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Uranabbau im Niger: Der Fluch des strahlenden Reichtums - SPIEGEL ONLINE

Musa lächelt breit. "Gut, dass du aus Deutschland kommst." Elegant steuert er seinen rostigen Toyota Starlet, Baujahr 1993, durch einen Hindernisparcours aus Schlaglöchern und dem Getümmel der übrigen Verkehrsteilnehmer. Bei jeder Erschütterung ächzt der rostige Kleinwagen bedrohlich unter dem Gewicht von insgesamt vier Insassen. Wir fahren mit Musa durch die Straßen von Niamey, der quirligen Hauptstadt des Niger.

Der westafrikanische Staat ist hierzulande vor allem bekannt, weil er auf der Liste der ärmsten Länder der Welt einen unrühmlichen zweiten Platz belegt. Dabei sitzt das Land auf riesigen Vorkommen eines heiß begehrten Bodenschatzes: Uran - Nigers mit Abstand wichtigstes Handelsgut. 2010 machte es über 60 Prozent der Gesamtexporte aus. Doch während Europa in den Genuss allzeit verfügbarer, vermeintlich "sauberer" Kernenergie kommt, gehen im Niger immer wieder die Lichter aus. Niger profitiert nicht nur kaum - oder gar nicht - von seinem Rohstoffreichtum. Es bleibt auch noch auf den Altlasten des Uranabbaus sitzen.

"Wärst du Franzose, hätte ich dich nicht in mein Auto gelassen ", erklärt Musa. Er lacht zwar dabei verschmitzt, erntet mit seinem Kommentar aber zustimmendes Gemurmel von der Rückbank. Auch vierzig Jahre nach der Unabhängigkeit sitzt der Groll gegenüber den ehemaligen Kolonialherren tief. Musas Antipathie gegenüber Franzosen speist sich auch aus seiner eigenen Lebensgeschichte. " Frankreich, damit verbinde ich vor allem eines: Areva. Die reißen sich unser Uran unter den Nagel, lassen aber im Gegenzug nur Armut, Krankheit und Konflikt zurück."

Seit mehr als 40 Jahren betreibt der Großkonzern Areva nun schon Uranabbau im kargen Norden des Landes. Der französische Staat, vertreten durch die das "Commissariat à l'énergie atomique et aux énergies alternatives" (CEA), ist Hauptaktionär. Denn der Hunger von insgesamt 58 Atomkraftwerken in der "Grande Nation" will gestillt werden. Kein anderes Land der Welt setzt so sehr auf Atomstrom wie Frankreich. Seinen großen Bedarf an radioaktivem Ausgangsmaterial deckt das Land zu einem Viertel aus nigrischem Uran.

Die Strahlung ist fast allgegenwärtig

Mit einer Jahresproduktion von etwa 5000 Tonnen liegt Areva auf Platz zwei der uranfördernden Unternehmen weltweit und zählt damit schon heute zu den wichtigsten Lieferanten der europäischen Atomindustrie. Zwei Minen ringen dem nigrischen Boden das kostbare Gut ab; eine dritte ist bereits im Bau. Nach ihrer voraussichtlichen Inbetriebnahme im Jahr 2015 soll dort die gewaltige Menge von 5000 Tonnen Uran im Jahr abgebaut werden. Areva würde damit das kasachische Unternehmen KazAtomProm - den derzeitigen Spitzenreiter im profitablen Uran-Geschäft - endgültig vom Thron stoßen.

Die Folgen radioaktiver Belastung sind in Nigers Hauptabbaugebiet Arlit bereits spürbar. Arlit ist die Geburtsstadt von Musa, der größte Teil seiner Familie lebt noch immer dort. Fast alle sind sie bei Areva beschäftigt. Die Bergbaustadt ist umgeben von Wüste. Gäbe es hier kein Uran, wäre die Stadt in dieser unwirtlichen Gegend wohl nie entstanden. Nachdem Anwohner und Beschäftigte über Jahrzehnte immer eindringlicher ihre Bedenken geäußert hatten, untersuchte im Jahr 2003 die französische "Kommission für unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität" (CRIIRAD) die Lage vor Ort. Auch Greenpeace widmete sich 2009 der Angelegenheit. Beide Organisationen kommen zu einem verheerenden Ergebnis: Die Strahlung ist fast allgegenwärtig. Sie verbirgt sich in der Erde, in der Luft und im Wasser, in den Hauswänden, ja sogar im Kochgeschirr.

