Ronja* ist raus. Sie steht vor der Liste mit den Finalistinnen für das Flugbegleiter-Casting und ist fassungslos. Sie hat sich extra die Lippen aufspritzen, das Gesicht liften und die Wimpern verdichten lassen, 1000 Euro hat sie dafür bezahlt. Und nun ist ihr Traum vom Job als Stewardess der Fluglinie Emirates geplatzt.
In fast 50 Städten der Welt sucht die Fluggesellschaft aus Dubai derzeit nach Flugbegleitern. München ist eine der sechs deutschen Städte, in denen offene Castings stattfinden. Mehr als 75 Frauen sind dafür in ein Edelhotel gekommen, darunter Ronja - und ich.
Die Jobbeschreibung klingt traumhaft: Wer für Emirates arbeitet, bekommt eine Wohnung in Dubai gestellt, muss für private Flüge nur zehn Prozent des regulären Preises zahlen, kriegt ein Nettogehalt von knapp 2100 Euro plus Krankenzusatzversicherungen und bedient Scheichs und Prominente bei Flügen rund um die Welt.
Maren Jensen, Jahrgang 1997, geboren und aufgewachsen in Bremen, studiert an der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft und parallel Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln.
Um sieben Uhr morgens komme ich an, eine Stunde zu früh. Vier Bewerber warten schon im Vorraum im ersten Stock, sie mustern mich kritisch von oben bis unten. Wir sehen alle gleich aus. Schwarzer knielanger Etuirock, hautfarbene Strumpfhose, schwarze Pumps, Perlenohrringe und eine weiße Bluse mit einem schwarzen Blazer darüber.
Im Video: Flugbegleiter-Ausbildung - Knochenjob über den Wolken
In der Ankündigung des Castings stand nichts von einem Dresscode, aber auf der Emirates-Webseite hatte ich nach langem Suchen eine Kleiderordnung gefunden - und die anderen offenbar auch. Bis auf ein Mädchen. Sie darf mit ihrem tief ausgeschnittenen Jumpsuit und den offenen Haaren als eine der ersten wieder den Heimweg antreten.
Langsam füllt sich der Vorraum. Als kurz die Emirates-"Recruiterin" vorbeiläuft, wird es schlagartig laut. Alle stürzen sich in Gespräche und versuchen kommunikativ zu wirken. Lina sagt, wie toll doch mein Outfit sei, was irgendwie albern klingt, da wir ja alle das Gleiche tragen.
Würdest du dafür deinen Freund verlassen?
Ich komme mit der 23-jährigen Ronja ins Gespräch, die mir von ihrem Lifting berichtet und davon, dass sie bereits um vier Uhr aufgestanden sei, um Make-up und Kleidung perfekt aufzutragen. Die meisten hier haben schon Erfahrungen mit Flugbegleiter-Castings, erfahre ich. Für Ronja ist es das dritte in diesem Sommer.
Während ich, wie in der Ausschreibung verlangt, nur meinen Lebenslauf und ein Foto von mir mitgebracht habe, blättern Lina und Anna gegenseitig ihre Sedcards durch. Ganzkörperfotos in enger Jeans und Top, Gesicht geschminkt und ungeschminkt. Sogar Maße und Gewicht haben sie in der Mappe vermerkt. Ich fühle mich wie bei einem Model-Casting. "Würdest du nicht dein Studium abbrechen und deinen Freund dafür verlassen?", fragt mich Lina. Doch, doch, lüge ich.
Zehn Minuten bevor es endlich losgehen soll, kommen vier männliche Bewerber. "Die werden eh alle genommen, weil es viel zu wenige Männer in dem Job gibt", sagt Lina mürrisch und überprüft erneut die Form ihres perfekten Dutts. Die meisten haben sich für die optimale Rundung einen sogenannten "Donut" gekauft, ein kissenartiges Netz.
Auch ich habe mir am Vorabend noch hektisch so etwas gekauft. Eine Freundin, die als Flugbegleiterin arbeitet, hatte mir dazu geraten. 15 Minuten brauchte ich, um mir das Teil unter die Haare zu fummeln.
