Der Tatortreiniger im Interview.
Herr Mädel, ist man glücklicher, wenn man nicht zu viel nachdenkt?
Darüber müsste ich jetzt nachdenken. Es gibt die Behauptung, dass einfach gestrickte Menschen glücklicher sind. Das möchte ich in dieser Pauschalität nicht bestätigen, aber man könnte zumindest sagen, dass man bestimmt glücklicher ist, wenn man nicht zum Grübeln neigt.
Ja, aber er hat schon auch Sehnsüchte, die an ihm nagen. Mit seiner großen Liebe hat es bisher nicht funktioniert, er hat einen unerfüllten Kinderwunsch. Schotty hat schon Tiefen, die zu unglücklichen Momenten führen. Aber generell ist er eher ein pragmatischer Charakter, das stimmt. Schotty ist eher glücksbegabt, als ich es privat bin.
(Bild: dpa / Georg Wendt)
"Glück ist - dumm sein und Arbeit haben."
Woher kommt der Spruch?
Ich finde das ein bisschen gefährlich, weil extrem überheblich. Ich würde mir nie anmaßen, so was zu sagen. Aber natürlich ist es einfacher, glücklich zu sein, wenn man sich nicht zu viele Gedanken macht.
Über den Zustand der Welt.
Was heißt Naja? Jeden Tag sterben Tausende von Menschen, die man verhungern lässt, das bekümmert mich. Dass wir in der Ersten Welt von der Armut der Dritten Welt leben, dass es einem nur gut geht, weil es einem anderen schlecht geht, das ist eine logische Gleichung. Es gibt Tage, wo ich das nicht so gut verdrängen kann.
Verdrängung ist ja der allgemeine Konsens, damit man in seinem schönen Leben nicht gestört wird. Aber wenn man das nicht tut, und eine Flüchtlingskrise macht es einem schwer zu verdrängen, dann beschäftigt mich das natürlich. Ich finde das nicht so außergewöhnlich.
Die Frage ist, ob man überhaupt glücklich sein kann angesichts des ganzen Unglücks.
Genau das meine ich ja. Deswegen muss man es verdrängen, um den Moment genießen zu können. Das ist furchtbar, aber eben unsere Realität. Das ist aber auch ein Grund dafür, weshalb ich gerne Schauspieler bin, weil man im Moment des Spielens ganz im Jetzt sein kann und sich trotzdem selbst wahrnimmt. Es gibt ein schönes Lied von Funny van Dannen, dass dieses Problem humorvoll auf den Punkt bringt: "Räumliche Distanz", da geht es auch darum, dass man natürlich nur glücklich sein kann, wenn der, der verstirbt, nicht direkt neben einem sitzt. Nur weil der Verhungernde ein paar tausend Kilometer von mir weg ist, kann ich mein Eis mit Sahne überhaupt genießen. Klar, das ist einerseits sehr zynisch, aber andererseits auch ganz normal.
Wenn ich in der Familie einen Todesfall habe, ist das sehr belastend, und ich denke sehr viel mehr über das Ende nach, auch über mein eigenes, als wenn ich nicht so direkt betroffen bin. Wenn ich den Verstorbenen nur flüchtig kannte, kann ich eher sagen: Ey, ich schaue gerade HSV gegen Dortmund und habe Spaß dabei. Aber nur mit unserer Fähigkeit zu verdrängen, kann man das Leben ertragen.
(Bild: dpa / Jörg Taron)
Man würde sonst wahnsinnig werden.
Man würde wahnsinnig werden, oder man würde sein Leben ändern. Ich bewundere es sehr, wenn Menschen, die ein scheinbar schönes Leben führen, einen guten Job haben, viel Geld verdienen, eine Familie haben, wenn die sagen: Das macht für mich alles keinen Sinn mehr, ich gehe nach Afrika und helfe aidskranken Kindern, weil sie das Gefühl haben, dass sie dort wirklich gebraucht werden. Ich liebe meinen Beruf, aber ich bin manchmal neidisch auf Ärzte oder Krankenschwestern, die jeden Tag spüren, dass sie gebraucht werden. Schauspieler "braucht" man in dem Sinn nicht, wir sind eben eher dazu da, abzulenken, damit andere Menschen das Leben vielleicht etwas erträglicher finden oder um auf Missstände aufmerksam zu machen, aber beseitigen tun wir sie mit unserer Arbeit eben nicht. Aber gut, wir brauchen die Ablenkung von Leid.
Und Trost.Ja, so rede ich mir das zumindest schön, das ist natürlich auch was Elitäres. Ich habe einen wirklich privilegierten Job, ich spiele tolle Figuren, arbeite mit tollen Kollegen, mache tolle Filme, habe großen Spaß an dem, was ich tue und bin davon ausgefüllt. Ich bin ziemlich sicher, dass die wenigsten Leute das über ihren Beruf sagen können. Die meisten müssen irgendwas machen, um die Miete reinzukriegen und Essen zu können.
(Bild: dpa / Soeren Stache)
Würden die Menschen noch Komödien anschauen, wenn alle glücklich wären?