So lag laut Greenpeace-Bericht der Strahlenwert bei vier von fünf getesteten Wasserproben über der von der Weltgesundheitsbehörde WHO empfohlenen Höchstdosis für Trinkwasser. Denn Areva deckt den gewaltigen Wasserbedarf für den Uranabbau aus dem Grundwasser und leitet die kontaminierten Abwässer anschließend einfach in nahegelegene Seen und Flüsse ab.

Als CRIIRAD auf die Verseuchung von Trink- und Brauchwasser hinwies, reagierte Areva zwar und versiegelte hastig einige nachweislich verseuchte Brunnen - ein Schuldeingeständnis blieb jedoch aus. Niemand wollte so recht zugeben, dass die Kontamination dem Uranabbau geschuldet war. Auch die Untersuchung von Bodenproben im Umfeld der Minen lieferte bedenkliche Ergebnisse. Hier war die Konzentration von Uran und anderen radioaktiven Substanzen etwa hundertmal höher als der Normalwert und überstieg damit deutlich internationale Grenzwerte.

Radioaktiver Abraum für Straßen und Häuser

Es ist nicht sehr schwer, die Ursache für die starken Belastungen zu finden. Bei der Produktion von nur einem Kilogramm Uran fallen etwa 335 Kilogramm Abraum an, der immerhin noch 85 Prozent der Radioaktivität des reinen Erzes enthält. Während dieser Abraum beim Abbau unter Tage in nicht mehr benutzte Stollen verfüllt wird, lädt Areva im Tagebau das verseuchte Schutt-Geröll-Gemisch einfach unter freiem Himmel ab. Über einen Zeitraum von über 40 Jahren hat sich so ein gigantischer Berg aus über 35 Millionen Tonnen radioaktivem Schutt und Chemikalien angesammelt.

Mindestens genauso erschreckend ist: Niemand klärt die Bevölkerung wirklich über die Gefährlichkeit kontaminierter Materialien auf. Und so verwenden viele Anwohner radioaktiven Abraum für den Bau von Straßen und Häusern. Auch für die Abbautätigkeiten nicht mehr benötigte Werkzeuge werden weiterverarbeitet. Kontaminierte Metalle finden so über die lokalen Märkte Verbreitung und werden von der ansässigen Bevölkerung zu Gebrauchsgegenständen umfunktioniert. Selbst ein Kochtopf kann zum strahlenden Risikofaktor werden.

Musa glaubt, dass die Strahlung seinen Vater, der ebenfalls für Areva gearbeitet hatte, das Leben gekostet hat. "Erst war da der Husten", erklärt er, "dann wurde er zusehends schwächer. Er wirkte abgeschlafft. Zuletzt wollte er kaum noch etwas essen. Mit 45 Jahren ist er dann gestorben." Uran als Feinstaubpartikel in der Luft und Radon als radioaktives Gas und Nebenprodukt der Urangewinnung können nachweislich unter anderem Lungen-, Magen-, Leber-, Nieren- und Hautkrebs sowie Leukämie verursachen.

Areva würde Musas Verdacht wohl bestreiten. Genauso wie Areva auch in Dutzenden ähnlicher Krankheitsfälle jeglichen Zusammenhang mit der Beschäftigung im Uranabbau abstreitet. Da Arlit, umgangssprachlich als "Areva-Stadt" bekannt, der größte Arbeitgeber der Region ist, sind auch die örtlichen Krankenhäuser in der Hand des Großunternehmens.

