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Was bleibt übrig vom Startup-Hype?

Vor anderthalb Jahren startete das Digitale Gründerzentrum in Lohr. Was passiert dort? Was taugt der Landkreis als Gründungsort? Hat bisher irgendein Start-up etwas gerissen?

Die Spessarter sind ein spezielles Völkchen. Es heißt, sie sollen gemütlich, versöhnlich und zugleich offen sein. Der Menschenschlag gehöre dem wohlgebildeten an: das Fassungsvermögen leicht, das Urteil richtig. Das, und noch viel mehr, schrieb der Lohrer Arzt Joseph Goy vor 160 Jahren über seinen Bezirk. Menschenschlag. So ein Wort läuft einem heute nicht mehr oft über den Weg. Manuel Mühlbauer nimmt es während der Videokonferenz trotzdem in den Mund: "Als Gründer, vor allem als digitaler, bist du ein gewisser Menschenschlag. Du hast schon sehr viel zerdacht, um deine Lücke zu finden, von der aus du dann einen breiten Markt erobern kannst."


Mühlbauer will mit seinem Startup FutureImmersion die Architektur- und Immobilienbranche digitalisieren und, im Optimalfall, auch revolutionieren. Mit Künstlicher Intelligenz soll es einfacher werden, nachhaltige Gebäude zu entwerfen und dabei die Baukosten im Blick zu behalten. Er ist gerade einer der sechs Mieter im Starthouse Spessart. Das Gründerzentrum, das vor anderthalb Jahren in der Lohrer Vorstadtstraße im Energie-Gebäude öffnete, soll Innovationsschmiede sein, die regionale Wirtschaft mit kreativen Entwicklern und digitalen Geschäftsideen vereinen. So soll in Zukunft die Attraktivität des Landkreises gesichert werden. Die Ansprüche an das Starthouse könnten also höher nicht sein. Doch sind sie auch realistisch? 

Das sind das Starthouse und seine Gründer

Zur Videokonferenz haben sich neben Mühlbauer noch drei weitere Gründer und Wolfram Klug, der Interimsleiter, des Starthouse zugeschaltet. Das Gespräch findet nicht über Skype oder Zoom statt, sondern über unterricht-im-netz.de. Der Dienst wurde vom Arnsteiner Startup intelliqo entwickelt und läuft, nur so nebenbei, auch flüssiger als die Konkurrenz von Microsoft. Die Arnsteiner könnten heute leider nicht dabei sein, sagt Klug.

Dafür aber Christian Maier. Mit cherry-click arbeitetet er an einem Programm, um Verwaltungsprozesse in Kindertagesstätten und Schulen zu digitalisieren. Für diese Idee haben sie die "Start?Zuschuss!"–Förderung des bayerischen Wirtschaftsministeriums gewonnen. Eine der schönsten Gründungserfahrungen, sagt Maier.

Da ist auch noch Gennarino De Luca. Er hat gleich zwei Geschäftsideen. Auf maingutschein.de bietet er digitale Gutscheine für Gastronomie, Handel und Dienstleistungen an, "Jochen Schweizer für Main-Spessart" sagt er selbst und muss lachen. Dazu kommt noch Pic of the day, eine Plattform auf der Fotografen ihre Fotos verkaufen können.

Der Älteste in der Runde ist schon 58

Der älteste in der Runde ist Chinmay Doctor. Der gebürtige Inder lebt seit 30 Jahren in Lohr, hat sogar schon ein Unternehmen aufgebaut. Mit 58 Jahren will er es noch einmal wissen. Über seine Job-Plattform CD Recruiting können deutsche Firmen indische Fachkräfte suchen. Über workwisely können sie sich von indischen Fachkräften Dinge programmieren lassen.


Der Spessarter Gründer passt so gar nicht zum Klischee der jungen wilden Hochschulabsolventen, die alles auf eine Karte setzen. Frei nach dem Bezirksarzt Goy: der Spessarter Start-up-Gründer hat schon etwas (Berufs-)Erfahrung. Mit etwas über 40 Jahren gehört er laut dem Deutschen Startup Monitor zu Älteren Gründern. Aber Main-Spessart ist auch nicht Berlin. Wolfram Klug: "Die Ideen hier sind viel durchdachter und bodenständiger. Hier will niemand zum Mond fliegen."

Bei "Die Höhle der Löwen", der beliebten Gründer-Show auf Vox, wird man sie aller Voraussicht nach auch nicht sehen. Fällt nur der Titel, rollen kollektiv die Augen. "Älter zu sein, hat auch Vorteile. Da sind wir Lohrer spezieller. Wir haben gelernt, unsere Projekte quer zu finanzieren. Wir suchen zwar Investoren, sind aber nicht von ihnen abhängig", sagt Maier. 


So eigen die Main-Spessarter sind: Ein paar Klischees treffen dann doch zu. Ein Arbeitstag könne auch in Lohr mal von 6 bis 23 Uhr gehen, sagen die vier. Am Wochenende träfen sie sich regelmäßig an der Kaffeemaschine im Starthouse. Doctor sagt: "Gründen ist kein normaler Job. Sonst wären die Stunden nicht zu rechtfertigen."

Wie gut ist Main-Spessart für Start-ups geeignet?

