Anne Will, ARD
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth erntet Gelächter bei Anne Wills Talkrunde zum Fall Deniz Yücel. Der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner kommt kaum zu Wort.
Anne Will ist zurück aus ihrer Zwangspause. Nach Chaos-Tagen um GroKo und SPD hätte sie am vergangenen Sonntag reichlich Stoff für einen spannenden Talk gehabt. Die Redaktion der Sendung fand aber keine geeigneten Gäste. An diesem Sonntagabend ist es anders. Das Thema ist aber nicht die GroKo, sondern die überraschende Freilassung von „Welt"-Journalist Deniz Yücel. Der 44-Jährige hatte 367 Tage in der Türkei wegen Terrorvorwürfen ohne Anklage in Untersuchungshaft gesessen und wurde am Freitag aus dem Gefängnis entlassen. Daher fragt Anne Will: „Deniz Yücel ist frei - was bedeutet das für das Verhältnis zur Türkei?"
Vorweg: Eine hitzige Debatte bekommen die Zuschauer an diesem Abend nicht zu sehen - verständlich. Zu sehr überwiegt die Freude bei den Gästen, dass Deniz Yücel frei ist. Wie bei Ulf Poschardt, Chefredakteur der „Welt". Er freue sich darüber, dass es Deniz Yücel gut gehe. Poschardt lobt ihn für seine „hervorragende Arbeit" als Journalist. Mit seiner kritischen Berichterstattung habe sich Deniz Yücel „in der Türkei nicht viel Freunde gemacht", sagt Poschardt.
Sevim Dagdelen: „Hingerotzte" AnklageschriftEbenso besonders erfreut über die Entwicklung im Fall Yücel zeigt sich Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Von ihm möchte Anne Will wissen, ob die Freilassung doch eine politische und keine juristische Entscheidung sei? Der SPD-Politiker weicht der Frage zunächst aus. Die Freilassung sei noch nicht der „Endpunkt", betont er. Vor normalen Beziehungen von Deutschland zur Türkei sei noch nicht zu sprechen. Roth erntet Gelächter im Studio mit der Aussage, dass die Gerichte in der Türkei „genauso unabhängig sind wie andere juristische Institutionen". Roth erklärt: „Ich zitiere hier die türkische Regierung." Der SPD-Politiker betont, dass es keinen Deal gegeben habe und wiederholt damit die Aussagen von Außenminister Sigmar Gabriel.
Klarer wird dagegen Sevim Dagdelen, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Sie könne sich vorstellen, dass es doch einen Deal gebe. Dagdelen sieht in der Freilassung Yücels „eine Inszenierung". „Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich Erdogan nichts davon verspricht", sagt die Politikerin mit türkischen Wurzeln. Ihrer Meinung nach gebe es keine unabhängige Justiz in der Türkei. Die Anklageschrift im Fall Deniz Yücel sei für sie „hingerotzt".
Ein wenig belebend für die ansonsten eher müde Talkrunde sind die Aussagen von Norbert Röttgen (CDU). Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Die plötzliche Kehrtwende im Fall des „Welt"-Journalisten kann er sich nur so erklären: „Die Freilassung ist dadurch motiviert worden, dass die politischen Kosten der weiteren Inhaftierung von Yücel für die türkische Führung zu groß geworden sind." Für Röttgen spielt der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erodan dabei eine entscheidende Rolle. „Er hat entschieden, dass Yücel freikommt." Röttgen stellt der türkischen Regierung kein gutes Zeugnis aus. Die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei seien eine „Farce". Er fügt hinzu: „Sie sind rechtlich existent, aber politisch tot."
Kaum zu Wort kommt an diesem Abend Peter Steudtner. Der Berliner Menschenrechtler wurde im Sommer 2017 wegen angeblicher Unterstützung von Terrororganisationen während eines Seminars in Istanbul festgenommen und nach mehr als drei Monaten ohne Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Sein Prozess dauert an. Seine bewegenden Worte zum Ende der Sendung finden großen Anklang beim Studiopublikum, er bekommt Beifall. Steudtner fordert, dass der Waffenhandel allgemein abgeschafft gehöre. „Das würde die deutsche Außenpolitik von vielen Zwängen befreien", sagt der Menschenrechtler.