Der Konzern rühmt sich zwar der Bereitstellung kostenloser ärztlicher Versorgung und Nachsorge, doch die Ärzte im Dienste Arevas wollen keinen einzigen Fall von arbeitsbedingter Krebserkrankung festgestellt haben. Und das, obwohl erst ab Mitte der achtziger Jahre - immerhin 15 Jahre nach Beginn des Abbaus - überhaupt Schutzkleidung, wie beispielsweise ein Mundschutz, an Minenarbeiter verteilt wurde. Tatsächlich aber ist etwa die Rate der durch Erkrankung der Atemwege verursachten Todesfälle in der Region Arlit fast doppelt so hoch wie im Rest des Landes. Greenpeace will mit Patienten gesprochen haben, bei denen statt Krebserkrankungen sogar vorsätzlich andere Krankheiten wie AIDS als Ursache der Beschwerden diagnostiziert wurden.

Massiver Eingriff in das Ökosystem

Wer nicht vom Krebs zerfressen wird, den plagt die Ungewissheit: Welchen Risiken war ich wirklich ausgesetzt und wie lange dauert es, bis sich Symptome bemerkbar machen? Musa hat seine Schlüsse gezogen und ist mit seiner Frau und seinen fünf Kindern aus Arlit weggezogen. Er hofft, dass die Strahlung ihn oder seine Familie nicht irgendwann einmal einholen wird.

Die Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung ist mitnichten die einzige, hässliche Folge des Uranreichtums. Der Raubbau bedeutet auch einen massiven Eingriff in das Ökosystem - mit schwerwiegenden Konsequenzen.

So entstammen die mittlerweile mehr als 270 Milliarden Liter Wasser, die für den Abbauprozess verbraucht worden sind, dem Grundwasser, dessen Pegel sich dadurch gefährlich abgesenkt hat. Der gigantische Bedarf ist umso mehr ein Problem, als Wasser in der Region ein äußerst rares Gut ist. Der Verbrauch verstärkt den ohnehin schon rasanten Fortschritt der Wüstenbildung. Die Böden, die nicht ohnehin schon durch die Flächen intensiven Bergbauaktivitäten als Nutzland wegfallen, veröden nach und nach und werden als saisonale Weidefläche zunehmend unbrauchbar.

Dagegen regt sich zunehmend Widerstand. Die Vergabe von Schürfrechten an ausländische Konzerne - bis 2007 hatte Frankreich sogar ein Monopol auf den Uranabbau im Niger - ist immer wieder Anlass für lokal agierende Milizen, den bewaffneten Kampf fortzuführen. So ist die gerechtere Verteilung der Einnahmen des Uranbergbaus auch eine der Forderungen der bewaffneten Miliz "Mouvement des Nigériens pour la justice" (MNJ).

Das Uranvorkommen und sein Abbau erhöhen somit das ohnehin hohe Konfliktpotential. Aufgrund ihrer Instabilität und Komplexität firmiert die Großregion um den Niger unter Sicherheitsexperten unter dem Spitznamen "Sahelistan". "Al-Qaida im Islamischen Maghreb" (AQMI), die USA, Frankreich und zahlreiche weitere Akteure tummeln sich hier und verfolgen verschiedenste Interessen.

Der rücksichtslose Abbau schürt Ressentiments

Zuletzt erregte ein Selbstmordschlag im Mai 2013 auf die Mine in Arlit internationale Aufmerksamkeit. Dabei wurden ein Areva-Mitarbeiter getötet und 15 weitere verletzt. Wahrscheinlich geht auch dieser Angriff auf das Konto des ehemaligen AQMI-Kommandeurs Mochtar Belmochtar, der mit seiner Gruppe al-Mouthalimin (zu Deutsch etwa "Die mit dem Blut unterzeichnen") Anfang 2013 bereits einen ähnlichen Anschlag auf das Gaswerk In Amenas in Algerien verübt hatte. Zwar galten die Angriffe mehr den zum Schutz stationierten französischen Truppen denn dem Konzern selbst, doch der rücksichtslose Abbau schürt Ressentiments, die ein Großteil der Bevölkerung gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht ohnehin teilt.

