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Unterhaltsklagen: "Ich hoffe, meine Eltern sterben bald"

Elmira O. kommt erschöpft von der Arbeit nach Hause. Die Altenpflegerin öffnet im Hausflur ihren Briefkasten, darin: Stromrechnung, Werbung - und ein Anwaltsschreiben. Zuletzt hat die 35-Jährige ein juristisches Schreiben vor zehn Jahren bekommen. Damals hatte sie Unterhalt von ihrem Vater eingefordert, ohne Erfolg. Er verdiente zu wenig.

Nun sitzt O. in ihrer 40 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnung und starrt die Papiere vom Sozialamt an. "Unterhaltseinforderung" steht dort, sie soll ihr Gehalt offenlegen. Denn heute verlangt nicht mehr O. von ihrem Vater Unterhalt, heute verlangt das Sozialamt Unterhalt von ihr, für ihren Vater. Nach einem Schlaganfall ist er arbeitsunfähig.

"Ich dachte erst, das wäre ein schlechter Witz. Das ist so ungerecht", sagt O. Ihr geplantes Studium war am Geld gescheitert. Auch die Mutter war Geringverdienerin, "nur eine Ausbildung war für mich realistisch", sagt sie. Und nun soll sie ihren Vater unterstützen?

Ausnahme nur bei Härtefallen

O. sucht sich juristische Hilfe. Aber es nützt nichts. "Ich könnte der Zahlung nur im Härtefall ausweichen, wenn mein Vater mich sexuell missbraucht oder geschlagen hätte. Aber das hat er nicht", sagt O.

Noch heute, fünf Jahre später, muss sie einmal jährlich die Papiere ausfüllen. Zahlen muss sie nicht mehr, weil ihr Gehalt unter 1800 Euro liegt. Einen Anreiz, mehr zu verdienen, sieht sie nicht, weil ihr jede Abgabe an den eigenen Vater zuwider ist. "Ich müsste die Hälfte meines zusätzlichen Gehalts an meinen Vater zahlen, aber der bekommt keinen Cent von mir", sagt sie. "So hart es auch klingt, aber ich hoffe, meine Eltern sterben bald."

Auch zu ihrer langzeitarbeitslosen Mutter hat die 35-Jährige keinen Kontakt mehr. Für sie forderte das Sozialamt ebenfalls Unterhalt ein. So etwas kommt häufig vor, zum Beispiel, wenn die Rente nicht für Heimkosten reicht. Das Sozialamt holt sich in solchen Fällen das Geld von den Unterhaltspflichtigen zurück - und das sind meist die Kinder.

Auch umgekehrt gibt es häufig Ärger um Unterhalt. Laut des Instituts für Wirtschaftsforschung erhält jedes vierte Scheidungskind nur einen Bruchteil des Unterhalts, der ihm zustehen würde.

Die Not vieler lässt sich auch an den gestiegenen Zahlen des staatlichen Unterhaltsvorschusses ablesen: Mit fast 850 Millionen Euro unterstützen Bund, Länder und Kommunen pro Jahr etwa 450.000 Alleinerziehende, deren ehemalige Partner keine Alimente für die Kinder zahlen.

Auf Twitter löste eine Userin Ende Juli eine Debatte aus, als sie über den langen Prozess mit ihrem Vater schrieb:

Der Post wurde binnen einer Stunde 500 Mal geteilt - unter anderem von dem Hamburger Jan Girlich. Der 35-Jährige weiß, wie es sich anfühlt, gegen den eigenen Vater zu klagen. Erst nach einem zweijährigen Prozess bekam der Informatiker Unterhalt vom Gericht zugesprochen.

Als der Prozess vorbei war, galt längst eine neue " Düsseldorfer Tabelle", die als Richtlinie zur Bemessung des Kindesunterhalts dient. Doch für eine rückwirkende Zahlung hätte Girlich erneut klagen müssen. "Dazu hatte ich einfach keine Kraft mehr", sagt er.

Girlich war gerade volljährig, als er zusammen mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder vor Gericht zog. Gemeinsam klagten sie auf Wohnrecht und Unterhalt. Der Vater war acht Jahre zuvor aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Den Mietvertrag hatte er unterschrieben, nun habe er die Familie rauswerfen wollen. Das gelang ihm nicht. Aber Unterhalt habe er nicht gezahlt.

