1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Bildungsstätte Anne Frank: Mit Tiktoks gegen den Hass

Landtagspräsidentin Astrid Wallmann und Meron Mendel von der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank wünschen sich mehr Widerstand gegen Hass im Netz. © Monika Müller

Die Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank kämpft mit Influencern gegen Hass auf Social Media. Landtagspräsidentin Astrid Wallmann unterstützt die Arbeit gegen Hate Speech.

Frauen gehören an den Herd!" Die Präsidentin des hessischen Landtags, Astrid Wallmann (CDU), soll diesen Kommentar bei ihrem Besuch in der Bildungsstätte Anne Frank einordnen: Ist es ein Hasskommentar oder nicht? „Ich finde den Kommentar fragwürdig", sagt sie „aber ich würde hier noch nicht von Hassrede sprechen." Deshalb drückt sie den grünen Buzzer. Ein Alarmton schrillt. „Wir sprechen hier schon von einem Hasskommentar", klärt sie Meron Mendel auf. Es finde Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe statt. Der Direktor der Bildungsstätte steht mit Wallmann an einer der Lernstationen der Ausstellung des Lernlabors „Anne Frank. Morgen mehr".

Das zugehörige Tablet zeigt noch weitere Bemerkungen, die es mit dem grünen oder roten Buzzer einzuordnen gilt. Neben Sexismus erscheinen auf dem Bildschirm rassistische und antisemitische Kommentare. „Vorsicht Hate Speech", steht auf dem Stationsschild. „Wann etwas Hate Speech ist und wann nicht, ist oft nicht ganz eindeutig. Die Grenzen verschwimmen", sagt Mendel.

Wallmann besucht das Lernlabor der Bildungsstätte Anne Frank anlässlich der Internationalen Wochen gegen Rassismus. Die Arbeit gegen Hassrede im Netz ist ihr dabei ein besonderes Anliegen. „Hassrede - rassistisch oder antisemitisch -, das nimmt in den sozialen Medien und in anderen Bereichen unserer Gesellschaft zu", sagt sie und fordert, Menschen, die Hassrede betrieben, damit zu konfrontieren. „Wir müssen sie anzeigen. Hassrede darf nicht konsequenzlos bleiben", so Wallmann.

Bei der 2020 eingerichteten hessischen Meldeplattform gegen Hass im Netz sind bislang mehr als 13 500 Beiträge aus sozialen Netzwerken und auf Webseiten gemeldet worden. Mehr als 6200 Fälle davon leitete die Stelle wegen des Verdachts auf strafbare Inhalte an die Zentralstelle gegen Internetkriminalität oder an das Bundeskriminalamt weiter.

Sensibilisierung für das Thema ist der zweite Ansatzpunkt der Landtagspräsidentin. „Die Umgangsformen, die wir im Alltag erwarten, sind auch in der Anonymität des Internets gefragt." Hier seien Kindergärten, Schulen und Bildungsstätten in der Verantwortung.

Die Bildungsstätte Anne Frank sieht und erlebt das und arbeitet aktiv gegen Hassrede im Netz. Im vergangenen Jahr rief das Team der Bildungsstätte die Tiktok-Kampagne #GemeinsamgegenAntisemitismus mit verschiedenen Creator:innen ins Leben. „Mit ausschlaggebend war die massive Hetze gegen jüdische Menschen in den sozialen Medien im Israel-Gaza-Konflikt", sagt Eva Berendsen, Leiterin des Kommunikationsteams der Bildungsstätte.

„Tiktok läuft unter dem Radar, was Hatespeech und Antisemitismus angeht. Dabei nutzen unter 20-Jährige die Plattform immer mehr als Suchmaschine." Gerade bei politischen Themen seien hier die Grenzen zu Hatespeech fließend und viele überrascht, wie hart und aggressiv auf der für Unterhaltung bekannten Plattform diskutiert würde. Die Tiktok-Kampagne ist Teil des Projekts „Antisemitismuskritische Bildungsinitiative auf Tiktok" der Bildungsstätte.

Als sie mit der Kampagne online gingen, waren vier Mitarbeiter:innen der Bildungsstätte in Vollzeit mit der Kommentarmoderation beschäftigt. „Etwa 50 Prozent der Trolle waren organisierte deutsche Rechte", sagt Berendsen. „Ihnen ging es darum, Antisemitismus kleinzureden oder ihn rassistisch als ausschließliches Problem von Muslim:innen und Geflüchteten darzustellen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt mussten wir die Kommentare schließen." Positiv sei jedoch, dass auch viel Unterstützung mit Gegenrede auf den Plattformen laut würde.


Infokasten: 

Auf Tiktok gegen Antisemitismus

#GemeinsamgegenAntisemitismus heißt die Kampagne der Bildungsstätte Anne Frank, die Antisemitismus auf Tiktok den Kampf ansagt - auch auf Instagram, Twitter und Facebook.

Antisemitische Hatespeech , Verschwörungstheorien, Feindschaft gegen Israel und direkte Anfeindungen von Jüd:innen sind auf Tiktok Alltag

Die Kampagne soll ein nachhaltiges Gegengewicht auf Tiktok gegen Hate Speech setzen.

Jüdische und nichtjüdische Creator:innen erstellen in Kurzclips politische Inhalte zu verschiedenen Unterthemen. Sie sind:

Rosa Jellinek (@keshet_de)

Rica Allam ( @rica.all)

Leonie Schöle r (@heeyleonie)

Assma Hersi (@savage.hersi)

Valentin Wilczek (@vallecal)

Rafid Kabir (@itsruffydk)

Kampagne von Hate Speech betroffen

Etwa 50 Prozent der Trolle waren organisierte deutsche Rechte. Sie versuchten, Antisemitismus klein zu reden. Die Gruppe versuchte den Account auch mit massenhaften Meldungen lahmzulegen. Eine andere Gruppe griff die Videos an, die sich mit israelbezogenem Antisemitismus befassen.

„Die Plattform (Tiktok) hat - bei aller Kritik - ein enormes Potenzial, sich zu einem sozialen Medium mit Gehalt zu entwickeln. Es liegt an uns allen, dass wir Tiktok nicht den Hatern überlassen," sagt Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank.

Erkenntnisse der Bildungsstätte:

Es braucht eine Begleitung von Tiktok in der Schule - und verstärkten politischen und zivilgesellschaftlichen Druck auf die Plattform.

Die Kampagne startete am 2. November 2022, ist Teil des Projekts „Safer Tiktok. Antisemitismuskritische Bildungsinitiative auf Tiktok" und wird von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" (EVZ) gefördert. pkmk

Zum Original