bundesstaaten, die in die schlecht- bezahlten Fabrik- und Servicejobs Delhis drängen. An sie vermieten die rund 500 Familien Wazirpurs ihre Zimmer, rund 25 Euro im Monat für ein Loch, das sich drei oder vier Menschen teilen.
Und wenn auch die Wege Wazirpurs im Monsun verschlammen, sind überall Zeichen von neuem Wohlstand zu sehen. Neue Autos aus einheimischer Produktion, Maruti Swifts und DZires, stehen in ehemaligen Büffelställen, und die jungen Männer, die in Gruppen an den Ecken herumlungern, ohne dass sie etwas zu tun hätten, tragen gebleichte Jeans und enge T-Shirts, die ihre trainierten Oberkörper betonen. Auch Ankit, der Täter, gehörte zu ihnen, als er noch frei herumlief. Wie sie hatte er Geld von seinen Eltern, aber keinen richtigen Job.
Kuldeep dagegen, der schöne Kuldeep, der jetzt tot ist, hatte einen Lebenslauf, wie viele junge Inder ihn anstreben: Abschlüsse dreier Universitäten, einen Job als Teamleiter im riesigen Call-Center von HCL in Noida, einer der Satellitenstädte außerhalb Delhis. Ein Siegertyp, sagen seine Freunde. Er sah gut aus, sprach Englisch, und er hatte Monica, die Frau, die vielen unheimlich war, weil sie bezaubernd aussah, weil sie tanzte wie die Stars in den Filmen, weil sie Jeans trug. Sie war sein Verderben, sagen sie jetzt in Wazirpur.
Es ist vier Jahre her, dass Kuldeep und Monica einfach aus dem Dorf verschwanden. Heimlich waren sie da schon zwei Jahre ein Paar gewesen. Als sie ausrissen, taten sie es, weil sie wussten, dass niemand ihre Ehe akzeptieren würde.
Zwei aus demselben Dorf, heißt es in Wazirpur, sind wie Bruder und Schwester, selbst wenn sie nicht blutsverwandt sind. Weil man im Dorf zusammen feiert, trauert und früher zusammen jene Felder bestellte, die längst überbaut sind. Geschwister dürfen einander nicht lieben.
Schlimmer noch, sie gehörten unterschiedlichen Kasten an: sie der niederen Kaste der Gujjar, zu der in Wazirpur die Mehrheit zählt, er der höheren Kaste der Rajputen. Das Kastenwesen ordnet die indische Gesellschaft seit Jahrtausenden, man wird in eine Kaste geboren aufgrund der Taten, die man in früheren Leben erbracht hat, in die höchste Kaste der Brahmanen, in die niedrigste Gruppe der Unberührbaren, in die Tausenden dazwischen. Außerhalb der eigenen Kaste zu heiraten ist im Dorf noch immer ein Tabu.
Kuldeep und Monica waren die Ersten, die sich über diese Gesetze hinwegsetzten in der 600-jährigen Geschichte des Dorfs. Sie suchten einen Tempel auf, in dem Liebende aller Kasten heiraten können, anschließend ein Gericht, um es amtlich zu machen. Dann versteckten sie sich bei Verwandten Kuldeeps in einem anderen Teil Delhis.
Es war ein Skandal. Doch irgendwann schien es, als hätte sich alles beruhigt. Als hätten die Familien die unmögliche Liebe akzeptiert. Das war ein Irrtum.
Die Polizei fasste Ankit und seine beiden mutmaßlichen Komplizen vier Tage nach dem Mord an Kuldeep, Monica und ihrer Cousine in einer Stadt im Osten Delhis. Auf den Fotos, die es von der Verhaftung gibt, reckt Ankit, 22 Jahre alt, die starke Brust nach vorn, es ist die Pose eines Helden.
Ein Held ist er für viele in Wazirpur, einer, der die Unmoral beendet hat. Die Täter seien Vorbilder, sagte ein Onkel kurz danach einer Zeitung. Mord sei im Prinzip falsch, für das Dorf aber sei es das Richtige gewesen.
Der Mann mit dem hennarot gefärbten Haar, der ein Motorrad durch die engen Gassen Wazirpurs schiebt, sagt, es habe ihn glücklich gemacht, vom Mord zu hören. Er gehört zur Kaste der Gujjar, der die Täter angehören und die tote Monica. "Man kann eine Wunde heilen, die ein Messer verursacht hat", sagt er, "aber keine verwundete Ehre, nicht den Verlust der Würde." Ein Ältester seiner Sippe bringt ihn zum Schweigen, ein Mann in einer weißen Kurta. Niemand im Dorf spreche mit der Presse, sagt er, seit all jene verhaftet worden seien, die im Fernsehen den Mord gerechtfertigt hätten.