Als 2010 in Arlit fünf französische Staatsbürger entführt wurden, die im Dienste von Areva standen, nahm Frankreich dies zum Anlass, seine militärische Präsenz in der Region zu verstärken. Der neuerliche Selbstmordschlag veranlasste Präsident François Hollande, noch einmal zu beteuern, dass er alles daran setzen werde, französische Interessen im Niger zu wahren und den Schulterschluss mit der nigrischen Regierung im "Kampf gegen den Terrorismus" zu suchen.

Doch wie ist es möglich, dass der Niger derart schamlos ausgebeutet werden kann? Jedes Mal, wenn Musas Auto durch ein Schlagloch saust, weil es entweder zu groß ist, um es zu umfahren, oder einfach die schiere Menge an Schlaglöchern ein Ausweichen unmöglich macht, dringen diese Fragen schmerzlich ins Bewusstsein. Warum versetzen die immensen Uranreserven, die immerhin acht Prozent des weltweiten Vorkommens ausmachen, das bitterarme Land nicht in eine komfortable Machtposition? Warum lassen sie den Niger nicht so florieren, wie es beispielsweise die Ölvorkommen in den arabischen Ländern vermögen?

Vor allem die geografische Abgeschiedenheit und der Platz des Niger fernab der Weltbühne spielen Areva in die Hände. Dank alter kolonialer Seilschaften trifft der Konzern auf praktisch keine bürokratischen Hürden und "Störenfriede", die in Gesundheits- und Umweltfragen den Finger in die Wunde legen. Denn auch in medialer Hinsicht ist das Land relativ abgeschieden: Der Niger gerät - wie die meisten Sahel-Staaten - nur dann in die Schlagzeilen, wenn dort mal wieder eine Hungersnot herrscht oder europäische Staatsbürger entführt werden.

Areva überschüttet sich mit Eigenlob

Trotz der widrigen Standortfaktoren bleiben die Nigrer jedoch nicht vollends untätig. Einige, wie Musa und seine Familie, verlassen die direkt betroffenen Regionen. Andere nehmen den Kampf vor Ort auf - auch wenn die Auseinandersetzung aussichtslos anmutet. Aufklärung und internationale Berichterstattung über das schmutzige Geschäft des Uranabbaus haben zur Gründung vieler Nichtregierungsorganisationen geführt, die sich der Problematik annehmen und sich nicht von der scheinbaren Allmacht des Großkonzerns einschüchtern lassen.

Dies hat auch die nigrische Regierung dazu bewogen, die Konditionen des Abbaus neu auszuhandeln. Ziel ist, dem Land ein größeres Stück des kostbaren "Urankuchens" (in der Branche heißt die erste Verarbeitungsstufe des Erzes "Yellow Cake") zu sichern und die Erlöse in die Armutsbekämpfung zu investieren. Wirkliche Fortschritte oder gar neue Konzessionen kann die Regierung von Präsident Mahamdou Issoufou, selbst erst nach einem Militärputsch seit 2011 im Amt, bislang allerdings nicht vorweisen.

Und Areva? Der Großkonzern überschüttet sich in Unternehmenskommuniqués mit Eigenlob. Die dort gemachten Aussagen stehen der Darstellung der Konzerngegner diametral entgegen. Areva streitet die Vorwürfe rundweg ab und sieht sich vielmehr als wichtigen Förderer der nigrischen Wirtschaft, preist die gezielte Unternehmensstrategie in den Bereichen Risikoprävention und Umweltschutz und rühmt sich nicht zuletzt, dass Dialog und Transparenz wichtige Schlüsselelemente von Arevas industriellen Aktivitäten seien. Gerade diese Behauptung muss den Bergbaugegnern sauer aufstoßen. In einer Erklärung der lokalen Organisation "Aghirinman" heißt es: "Es scheint, als seien Kameras im Rahmen der von Areva inszenierten Medienoffensive willkommen - nicht aber Messgeräte, die radioaktive Strahlung nachweisen könnten."

Dieser Artikel entstammt der aktuellen Ausgabe des Magazins

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