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Interview: Ein Polizeichef über Silvester, Corona-Leugner und Rassismus

Im Jahresrückblick spricht Wolfgang Remelka darüber, wie die Polizei mit Corona umgeht, wie man sich fühlt, wenn man Corona-Leugner schützt, und was seine schönsten Momente waren.

Schon lange nicht mehr war die Polizei so stark im Gespräch wie 2020. Der Lohrer Polizeichef Wolfgang Remelka, 57, hat ein Jahr mit vielen schönen Momenten und noch mehr Herausforderungen hinter sich. Könnte das Jahr an Silvester noch mit einem großen Knall enden?  


Frage: Wenn Sie auf Ihr Berufsjahr 2020 zurückblicken, was fühlen Sie?

Wolfgang Remelka: Man hat es noch nie so oft gehört, wie in den letzten Monaten: Bleiben Sie gesund. Deshalb bin ich froh, dass meine Mitarbeiter vor Corona bisher verschont geblieben sind (Remelka klopft dreimal auf den Tisch).


Damit wären wir schon bei dem Thema des Jahres: Corona. 

Remelka: Ja, das war ein Kraftakt Anfang des Jahres. Wir sind hier in Lohr aber Gott sei Dank nicht alleine. Wir haben uns viel mit den Nachbardienststellen, dem Präsidium und dem Ministerium ausgetauscht, und ein eigenes Hygieneschutzkonzept entwickelt.

Wie würde Ihre Inspektion funktionsfähig bleiben, wenn zu viele Polizisten in Quarantäne müssten?


Remelka: Wir haben unterschiedliche Schichtpläne. Aus den fünf Dienstgruppen, die im Schichtbetrieb arbeiten, hätten wir dann vielleicht vier oder drei gemacht, die dann in einem kürzeren Rhythmus ihren Dienst verrichten. Wenn das gar nicht funktioniert hätte, wobei wir da weit entfernt sind, würden uns die anderen Inspektionen unterstützen.


Zum Kerngeschäft der Polizei: Zwar gibt es noch keine landkreis- aber dafür bundesweite Statistiken. Die sprechen von zurückgehenden Delikten, von weniger Autounfällen in diesem Jahr. Wie ist es bei Ihnen? 


Remelka: Der erste Lockdown war ein kurzes Luftholen – einige Mitarbeiter konnten Überstunden abbauen und Schreibarbeiten erledigen. Im Sommer ging es dann wieder voll los. Die Leute wollten raus. Der Main war auch bei uns ein Treffpunkt, auch an etlichen neuen Stellen. Da hatten wir dann Gruppenbildung, Ruhestörungen, Vermüllungen. Da wurden unsere Polizeibeamten gefordert. 


Und im zweiten Lockdown?

Remelka: Für eine Aussage ist es noch zu früh. 


Sie haben schon öfter davon gesprochen, dass Alkohol in der Öffentlichkeit zu Problemen führt. Haben Sie in dem Zusammenhang Angst, dass wenn an Weihnachten die Regeln gelockert und über Silvester wieder härter werden, das Jahr noch einmal mit einem Knall endet?


Remelka: Das befürchte ich nicht. Außerhalb der Familientreffen ist nichts gelockert, auch nicht die Ausgangssperre nach 21 Uhr. Wenn eine Feier ausufern würde, wie es manchmal der Fall ist, beschwert sich die Nachbarschaft wegen Ruhestörung. Auf diese Weise wird so etwas bekannt.


In dem Zusammenhang fallen dann oft gleich die Worte "Denunziantentum" und "Blockwart". 

Remelka: Es ist nicht die Regel. Aber es kam auch schon bei uns vor, dass der Nachbarschaftsstreit, der schon seit Jahren bestand, zu einem Anruf wegen Missachtung der Schutzmaßnahmen bei der Polizei geführt hat. 


Und die Polizei ist verpflichtet, dem nachzugehen? 

Remelka: Ja. Wir werden sicher nicht eigeninitiativ in irgendwelche Wohnungen gehen und Haushalte zählen.


Hat sich die Stimmung in der Bevölkerung im Gegensatz zum ersten Lockdown verändert? 

Remelka: Dass ein Lockdown nervig ist, klar. Im Großen und Ganzen halten sich die Leute an die bestehenden Regelungen. Vergangene Woche hat mal ein Mann um 22 Uhr seinen Rausch durch die Fußgängerzone heimgetragen. So etwas ist die Ausnahme.


Bereiten Sie sich auf Silvester anders vor als in den vergangenen Jahren? 

Remelka: So ganz gleich ist es nicht. Wir wissen ja nicht sicher, wie die Bevölkerung mit diesem Silvester umgeht. Die Jugend will ja irgendwo feiern und darf es nicht. Aus anderen Bereichen hört man, dass sich noch das Kaffeekränzchen oder der Schafkopfkreis trifft. Eltern stellen den Partyraum für die Jugend zur Verfügung. 


Können Sie das nachvollziehen? 