In den Straßen von Wazirpur patrouillieren mittlerweile Polizisten, die verhindern sollen, dass Blut fließt. Zwei Uniformierte stehen vor dem Haus der Familie Kuldeeps, von der Kaste der Rajputen, um sie zu schützen.
Auf einem Plastikstuhl im hellgrün gestrichenen Wohnzimmer lässt Amit, der ältere Bruder von Kuldeep, die Arme hängen, um ihn sitzen Vater, Mutter, Großmutter. Er sagt: "Wir waren schockiert, als sie ausrissen, aber es ist vier Jahre her, und unsere Familie hat die Ehe schließlich akzeptiert. Es ist schwer zu verstehen, warum das passiert ist nach all der Zeit."
Trauergäste kommen und gehen, sie umarmen weinend Mutter, Vater, Großmutter, an der Wand das riesige Bild von Kuldeep und Monica. Und doch ist es, als sei die Familie sich selbst nicht sicher, was sie mehr betrauert, den Verlust Kuldeeps oder das Unheil, das seine Liebestrunkenheit über ihr Haus brachte.
Der Vater sagt, die Heirat habe ihn traurig gemacht. "Ich wollte, dass er sie verlässt, dass die Ehe aufgelöst wird. Dann merkte ich, dass Monicas Familie sie umbringen wird, wenn er das tut. Also habe ich der Ehe zugestimmt." Die Großmutter wälzt sich auf dem Bett, wimmert vor sich hin, sie redet von Karma. "Kuldeep hat einen Fehler begangen", murmelt sie, "deshalb ist er jetzt tot."
Amit, der Bruder, tut, als höre er sie nicht. Er sagt, der Irrglaube der Ungebildeten habe seinen Bruder getötet, er meint nicht die Großmutter, sondern die Gujjar, die Angehörigen der anderen Kaste. Die Familie hat gehört, dass die Ältesten der Gujjar, Familie, Freunde, die Tat vorher verabredet hätten. Doch nein, sagen sie, sie wollten keine Rache.
Amit arbeitet im Business District von Gurgaon für eine Firma, die Textilien exportiert, auch nach Deutschland, er zählt Ketten auf, KiK und New Yorker, auf seinem Blackberry zeigt er die E-Mails, die er regelmäßig mit einem Kontaktmann in Koblenz austauscht. Er hofft, dass er Deutschland eines Tages besuchen wird.
Das kleine Transportunternehmen des Vaters, die Mieteinnahmen haben die Familie wohlhabend gemacht. So haben sie die Ausbildung der Söhne finanziert. Sie sollten Karriere machen in der Welt des internationalen Business. Amit und Kuldeep wurden groß zwischen der Welt des Dorfs und der Welt von Gurgaon mit seinen Glastürmen und ShoppingMalls, dazwischen suchten sie nach ihrer Identität, und sie zu finden war nicht leicht.
Amit schweigt, als der Vater das Geburtshoroskop Kuldeeps hervorholt, einen dünnen roten Band, eng beschrieben von einem Astrologen aus Varanasi. "Hier steht, dass er eines Tages aus Liebe heiraten wird", sagt der Vater. Als er schließlich erzählt, er folge einem Guru und habe die Macht, Krankheiten zu heilen, auch Aids, lacht Amit peinlich berührt.
Anders als sein toter Bruder ließ Amit seine Hochzeit von der Mutter arrangieren, wie es sich gehört. Die Heirat ist für viele indische Familien noch immer ein Akt, der zu wichtig ist, als dass er den Gefühlsregungen ihrer Sprösslinge überlassen werden könnte, davon künden die Heiratsanzeigen in den Zeitungen.
Amit hat ein scheues, traditionell gekleidetes Mädchen geheiratet, aus derselben Kaste, aus einem anderen Dorf, ausgewählt hat es die Mutter, er selbst durfte zustimmen. Wenige Tage vor dem Mord brachte Amits Frau ein Mädchen zur Welt, nun trägt sie Tee auf und sammelt später die Tassen ein, sie flüstert, Monica und sie seien sehr verschieden gewesen.
