Martina Kix

Chefredakteurin ZEIT CAMPUS, Hamburg

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SPD-Kanzlerkandidat: Mein Gott, Schulz!

Beim letzten Mal war die Kanzlerin noch vorbereitet. Als die SPD 2012 den Herausforderer Angela Merkels bestimmte, lancierten deren Leute kurz darauf eine Giftliste: Informationen zum SPD-Kandidaten Steinbrück. Auf zwölf DIN-A4-Seiten hatten die Wahlkämpfer aus der CDU-Zentrale allerlei Kritisches zusammengetragen, darunter Peer Steinbrücks zahlreiche Vorträge und seine hohen Honorare. Also genau das, was ihm fortan Schwierigkeiten bereiten sollte.

Heute, vier Jahre später, sind es die Sozialdemokraten, die vorbereitet wirken. Ihr Kandidat Martin Schulz wird von einer regelrechten Euphoriewelle getragen; die Euphorie nährt die Wahlumfragen, und jede neue Wahlumfrage nährt die Euphorie. Zu Wochenbeginn lag die SPD erstmals seit zehn Jahren wieder vor der Union, und auch wenn Umfrageergebnisse keine Wahlergebnisse sind und die Bundestagswahl erst in sieben Monaten ansteht: Die Kanzlerin scheint angreifbar, eine Giftliste wie vor vier Jahren haben Merkels Leute nicht - und Martin Schulz profitiert von einem Hype im Netz, der schon länger angelegt war. Lange bevor Schulz tatsächlich Kandidat wurde.

Am Morgen des 24. November 2016 eröffnet das Reddit-Mitglied sillymaniac das Forum "the_schulz". Reddit ist eine Internetplattform, auf der registrierte Nutzer Fotos und Texte veröffentlichen können. Hinter jedem Forum stehen mehrere Moderatoren, die genau beobachten, was andere posten. Mitlesen kann jeder, auch ohne registrierten Account. Auf der Seite "the_schulz" gelten nach Angaben der Moderatoren zwei Regeln: "Es ist ausschließlich fürsprechende Propaganda für Martin Schulz zu pfostieren." Und: "Jegliche Art der Rede gegen Martin Schulz wird mit sofortiger Verbannung auf Lebenszeit geahndet." So steht es dort.

Inzwischen feiern Tausende auf "the_schulz" den SPD-Mann als Helden. Sie bauen Fotocollagen, spinnen die Idee des unaufhaltsamen Wahlkämpfers weiter. Auf einem Foto hat ein Nutzer den Kopf von Martin Schulz auf eine Lokomotive montiert. Seitdem hat der Hype einen Namen: der #schulzzug. Es gibt ein Bild, das Martin Schulz als Jesus zeigt. Auch bei Facebook, Twitter oder Instagram teilen Menschen Bilder oder Videos des Kandidaten - so wie sonst nur bei dem US-Sternchen Kim Kardashian oder dem Schauspieler Ryan Gosling.

Man kann das banal finden, sollte aber die Macht des Internets nicht unterschätzen. Die kommende Wahl wird nicht nur in Fußgängerzonen oder beim TV-Duell entschieden - sondern auch im Netz. Jeder kann dort Bilder mit politischen Botschaften montieren, einen Account in einem sozialen Netzwerk anlegen und sich in den Wahlkampf einmischen. Gleichzeitig bleiben viele Urheber gern unerkannt.

Wer also steckt hinter "the_schulz"?

Auch die Gründer dieser Gruppe wollen lieber anonym bleiben. Eine Gesprächsanfrage der ZEIT lehnten sie ab. Einer Onlineredaktion schrieben sie per Mail, sie seien ein bunter Haufen und hätten die Nase voll von billigem Populismus im Internet. Auf eine Mail der ZEIT antwortete einer der Moderatoren, sie müssten anonym bleiben, weil sie "Vergeltungsschläge" fürchteten. Weitere Nachfragen würden nicht beantwortet. Und so war es dann auch.

Mit einer einfachen Google-Suchabfrage lassen sich aber weitere Beiträge eines Moderators im Netz finden - auf der Seite eines SPD-Ortsvereins in Hessen.

In der Wahlkampfzentrale der SPD im Berliner Willy-Brandt-Haus bestreitet man, etwas mit "the_schulz" zu tun zu haben. "Wir beobachten die Kampagne und freuen uns über die Unterstützung, mischen uns aber nicht ein", sagt Tobias Nehren, der Leiter Digitale Kommunikation. Und den Hashtag #schulzzug sollten SPD-Offizielle nach dem Willen der Wahlstrategen am besten gar nicht benutzen. Ihre Sorge: Der Hype könnte kippen, sollte das Ganze doch wie eine Initiative der Partei aussehen.

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