Auf der Toilette ist es mit der Rücksicht vorbei
Lina verwickelt einen der Männer in ein Gespräch. Beide arbeiten im Service, stellt sich heraus. Die Recruiterin huscht vorbei und verschwindet im Raum "Atlanta". In fünf Minuten soll es losgehen, also schnell noch mal auf die Toilette.
Jetzt nimmt keiner mehr vorgespielte Rücksicht auf die anderen. Lina kämpft um einen der besten Plätze vor dem kleinen Spiegel. Immer mehr Frauen strömen in den Raum. Eine rammt mir "aus Versehen" mit einem Lächeln die Tür in den Rücken.
Vor der Tür hat sich eine lange Schlange gebildet. Lina erzählt mir später, sie und Anna hätten die Toiletten extra lange besetzt, damit andere warten müssen und vielleicht zu spät zum Casting kommen. Doch ihr Plan geht nicht auf, die anderen Bewerberinnen sind nicht weniger entschlossen als sie selbst.
"Oh, hast du da etwa einen Faden am Rock hängen?", fragt Lina unschuldig Anna, obwohl sie den Faden, wie sie später erzählt, schon vor einer Stunde entdeckt hatte. Anna kreischt auf, als würde eine Spinnenkolonne ihr Bein hochkriechen: "Mach ihn weg!" Doch dafür ist es jetzt zu spät. Es geht los.
Runde 1: Juchu, wir können unsere Zähne bleichen lassen!
Die Recruiterin öffnet die Tür, und wie eine Armee aus Gummipuppen marschieren wir lächelnd in den Raum. Lina eilt an mir vorbei, um noch einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern.
Während wir gestylt sind, als würden wir schon für Emirates Tomatensaft servieren, steht die Recruiterin in Hose und mit offenen Haaren vor uns. In ihrer rechten Hand hält sie ein Klemmbrett und macht sich Notizen. Erst nach einigen unangenehmen Sekunden der Stille begrüßt sie uns und trägt die Mindestanforderungen vor: Bewerber müssen mindestens 21 Jahre alt und 1,60 Meter groß sein und mit nach oben gestreckten Armen eine Höhe von 2,10 Meter erreichen. Betroffen blickt eine Asiatin zu Boden. "Ich denke, das betrifft dich", sagt die Recruiterin. Sie ist raus.
Der Reihe nach müssen wir aufstehen und unseren Lebenslauf abgeben. Als ich vor dem Pult der Recruiterin stehe, mustert sie mich langsam von oben bis unten. "Du bist die Nummer acht." Dann nickt sie in Richtung des an der Wand angebrachten Maßbandes und schaut zu, wie ich meine Hand an die 2,10 Meter hohe Linie strecke. Zum Glück sind meine Schuhe hoch genug. Es passt.
"Ihr seid hier, weil ihr ständig Jetlag haben und die Toiletten putzen wollt", sagt die Frau und lacht. "Und auch, weil es kein Problem für euch ist, an Weihnachten mal nicht bei der Familie zu sein, aber dafür ständig in der Luft." Alle um mich herum nicken begeistert und strahlen sie an, als hätte sie uns gerade eine Million Euro versprochen.
Mein Mund ist vom vielen Lächeln schon ganz trocken. Aber jetzt etwas zu trinken, wäre so unhöflich wie sein Handy rauszuholen, weiß ich von Lina.
Es geht weiter mit einem Emirates-Werbefilm. Einige starren auf die Leinwand, als liefe dort "Titanic". Als es um die Zahnversorgung der Flugbegleiter geht, kreischt Nyoo vergnügt auf. "Dann kann ich kostenlos meine Zähne bleichen lassen!" Einer der Männer nickt uns begeistert zu: "Echt der Hammer!"
Obwohl der Film selbsterklärend ist, möchte die Recruiterin wissen, ob es Fragen gebe. Keiner meldet sich. Sie schüttelt enttäuscht den Kopf. "Ihr seid alle so müde", sagt sie, was Nyoo und die anderen als Kampfansage verstehen. Auch mein Ehrgeiz ist geweckt. Plötzlich gehen unsere Hände nach oben, doch es werden keine Fragen gestellt, sondern nur Lob ausgesprochen, wie schön doch so ein Leben in Dubai sein müsste. Ich nehme meine Hand wieder runter.
