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Gefährdet der Ukraine-Krieg die Neue Seidenstraße?

Von Mathias von Hofen


China ist bereits seit Jahren das wichtigste Außenhandelspartnerland der Ukraine. Hoffnungen Kiews auf größere chinesische Investments haben sich aber bisher wenig erfüllt, da vor allem das verbesserungswürdige Investitionsklima in der Ukraine chinesische Unternehmen abhält. Chinesische Unternehmen sind aber am Ausbau von zwei ukrainischen Häfen beteiligt und die „China Pacific Construction Group" hat den Auftrag für den Bau einer neuen Metrolinie in Kiew erhalten. Der Außenhandelsexperte Michael M., der gute Kontakte nach China besitzt, betont, dass der Krieg auch direkte Auswirkungen für Investments in der Ukraine hat: „China hat in einen großen Solar- und Windpark bei Donezk investiert, der sich jetzt im Kampfgebiet befindet."

Die Ukraine benötigte schon vor dem Krieg dringend Investitionen. Sie ist das ärmste Land Europas und ist beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf sogar hinter Albanien, Georgien und Armenien zurückgefallen. Schon lange vor Beginn des Krieges war der Handel mit Russland aufgrund der politischen Spannungen mit Moskau stark rückläufig. Insbesondere der frühere Präsident Poroschenko hatte aktiv eine Abkoppelung von Russland betrieben. Kiew hatte zwar ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen, doch das konnte die hohen Rückgänge im Handel mit Russland nicht voll kompensieren.

Interessant ist die Ukraine für China vor allem als Getreidelieferant sowie als Transitland der Seidenstraße. Allerdings laufen die Hauptwege der Seidenstraße nach Europa über Russland und Belarus sowie im Süden über den Balkan. Weniger als fünf Prozent des Frachtvolumens werden über die Ukraine geleitet. Schon kurz nach Ausbruch des Krieges beschlossen chinesische Planer, den Frachtverkehr auf die Hauptstrecke über Belarus zu verlagern. Diese Route führt durch Kasachstan, Russland und Weißrussland bis zum polnischen Malaszewicze, dem wichtigsten Umschlagplatz auf dieser Strecke.

Viele europäische Logistikdienstleister haben ihre Dienstleistungen sowohl in der Ukraine wie auch in Russland eingestellt, beispielsweise Kühne + Nagel bereits seit dem 1. März. Die aktuellen Entwicklungen haben die Rolle von Belarus weiter gestärkt. Dabei war es in den vergangenen zwei, drei Jahren teilweise zu einer Verlagerung von Belarus in die Ukraine gekommen, da der sehr starke Anstieg des Schienenverkehrs auf der Seidenstraße von den Belarussen kaum noch bewältigt werden konnte.

Belarus

Die größer gewordene Rolle Belarus auf der Seidenstraße liegt ganz im Konzept von Machthaber Alexander Lukaschenko. Dieser hatte den Chinesen stets den roten Teppich ausgerollt. Prägnantes Beispiel dafür ist der Industriepark „Great Stone" in der Nähe des Flughafens der Hauptstadt Minsk. Mittlerweile zählt „Great Stone" zu den größten von China errichteten Industrieparks in Europa.

Lukaschenko hat es vermutlich auch aufgrund seiner Interessen an „Belt and Road" bisher vermieden, sich am Ukrainekrieg direkt zu beteiligen. Und eine Blockade durch den Nachbarn Polen ist kaum zu erwarten. Zum einen hat dieser eher wenig Interesse daran, sich mit China anzulegen, und zum anderen profitiert auch Polen stark vom Transitverkehr über den polnischen Teil der Seidenstraße.

Russland

Russland bleibt trotz des Krieges ein sehr wichtiges Transitland der Seidenstraße. Da China keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat, kann es auch weiter den Zugverkehr über russisches Territorium laufen lassen. Ein Problem ist aber, dass verschiedene westliche Logistikdienstleister ihre Tätigkeit in Russland eingestellt haben. Auch deshalb soll der Südkorridor der Neuen Seidenstraße über Kasachstan, Aserbaidschan und die Türkei weiterentwickelt werden. Ganz besonders die Türkei und Aserbaidschan, die ihre Beziehungen zu China ausbauen wollen, haben ein starkes Interesse an einer verstärkten chinesischen Präsenz.

Maritime Seidenstraße?