Etwa 50 Prozent der Betroffenen ziehen vor Gericht

Immer wieder habe sich ein Gerichtstermin verschoben. "Mein Vater hat versucht, alle Verzögerungstaktiken zu spielen, die es gibt. Und das hat er geschafft. Zwei Jahre lang", sagt Girlich. Wie der Vater die Dinge sieht, ist nicht bekannt.

Während seines Studiums hatte Jan Girlich mehrere Nebenjobs, auch während seiner Diplomarbeit arbeitete er einen Tag in der Woche. "Ich hatte allerdings das Glück, dass meine Mutter mich zusätzlich gut unterstützen konnte. Die Möglichkeit hat nicht jeder", sagt er. Die Debatte auf Twitter sieht er deshalb als ermutigend an: "Wir leben hier in einem Rechtsstaat, aber das bedeutet nicht, schnell Recht zu bekommen."

2011 machte Girlich sein Diplom, heute ist er fest angestellt. "Ich habe es auch ohne meinen Vater geschafft", sagt er.

Rudolf Haibach, Rechtsanwalt für Familienrecht, spricht täglich mit Studierenden und Kindern, die gegen ihre Eltern klagen. Oftmals sei die Unterhaltsverweigerung nur der Höhepunkt einer ohnehin schon langen schlechten Beziehung. "Ich schätze, bei 50 Prozent aller Betroffenen geht der Fall vor Gericht", sagt er. Diejenigen, die sich außergerichtlich einigen, wollen meist die Beziehung nicht zusätzlich strapazieren. "In diesen Fällen halte ich es auch für kontraproduktiv, ein Verfahren zu eröffnen", sagt Haibach.

Wer hat Anspruch auf Unterhalt?

Helke Ellersiek aus Leipzig blieb der Prozess vor Gericht erspart. Aber auch sie bekam erst Unterhalt von ihrem Vater, nachdem sie einen Anwalt engagiert hatte - und nur den Mindestsatz. Das Geld reichte gerade für die Miete des WG-Zimmers in Köln.

Sie hatte sich dort an einer privaten Hochschule eingeschrieben, die Schulgebühren berechneten sich nach dem Gehalt beider Eltern - obwohl sie bei ihrer Mutter aufgewachsen ist und ihren Vater noch nie getroffen hat. An den Studienkosten wollte er sich nicht beteiligen, monatelang sprach er nur über seinen Anwalt mit ihr.

"Das Schlimmste war die Mischung aus den Überstunden im Minijob und gleichzeitig der Existenzangst, dass mein Vater die Zahlung einfach einstellt, und ich meine Miete nicht zahlen kann", sagt sie. Dazu kam der Unistress, sie bekam einen Tinnitus. "Irgendwann ging es einfach nicht mehr", sagt Ellersiek.

Neben der Uni drei Nebenjobs

Die 23-Jährige brach das Studium in Köln ab, schrieb sich für Politikwissenschaft in Leipzig ein. "Hier kann ich im Zweifel auch ein Zimmer für 180 Euro finden, falls der Unterhaltsstreit eskaliert, und mein Vater sich doch noch weigert zu zahlen", sagt sie.

Bei Anna S.* aus Hamburg war es die Mutter, die vor elf Jahren abgehauen ist. "Sie kam eines Tages einfach nicht mehr nach Hause", sagt sie.

Nach dem Abi zieht S. nach Marburg, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Der Vater verdient wenig, sie versucht, sich mit Nebenjobs über Wasser zu halten - und verlangt Unterhalt von der Mutter. Diese weigert sich und zieht vor Gericht. "Mein Studium steht deshalb auf der Kippe", sagt die 20-Jährige. Denn Bafög bekomme sie nicht.

Sie ist oft krank, hat neben der Uni drei Nebenjobs: Für S. ist das Studium nicht Party und Freiheit, sondern Angst - davor, die nächste Miete nicht zahlen zu können oder die nächste Migräneattacke zu bekommen. Sie sagt: "Der Traum von Freiheit und Ausprobieren im Studium bleibt für mich ein Traum."

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