HIV-positiv. Als Anton 1994 diese Diagnose erhält, bricht für ihn eine Welt zusammen. Eine Routineuntersuchung bei seinem Hausarzt und zwei weitere Bluttests hatten damals seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. „Ich war mit einem Mann zusammen, dem ich vertraut habe", erzählt er heute, 23 Jahre später. „Das ging schief."
Mittlerweile ist Anton 51, verheiratet und lebt im Landkreis Kitzingen. Dass sein Ehepartner Holger ein Mann ist, ist eigentlich nichts Besonderes mehr - spätestens seit der Ehe für alle ist Homosexualität in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In ihrem Wohnort sind die beiden in verschiedenen Vereinen aktiv, von Nachbarn und Bekannten akzeptiert.
„Da hat sich in den letzten Jahren viel getan", sagt Holger, der ebenfalls HIV-positiv ist. „Vor zehn Jahren hätte ich mich nicht geoutet." Dennoch: Die Namen Anton und Holger sind erfunden. Ihre wahre Identität wollen die beiden nicht preisgeben. Zu groß ist ihre Angst vor Ablehnung und negativen Reaktionen, sollte ihr Umfeld von ihrer HIV-Infektion erfahren.
„Viele Menschen sind noch nicht aufgeklärt genug", sagt Anton. „Es gibt sogar einige Ärzte, die einen deswegen ablehnen." Und auch mit dem Vorurteil, HIV und Aids beträfen nur Schwule, habe er zu kämpfen. Tatsächlich stellen homo- und bisexuelle Männer mit rund 50 Prozent eine große Gruppe unter den Infizierten dar - Heterosexuelle können sich aber durchaus auch anstecken. Dass Männer, die mit Männern schlafen, häufiger betroffen sind, liegt daran, dass die HI-Viren bei Analverkehr leichter übertragen werden als bei zum Beispiel Vaginalverkehr.
Als Anton vor 23 Jahren von seiner Infektion erfuhr, rechnete er mit dem Schlimmsten. „Ich dachte, so etwas wie einen Bausparvertrag brauche ich jetzt nicht mehr abzuschließen. Das Geld bekomme ich sowieso nicht mehr", erzählt er. Nach der Diagnose habe er sich zunächst krankschreiben lassen. „Ich musste das erst mal verdauen."
Wie groß der Schock nach einem positiven HIV-Test sein kann, weiß auch Michael Koch, der Leiter der Aids-Beratung Unterfranken mit Sitz in Würzburg. „Es gibt noch immer Menschen, die denken, sie hätten mit HIV keine Zukunft mehr", sagt er. Doch das sei nicht der Fall. Durch moderne Medikamente sei zwar keine Heilung, wohl aber eine Behandlung möglich.
Die Immunschwächeerkrankung Aids, bei der die Abwehrkräfte der Betroffenen durch die HI-Viren so schwer geschädigt sind, dass andere Erreger nicht mehr ausreichend bekämpft werden können, müsse nicht ausbrechen, so Koch. Durch Tabletten könne die Virenzahl im Körper so gering gehalten werden, dass die Krankheit nicht ausbricht. Auch andere Menschen könnten infizierte Personen dann nicht mehr anstecken.
Dennoch: „Das ist keine Lappalie", erklärt Koch. „Die Medikamente rufen starke chemische Reaktionen im Körper hervor, die weit in die Zellen eingreifen. Langzeitfolgen sind durchaus möglich." Und auch wenn Deutschland im europäischen Vergleich gut dastehe, warnt Koch davor, HIV auf die leichte Schulter zu nehmen. Die Infektion sei nach wie vor ein Problem - auch in Unterfranken.
Rund 900 HIV-positive Menschen leben hier Schätzungen zufolge. Drei Patienten seien im vergangenen Jahr durch ihre Aids-Erkrankung gestorben, so Koch. Etwa 30 Menschen stecken sich im Regierungsbezirk jährlich neu mit dem Virus an. „Viele Neuinfektionen entstehen, weil Betroffene nicht wissen, dass sie den Virus in sich tragen und ihn versehentlich weitergeben", sagt der Leiter der Aids-Beratung.
Dem könne man vorbeugen, indem man Kondome verwende und sich nach einem Risikokontakt testen lasse. Solch einer sei zum Beispiel ungeschützter Geschlechtsverkehr mit einer fremden Person.
Innerhalb eines kurzen Zeitraums nach einem solchen Kontakt sei auch eine prophylaktische Behandlung mit HIV-Medikamenten möglich, die das Ansteckungsrisiko verringert. „Das bringt auf jeden Fall etwas", sagt Koch. Eine Übertragung des Virus durch infizierte Nadeln, etwa beim Drogenkonsum, sei zwar ebenfalls möglich, aber recht selten.
Testen lassen können sich Betroffene beim Hausarzt oder anonym in allen Gesundheitsämtern. Und auch in der Aids-Beratungsstelle selbst werden regelmäßig Schnelltests durchgeführt. Zuverlässige Ergebnisse liefern sie allerdings erst einige Wochen nach der Infektion.
Nach einem positiven Testergebnis sind Medikamente - trotz etwaiger Langzeitfolgen - unabdingbar. „Wenn ich die Pillen nicht hätte, wäre ich längst tot", sagt Anton, der zeitweise mit starken Nebenwirkungen zu kämpfen hatte. „Zum Glück wurden die Medikamente über die Jahre aber so gut, dass wir heute kaum noch Nebenwirkungen haben", sagt sein Mann Holger. „Wir können ganz normal alt werden."
Dennoch ist ihr Leben von Arztbesuchen geprägt. Alle drei Monate müssen die beiden zu Untersuchungen, um ihre Leber und Nierenwerte überprüfen zu lassen. „Das machen wir immer zusammen", sagt Holger. Besonders unangenehm sei es ihm, wenn er wegen der Arzttermine bei der Arbeit lügen müsse. Doch die Wahrheit will er dort nicht preisgeben - aus Angst vor einer Kündigung. Verpflichtet, seinem Arbeitgeber von seiner Infektion zu berichten, ist er nicht.
Infiziert hat sich Holger erst Jahre nach Anton, den er damals nur entfernt kannte. Ein dritter Mann war damals an Anton interessiert, der wollte jedoch nur mit einem HIV-positiven Partner zusammen sein. „Der versteht einen besser", sagt er. Um seine Chancen bei ihm zu erhöhen, habe sich sein Verehrer absichtlich mit HIV infiziert, erzählt Anton. Das könne er bis heute nicht begreifen.
Er ließ ihn trotzdem abblitzen - da versuchte der Zurückgewiesene sein Glück bei Holger und steckte diesen an. „Dann haben wir uns in Verbindung gesetzt", sagt Holger. „Das hat uns zusammengebracht." In der Zeit danach habe Anton ihn sehr unterstützt und ihm geholfen, mit der Situation klarzukommen. Solche Hilfe ist laut Michael Koch für Betroffene besonders wichtig. „Man sollte sich jemanden suchen, mit dem man reden kann", sagt er. Ein großes Problem sei dabei noch immer die Scham, sich mit HIV infiziert zu haben. Einen Grund dafür gebe es nicht. Genauso wenig wie für Vorurteile gegenüber HIV-positiven Menschen - schließlich führen sie ein fast normales Leben.
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