Doch gegenwärtig ist der Südkorridor noch nicht in der Lage, wesentlich mehr Züge als bisher aufzunehmen. Ein Ausbau ist geplant, aber vermutlich ist dieser nicht in wenigen Monaten möglich. Die einfachste Möglichkeit, Russland und die Ukraine zu umgehen, ist daher eine Erhöhung der Transporte auf dem Seeweg, also der maritime Weg der Seidenstraße. Die maritime Seidenstraße durch den Indischen Ozean, das Rote Meer und das Mittelmeer zu den Zielhäfen Piräus und Triest ist bereits jetzt ein Erfolgsmodell. Piräus ist mittlerweile der größte Hafen im Mittelmeer und ist zu einem wichtigen Ziel der gewaltigen chinesischen Containerflotte geworden.

Chinas Haltung

Der Eisenbahnverkehr über die Neue Seidenstraße ist in den vergangenen zwei Jahren sehr stark gewachsen. Vom Onlineboom in Europa hat China so stark profitiert wie kein anderes Land der Welt. Doch Putin, der sonst so sehr die Freundschaft zu China betont, hat keine Rücksicht auf Pekings Interessen genommen. Der Angriff auf die Ukraine lag nicht im Interesse der chinesischen Führung um Staatschef Xi Jinping. Michael M.: „China verfolgt den Krieg mit Bauchschmerzen. Der Konflikt kam für Peking mindestens fünf Jahre zu früh."

Xi will sich nicht offen gegen Russland stellen, belässt es bei Appellen an beide Seiten, die Kampfhandlungen einzustellen und gibt dem Westen eine erhebliche Mitschuld am Ausbruch der Kämpfe. Zu sehr braucht China Russland als Verbündeten gegen die USA. Zugleich ist China allerdings das einzige Land, das noch Einfluss auf den Kreml hat. Bei der Suche nach einer raschen Friedens­lösung müsste der Westen China stärker einbeziehen.

Wie geht es weiter?

Die durch den Ukrainekrieg verursachte Krise von Belt and Road ist ganz sicher nicht dessen Ende. China hat seine Position in vielen Regionen entlang der Seidenstraße, aber auch darüber hinaus so stark ausgebaut, dass es auch bei einer Einschränkung oder vorübergehenden Unterbrechung der Transporte über die Seidenstraße dort ein bestimmender wirtschaftlicher und oft auch politischer Faktor bleibt.

China geht mit großem Geschick vor. Der Westen, sowohl die europäischen Kolonialmächte als auch später die USA, schreckten oft vor militärischer Gewalt nicht zurück, um ihre Interessen durchzusetzen. China hat dies bisher stets vermieden. Die Charmeoffensive der Chinesen in Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas wird häufig durch umfangreiche Infrastrukturprojekte begleitet, von denen lokale und regionale Interessengruppen in Politik und Wirtschaft profitieren.

Mit der Gründung der pazifischen Freihandelszone RCEP hat China zudem seine Belt-and-Road-Initiative strategisch klug ergänzt. An dieser beteiligen sich die zehn Asean-Staaten und Südkorea ebenso wie die eher chinakritischen Japaner und Australier. China ist die dominierende wirtschaftliche Macht in der Freihandelszone, die ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung repräsentiert. Durch Reduzierung von Zöllen und die Festlegung gemeinsamer Handelsregeln profitiert die chinesische Exportwirtschaft stark.

Die Rolle Europas

Die EU ist mit ihrem Vorhaben weitgehend gescheitert, ein europäisches Gegenmodell zur Neuen Seidenstraße zu entwickeln. Die sogenannte Konnektivitätsstrategie der EU, mit der die Kooperation mit asiatischen Staaten vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Energie und Digitales vorangetrieben werden soll, wirkt planlos und ist schlecht finanziert. Will Deutschland die asiatischen Wachstumsmärkte für sich stärker erschließen, ist es in vielen Ländern auf eine Kooperation mit China angewiesen. Zu stark ist Chinas Position in Asien und Afrika. Sollten Deutschland und die EU sich deutlich gegen China positionieren, könnte Peking vieles blockieren. Zudem hat die chinesische Führung ein Interesse daran, mehr Länder an Belt and Road zu beteiligen. So will sie verhindern, dass die Seidenstraße in der internationalen Öffentlichkeit als ein rein chinesisches Projekt angesehen wird.

Die Forderung von Wirtschaftsvertretern, auf stärkeren Nutzen für deutsche Firmen bei Seidenstraßenprojekten zu bestehen, ist verständlich. Doch gibt es deutlichen Verbesserungsbedarf. Es kann nicht sein, dass vor allem chinesische Staatskonzerne bei Belt-and-Road-Infrastrukturprojekten die Ausschreibungen gewinnen. Deutschland müsste hier eigene Interessen stärker vertreten.

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