Monica, ihre Schwägerin, war kein braves Mädchen, sie war laut und schön, sie wird beschrieben als Femme fatale, und wenn man den Bruder fragt, was für eine Frau sie war, sagt er: "Sie war wie er."
Gemeinsam lebten sie den neuen indischen Traum, den Konsum. Kuldeep verdiente monatlich umgerechnet 500 Euro, aber gab das Anderthalbfache aus, die Differenz übernahm die Familie, sie zahlten auch sein Handy, alle sechs Monate ein neues Modell, und sein Auto, einen Maruti Esteem. Beide trugen sie nur Markenkleidung, alles von United Colors of Benetton, Hosen und Hemden, Schuhe, Unterwäsche, Taschen und Sonnenbrillen. Amit erzählt das verwundert und bewundernd. "Etwas anderes kam nicht in Frage", sagt er, "nichts liebten sie mehr als den Benetton-Showroom." Kuldeep, sein Bruder, wollte sein wie Salman Khan, der Bollywood-Schauspieler, sagt Amit, und wenn er mit seiner Frau ausging, sahen sie tatsächlich aus wie Filmstars.
Die Liebe, die in Indiens Dörfern so wenig gilt, gilt alles in den Filmen von Bollywood. Sie erzählen von glücklichen und tragischen Paaren, starke Helden retten darin schöne Mädchen, die anderen Männern versprochen sind, und wenn die Richtigen einander kriegen, werden gewaltige Hochzeiten gefeiert, ein Rausch aus Farben, Tanz und Gesang.
Auch Monica war längst einem anderen versprochen gewesen, und als sie mit Kuldeep durchbrannte, musste ihre Familie den Schmuck zurückgeben, den sie zur Verlobung geschenkt bekommen hatte. Es muss für Monicas Familie demütigend gewesen sein. Sie selbst fühlte sich gerettet.
"Die beiden waren beeinflusst von all den Filmen, so wollten sie leben", sagt Rohit, der Kuldeeps bester Freund war, "sie suchten das Scheinwerferlicht." Rohit ist ein muskelbepackter 25-Jähriger mit einem pausbäckigen Jungengesicht, ein Rajpute auch er. Er blättert durch die Fotoalben, die Amit aufgeschlagen hat, schnieft, als er den Freund im weißen Anzug auf einer Hochzeit sieht. "So stylish", sagt er, "keine Falte an seinem Hemd."
Kuldeep war anders als die übrigen jungen Männer im Dorf, ein weicher Kerl, lustig, ein Charmeur, sagt Rohit, sein Freund. Sie waren früher zusammen ins Fitnessstudio gegangen, sechsmal die Woche, zwei Stunden, vertrauten sich Geheimnisse an, bis sein Freund mit seiner Geliebten verschwand. Er wusste von Kuldeeps Plan, er glaubte nur nicht, dass er ihn ausführen würde. Danach sahen sie sich nur noch selten.
Später an diesem Tag steuert Rohit seinen Maruti DZire durch die Nachbarschaft, einen Wagen mit blickdicht getönten Scheiben, wie fast alle sie hier fahren, damit man von außen nicht sieht, was im Inneren getrieben wird. Küsse, Sex, Besäufnisse, alles bleibt im Dunkeln.
Er fährt zur Shopping-Mall, die sie immer besuchten, nur vier Kilometer von Wazirpur, aber Welten davon entfernt. Es gibt Schnellrestaurants und Modegeschäfte, Discos, die tagsüber auf sind, weil die Mädchen nachts nicht wegkönnen. Westlich gekleidete junge Frauen, die jungen Männern scheu zulächeln, sieht man hier, anders als im Dorf, wo sie sich unter Sari und Schleier verstecken, und junge Paare, die auf Mäuerchen sitzen.
Hier trafen sich Kuldeep und Monica manchmal heimlich vor ihrer Flucht, in der Nähe machte sie ihre Ausbildung zur Grundschullehrerin. Seit neuestem führt von hier eine Metro in den Süden Delhis und weiter nach Noida.
Rohit arbeitet dort im Support einer internationalen Firma, die Software programmiert, er telefoniert und chattet mit Kunden in fernen Ländern, einmal haben sie ihn zur Weiterbildung zwei Wochen nach Israel geschickt. Er erzählt davon wie von einem fernen Traum, kann sich nicht an die Stadt erinnern, in der er war, nur ans Tote Meer, das ihm nicht gefiel.