Gute Frage, weiß ich nicht. Die Komödien, die mir Spaß machen, haben natürlich immer einen ernsten Hintergrund, mit einer Traurigkeit, die drunter liegt. Man könnte auch fragen, ob es überhaupt Kunst gäbe, wenn alle glücklich wären. Da würde man davon ausgehen, dass man leiden muss, um Kunst zu schaffen, weil Kunst aus der Qual entsteht. Ich glaube aber schon, dass künstlerisch auch gute Sachen entstehen können, wenn man zum Beispiel nicht unter Geld- und Zeitmangel leidet. Kunst und somit auch Komödien können auch einfach aus positiven Gedanken heraus entstehen, behaupte ich jetzt einfach mal.
Sie haben eine Zeitlang als Bauarbeiter gejobbt: Was haben Sie auf auf dem Bau gelernt?Dass es schönere Berufe gibt. Man lernt zu schätzen, was man hat und man lernt, was Geld wert ist. Also was der reale Wert von Geld ist. Was man dafür körperlich leisten muss, wenn man sich Brot, Butter und Wurst kaufen will. In der Schauspielerei verdient man manchmal beim Warten Geld, das ist für mich ein weniger realer Wert.
Haben Sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ein Vielfaches eines Bauarbeiters verdienen?Nicht permanent, aber mir ist schon bewusst, dass es mir gut geht. Klar, es gibt auch in meinem Beruf Momente, wo alles doof und extrem anstrengend ist. Sechs Stunden auf den Einsatz zu warten, kann einem auch sehr auf die Nerven gehen. Aber ich versuche mich dann daran zu erinnern, dass man es auch viel schwerer haben kann. Es regt mich besonders auf, wenn Kollegen meckern, wie schlecht alles ist, während sie sich einen Kaffee vom Set Tisch nehmen und ein belegtes Brötchen verdrücken.
Wer ums Überleben kämpft, der hat keine Zeit zu nörgeln.
Wobei die Nörgler oft nicht wissen, dass sie Nörgler sind, sondern davon ausgehen, dass ihre Nörgelei eine berechtigte Klage ist.
Das macht es ja nicht besser...aber die Brötchen, sind beim Film auch wirklich oft nicht lecker und liegen da stundenlang ungeschützt an der Luft, und ständig muss man sie essen.
Es ist nicht leicht, kein Nörgler zu sein.Klar, man sitzt in der Deutschen Bahn und ärgert sich, weil von zehn Zügen neun verspätet sind und man den Anschlusszug nicht kriegt. Aber in anderen Ländern dagegen kommt der Zug vielleicht erst am nächsten Tag, von daher sind wir hier wahnsinnig verwöhnt. Ich versuche das Nörgeln im Kopf ja auch sein zu lassen, ich sage nicht, dass ich es kann, ich nörgle bestimmt auch und rege mich über Leute auf, die mit dem Rad ohne Licht auf dem Gehweg fahren. Aber ich versuche, mich zurückzuhalten, ich sage mir: Ich sitze im Warmen, es ist trocken, ich hab eine Heizung, ich habe fließend Wasser. Das klingt jetzt so gutmenschenmäßig, aber ich versuche das wirklich! Wenn der Paketbote mein Paket nicht bei mir abgibt, obwohl ich zu Hause bin, und ich deswegen quer durch die Stadt laufen muss, dann sage ich mir: Was regste dich auf? Du hast Zeit und holst ein Päckchen ab, das dir jemand geschickt hat, das ist doch eigentlich was Tolles.
Solange man Nörgeln kann, kann man nicht ganz unglücklich sein.Ja, das ist so. Wer ums Überleben kämpft, der hat keine Zeit zu nörgeln.
(Bild: Thomas Rabsch)
Hat man ab einem gewissen Erfolgslevel noch Angst vor dem Absturz?
Es ist schon sehr beruhigend, wenn man weiß, dass man wahrscheinlich noch zwei, drei Jahre was zu tun haben und nicht auf der Straße sitzen wird. Man ist als Schauspieler abhängig vom Geschmack der Zuschauer, aber auch vom Geschmack der Regisseure, Redakteure und Produzenten. Das kann von heute auf morgen wieder vorbei sein. Es gibt immer wieder Leute, die ganz oben waren, und die plötzlich abstürzen, die nicht mehr gefragt sind, und man weiß nicht woran es liegt, denn die sind ja immer noch gute Schauspieler.
Es gehört wahnsinnig viel Glück dazu, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und ich hatte die vergangenen Jahre einfach extrem viel Glück. Ich hatte tolle Angebote, tolle Partner, gute Regisseure. Ich kenne aber auch tolle Schauspieler, die sich einer großen Öffentlichkeit nie zeigen konnten, weil sie nie die Möglichkeit bekommen haben. Es wäre aber verlogen, wenn ich sagen würde, dass ich totale Existenzangst habe, denn ich habe in den vergangenen Jahren so viel gearbeitet, dass ich es mir auch leisten könnte, wenn das nächste halbe Jahr nichts passiert.
Sind Sie glücklich?Im Moment ja, ich stehe in meiner Küche und denke mir: Es könnte schlechter gehen.
Was sehen Sie, wenn sie aus dem Küchenfenster schauen?Einen tristen, grauen Berliner Hinterhof. Ich schaue so bisschen in die Fenster der Wohnungen gegenüber. Ein glücklicher Moment.