Das Starthouse ist so etwas, das man auf Neudeutsch Co-Working-Space nennen könnte, ein paar Selbstständige teilen sich ein Büro. Es hat jedoch mehr zu bieten als nur einen billigen Arbeitsplatz und ein paar Konferenzräume. Zum einen wäre da der Austausch mit den anderen Gründern und den knapp zwei Dutzend Netzwerkpartnern. "Wir vertiefen uns manchmal zu sehr in die eigene Idee. Da sind andere Perspektiven wichtig, vor allem von Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind", sagt Doctor. Nicht jeder habe schon mal eine Firma aufgebaut oder eine Leitungsfunktion gehabt, fügt Maier an. Es geht aber auch um profanere Dinge, für die früher Lisa Straub und heute Wolfram Klug zuständig ist: Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es? Wie lässt man sich einen Markennamen schützen? 

Die Hauptaufgabe des Starthouse ist jedoch, zu vermitteln.


 "Ein Gründer braucht drei Ks: Know-How, Kapital und Kontakte." Das sagt Sascha Genders. Der stellvertretender Geschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt ist einer der Schlüsselfiguren in der Mainfränkischen Gründer-Szene. Man kennt sich untereinander. Geht es um Investitionen, Öffentlichkeit, Austausch: das Lohrer Starthouse ist hier über den Landkreis hinaus gut vernetzt. Das sei das A und O, wiederholen auch die vier Lohrer Gründer gebetsmühlenartig.

All das haben aber Berlin oder München auch. Wie soll Mainfranken, und noch spezieller Main-Spessart, mit den Großen mithalten? "Zum einen sind wir hier ziemlich zentral. Der buchstäbliche Mittelpunkt Europas ist direkt in der Nähe", sagt Genders. Zum anderen gebe es eine sehr breit aufgestellte Wirtschaft. Für jede Idee gibt es praktisch einen potenziellen Interessenten.


Das sagen auch die Lohrer. Wolfram Klug glaubt, dass vor allem die kurzen Wege der Vorteil von Lohr sind. Wie kommen die kreativen Digitalen zum Mittelstand und der Mittelstand zu den kreativen Digitalen? Das sei oft banal. "Wenn du ein Projekt mit Rexroth oder der Stadt machen willst, dann läufst du den Verantwortlichen einfach im Café über den Weg. In Berlin passiert das eher nicht." Genau auf diese Symbiose zwischen Mittelstand und digitalen Gründern, sagt Genders, laufe es im Optimalfall raus. 

Es gibt noch viel zu tun – vor allem in der Infrastruktur

Das Büroleben verschiebt sich in Richtung Homeoffice, Meetings werden zu Videokonferenzen. Die Arbeitswelt wird digitaler. Es werde deshalb immer egaler, wo gegründet wird, glauben die Gründer. Gennarino de Luca:"Ideen entstehen im Kopf, nicht an Orten." Das kann ein großer Vorteil für Main-Spessart sein – oder richtig hart nach hinten losgehen. 


Denn der Landkreis nimmt in Bayern einen traurigen Spitzenrang ein. Es gibt einfach zu viele Funklöcher. 38 Ortsteile sind unterversorgt, zeigt eine Landtagsanfrage der SPD. Nicht viel besser sieht es bei schnellem Internet aus. Der Glasfaser-Ausbau ist seit Jahren leidiges Thema – in den Dörfern, Städten und Gewerbegebieten. Digitale Start-ups ohne Internet. Schwierig. Oder wie Sascha Genders es ausdrückt: "Du brauchst nicht über Innovationsförderungen reden, wenn du die Grundvoraussetzungen nicht hast."

Lesen Sie hier die Quellen:

Dazu kommt, dass sich dieser ganze Start-Up-Hype, der irgendwann ja in dieser zum Augenrollen verleitenden TV-Show gipfelte, nicht in den Main-Spessarter Gründungsstatistiken niederschlägt. Zwar melden noch immer mehr Menschen ein Unternehmen an als ab (die IHK unterscheidet hier nicht zwischen Start-up oder Schreinerei). Die Anmeldungen stagnieren jedoch seit Jahren, während es immer mehr Unternehmen gibt, die keinen Nachfolger mehr finden. Jeder siebte Unternehmer in Mainfranken, der seine Firma aufgibt, tut das schon jetzt ohne einen Nachfolger gefunden zu haben. Und mit jedem Unternehmen fällt ein Arbeitsplatz weg, wenn nicht gleich mehrere.

Geht es nach Genders, werden die Gründer von heute aber die Chefs von morgen. Praktisch Nachwuchs für den Mittelstand. Denn selbst wenn die ursprüngliche Idee scheitere, sammeln sie zumindest Erfahrung, mit der sie einen der frei werdenden Chefsessel übernehmen könnten. Genders sagt deshalb: "Scheitern ist Kopfsache." 


Scheitern. Dazu gibt es eine Start-up-Faustformel: In den ersten drei Jahren nach der Gründung verschwinden 50 Prozent wieder vom Markt. Die vier Gründer aus Main-Spessart werden diese Marke knacken. Da sind sich alle sicher. Und schon der Bezirksarzt Goy hat es vor 160 Jahren gewusst: Der Spessarter liegt mit seinem Urteil in der Regel richtig. 

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