Er will nicht weg aus Wazirpur, er braucht die Wärme des Dorfs, die Enge seines Clans, aber er sagt, Freunde habe er keine hier. Durch den Ort geht Rohit mit seinem Bernhardiner, der so muskulös ist wie er selbst. Er hält sich fern von den Gleichaltrigen, die meisten von ihnen Gujjar, einige Rajputen, die sich nur betrinken und mit Drogen benebeln. Manche überfallen nachts Leute, so erzählt man es auch von den Mördern.
"Diese Typen", sagt Rohit verächtlich, "die wissen keine Antwort auf die Frage: Wo willst du in fünf oder zehn Jahren sein?" Er weiß es für sich selbst, erst Lead-, dann Management-Level. Als junger Inder ist man noch immer in seiner Kaste gefangen, doch Karriere machen kann jetzt jeder, und in Rohit glüht der Wunsch aufzusteigen.
Auch Kuldeep und Monica wollten eigentlich bleiben und trotzdem anders leben, so erregten sie den Neid derer, die im Dorf hängengeblieben waren.
Bis zum Schluss dachte Kuldeep, er könne sich beliebt machen bei Ankit, seinem späteren Mörder. Er besuchte die Familie seiner Frau öfter als die eigene, hing mit Ankit ab, spendierte ihm und der Schwiegermutter Ausflüge, er bezahlte ihm das geleaste Auto, kaufte ihm Kleidung, ein Handy.
Vier Monate vor ihrem Tod kehrten Kuldeep und seine Frau in die Nähe des Dorfs zurück, auf Drängen von Monicas Mutter. Es war ein Fehler, aber war es auch eine Falle, wie Kuldeeps Freunde glauben?
Sie bezogen ein Zwei-Zimmer-Apartment in Ashok Vihar, dem ruhigen Mittelklasseviertel, das direkt neben Wazirpur liegt, von ihrem Balkon blickten sie auf einen grünen Park, Vögel zwitscherten. Es war ganz anders als das Dorf, ein Ort für Menschen, die ein bürgerliches Leben für sich im Sinn haben.
Rohit sah sie erst wieder, als sie schon tot waren. An jenem Abend kam ein Anruf, sie hätten Monica ermordet. Als er hörte, auch Kuldeep sei tot, stürmte er los, zum Sunderlal Hospital, und da lagen sie. Er holte die versehrten Körper aus dem Leichenschauhaus, für die Bestattung, er musste beide mitnehmen. Die Familie Monicas, sagt er, sei nicht gekommen, um ihre Tochter abzuholen. Als er das erzählt, auf der Straßenkreuzung, wo sie seinen Freund umbrachten, bricht das einzige Mal die Wut aus ihm heraus. "Sie sind schlimmer als Tiere", sagt er, und sein Gesicht wird hart.
Man kann die Familie Monicas nicht befragen, sie verbarrikadiert sich in ihrem Haus, nur wenige hundert Meter vom Haus der Familie Kuldeeps. Grimmige junge Männer bewachen den Eingang. Eine Frau, die an der Straßenecke Zigaretten verkauft, sagt, sie sehe die Familie jeden Tag, es liege keine Trauer in ihren Gesichtern.
Kuldeep und Monica mussten sterben, vier Jahre nach dem Sündenfall, weil sie nicht die Einzigen blieben im Dorf, die Freiheit wollten. Vor einigen Monaten rissen zwei Cousinen von Monica aus, 18 und 20 Jahre alt, sie hatten sich auf Inserate in der Zeitung gemeldet. Die eine wollte Model werden, die andere Tänzerin. Natürlich klang das zwielichtig für die Menschen im Dorf. Beide Mädchen verliebten sich in die Männer, die versprachen, sie auszubilden, sie groß herauszubringen, und brannten mit ihnen durch. Die eine heiratete ihren Liebhaber, die andere kehrte zurück nach Wazirpur und sprach so ihr Todesurteil.
Der schlechte Einfluss von Monica sei schuld, sagten daraufhin die Menschen in Wazirpur. Sie habe die beiden angestachelt. Es hieß, die Sitten seien im Begriff zu verfallen, und begonnen habe alles mit der befleckten Ehe. So beschlossen Ankit, der Bruder Monicas, und sein Cousin Mandeep, drei Leben zu beenden und die Ordnung wiederherzustellen.
Es heißt im Dorf, auch das letzte verschollene Mädchen werde büßen müssen, es werde auch sterben. Sie suchen es noch. ◆
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