Runde 2: Eis essen mit der Zahnbürste
Nun bekommen wir einen Partner zugeteilt und ein bedrucktes Plastikkärtchen überreicht. Auf einem sind Kirschen zu sehen, auf einem anderen Kaugummis. Oxana und ich bekommen das Bild einer blauen Zahnbürste. Im Team sollen wir uns überlegen, wie unsere Objekte kreativ genutzt werden könnten.
Nacheinander stehen die Teams auf und tragen mit teilweise zittrigen Stimmen ihre Ideen vor. Ein Pärchen schlägt vor, aus Kirschen Ohrringe zu basteln, Tina will aus dem Kaugummi eine Figur formen und an Kinder verschenken.
Die Recruiterin lässt mit keiner Miene erkennen, wie sie das findet. Aber die anderen klatschen nach jedem Vortrag - so laut und begeistert, als hätte Oxana nicht gesagt, mit der Zahnbürste auch Eis essen oder Schuhe putzen zu können, sondern als hätte sie ein Heilmittel gegen Krebs gefunden.
Wir werden zu neuen Teams zusammengewürfelt und bekommen nun zu unserem Gegenstand noch einen Beruf, den wir kreativ verbinden sollen. Mit Linda schlage ich vor, unser Juwelier könne eine Zahnbürste recyceln und aus dem Plastik ein Armband machen. Offenbar keine gute Idee. Wir fliegen raus.
Nur acht der 30 Teilnehmer bleiben übrig, darunter Rena, die eine Uhr zur Handtasche modellieren würde, und Michelle, die niemand verstanden hat, weil sie so genuschelt hat.
Woran wir gescheitert sind, erfahren wir nicht. "Ich darf euch kein Feedback geben", sagt die Recruiterin. Zurück bleiben Selbstzweifel: Ein Mädchen, das ungefähr 45 Kilo wiegt, glaubt, es habe an seinem Gewicht gelegen. Oder an der falschen Strumpfhose. Es gibt eine kurze Diskussion darüber, ob diese lieber glänzend oder matt sein sollte.
Ronja sagt, die Airline lege Wert auf komplett enthaarte Arme und Beine. Aber die hatte sie. Eine Erklärung für ihr Scheitern findet sie nicht. Also fängt sie an zu lästern über eine der Finalistinnen: "Die hat doch viel dickere Beine als ich und kann überhaupt kein Englisch!" Ganz unrecht hat sie nicht: Ihr Englisch war wirklich schlecht.
Runde 4: Immer schön oberflächlich bleiben
Außer Ronja beschließen alle, auf die Gewinner der letzten Runde zu warten - um zu gratulieren, aber vor allem, um zu erfahren, was sie dort machen mussten. Der Test war eine Diskussionsrunde, erfahren wir. Sie mussten entscheiden, welchem von zehn Gästen sie ein Zimmer in einem Hotel geben würden, wenn nur zwei frei wären. Unter den Gewinnern ist eine 22-Jährige, die das Zimmer an ein It-Girl vergeben hätte, damit sie über Instagram etwas über das Hotel erzählen könnte.
"Das Ganze hier ist so oberflächlich, einen neuen Versuch starte ich nicht mehr", sagt eine Berlinerin. Und auch ich habe das Gefühl: Die Auswahl ist willkürlich. Die Lebensläufe hat die Recruiterin kaum angeschaut.
"Es ist reine Glückssache", sagt Viktoria. Sie hat heute schon ihr achtes Casting für Emirates, zweimal schaffte sie es durch die letzte Runde. Ein Skype-Interview sollte dann folgen. Doch dazu wurde sie nie eingeladen. Sie zeigt mir die Mails von den Absagen. Einmal habe sie acht Wochen, ein anderes Mal sogar zwei Jahre auf eine Rückmeldung warten müssen. Nach dem Casting hake ich bei der Emirates-Pressestelle nach: Wie kann das sein? Meine Frage bleibt unbeantwortet.
Ronja und Anna werden es weiter versuchen. Sie haben nach dem Casting eine WhatsApp-Gruppe gegründet: "It should have been us."
* Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.