Remelka: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir reden von einem dreiviertel Jahr, in dem wir in der ein oder anderen Weise eingeschränkt sind. Von daher ist es für mich nachvollziehbar, bis zu einem gewissen Maß natürlich. Jetzt, wo die Todeszahlen steigen, was im ersten Lockdown nicht so schlimm war, denken die Leute eh langsam um. Es ist ja nicht nur die Jugend, die über die Stränge schlägt, es sind genauso die Senioren. Aber gerade die werden jetzt sensibel, weil sie die Folgen von Corona aus unmittelbar aus dem Bekanntenkreis mitbekommen. 


Hatten Ihre Beamten Probleme mit regelrechten Corona-Leugnern?

Remelka: Soweit ich weiß, gab es hier keine. 


Was halten Sie als Staatsbediensteter davon, wenn auf solchen Demos geschrien wird, dass Deutschland eine Diktatur sei, während Sie als Staatsbedienstete deren Demonstrationsrechte durchsetzen?

Remelka: Ich will nur so viel sagen: Jeder Polizist ist Mensch und hat seine eigenen Gedanken. Die Uniform ist kein Panzer. Aber wir haben eben einen gesetzlichen Auftrag. Der lautet: Wir schützen jede genehmigte Versammlung, ganz egal ob Kernkraftgegner oder Rechtsextreme, ob für oder gegen die B26n, ob man das Thema persönlich gut oder schwierig findet.


Die Polizei war in diesem Jahr so oft im Gespräch, wie schon lange nicht mehr, angefangen mit den Black Lives Matter-Protesten. Gefühlt jede Woche wird eine neue rechtsextreme Chatgruppe innerhalb der Polizei aufgedeckt. Wie sehr strahlen solche nationalen und internationalen Debatten ins Lokale ab?

Remelka: Diese Themen beschäftigen meine Mitarbeiter unmittelbar. Nur wenige Wochen nach dem tragischen Tod von George Floyd mussten wir hier in Lohr einen Streit schlichten. Wir haben eine renitente Person festgenommen, die keine weiße Hautfarbe hatte. Sofort wurden wir als Rassisten hingestellt, wobei unzweifelhaft feststand, dass das ein Aggressor war. Es entwickelte sich eine Gruppendynamik. Die Kollegin, die die Szene abschirmte, wurde mit Handy gefilmt und fand sich zwei Tage später im Internet wieder. 


Auf der anderen Seite: Wie wollen Sie verhindern, dass die angesprochenen Probleme, die es in der Polizei ja nachweislich gibt, nicht hier in den Landkreis sickern?  

Remelka: Wir diskutieren permanent darüber, auch wenn es dieses Jahr ein wenig schwieriger ist. Ich hatte noch nie so viele Telefonschaltkonferenzen wie in diesem Jahr. Nicht nur wir Dienststellenleiter haben da ein wachsames Ohr in die Mannschaft. Der Appel geht über die Zwischenvorgesetzten, an die Gruppenleiter bis hin zum letzten Mitarbeiter. Das beginnt mit der Wortwahl. Manche Begriffe sind einfach unpassend. Und wenn Kollegen merken, dass einer in falsches Fahrwasser gerät, hat das natürlich auch dienstrechtliche Konsequenzen. 


Ist das schon vorgekommen?

Remelka: Nein, ist es nicht. 


Ich will diesen Jahresrückblick nicht so ernst beenden. Gibt es eine Geschichte, die Ihnen aus 2020 positiv im Gedächtnis bleiben wird? 

Remelka: Sogar zwei. Unser Wagenpfleger, das ist noch gar nicht so lange her, hat einen Straftäter auf frischer Tat ertappt und festgenommen. Direkt vor der Polizeiinspektion wollte früh morgens ein Mann das Handy einer jungen Frau rauben. Der Wagenpfleger hat das zufällig beobachtet, ist hingelaufen und hat den Täter trotz Gegenwehr bis in die Station gezerrt. 


Und die zweite? 

Remelka: Das war im Frühjahr die Verurteilung zweier Liebesbetrüger. Einer der beiden hatte einer hier wohnhaften Frau die große Liebe versprochen, es aber nur auf deren Vermögen abgesehen. Am Anfang gab es kaum Ermittlungsansätze. Unsere hartnäckige Ermittlerin trug dann Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen zusammen und fand die wahre Identität der Täter heraus. Im Sommer 2019 wurden die beiden im Ruhrgebiet festgenommen. Der Haupttäter wurde zu drei Jahren und drei Monaten, sein Komplize zu zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Richter lobte in seiner Urteilsbegründung extra die Ermittlerin, ohne deren Engagement dieser Fall wohl nie aufgeklärt worden wäre. Auf solche Mitarbeiter kannst du stolz sein.


Haben Sie einen Vorsatz fürs nächste Jahr?

Remelka: Nö. Mit 57 Jahren merkt man, dass man die immer über den Haufen werfen wird. Man kann einfach nie voraussehen, was passieren wird. 2020 ist das beste Beispiel dafür. 

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