Marcel Richters

Onlineredakteur, Frankfurt am Main

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Artikel

"Amendt ist homophob, da bleibe ich bei"

Es ist ein sonniger Samstag in Frankfurt. Schon nach wenigen Metern auf dem Campusgelände hört man die Musik, kurz darauf tauchen Flaggen auf.


Regenbogenflaggen, Transgenderflaggen, Flaggen der Pansexuellen, Asexuellen und Polysexuellen – der sonst aus Sandstein und akkurat getrimmten Wiesen bestehende Campus Westend der Goethe-Universität ist heute bunt wie nur selten. Überall sitzen kleine Gruppen, Punks mit pinken Irokesen, drei Menschen in Bademänteln mit Patches drauf, eine Person mit langem schwarzen Kleid, Vollbart und Lippenstift. Sie alle sind gekommen, um gegen den Kongress "Familienkonflikte gewaltfrei austragen" zu protestieren. Denn was harmlos klingt, ist tatsächlich eine Ansammlung von Menschen, die als höchst umstritten bezeichnet werden können. Eingeladen haben Prof. Dr. Gerhard Amendt als "wissenschaftlicher Leiter" und Tom Todd als Organisator. Queer.de hat bereits ausführlich über den Fall berichtet und begründet, warum die Demo notwendig ist.


Das Versagen der Unileitung

Auf dem Theodor-W.-Adorno-Platz, dem zentralen Platz vorm Hörsaalzentrum der Uni, in dem der Kongress stattfindet, ist ein Informationszelt aufgebaut, die Redebeiträge starten pünktlich um 12:30 Uhr. Als erstes sprechen Angehörige der Universität. Mitglieder des autonomen queerfeministischen Schwulenreferats bezeichnen das Verhalten der Universitätsleitung als "einfach nur schäbig". Diese habe sich auf gültige Verträge und die Meinungsfreiheit berufen und deswegen den Kongress nicht absagen wollen. Eine Antwort an das Referat sei die Unileitung bisher schuldig geblieben. Das Referat berichtet auch von Gästen, die aus Belgien, Frankreich und ganz Deutschland angereist seien, in dem Glauben, an einem wissenschaftlichen Kongress teilzunehmen. Aber schon die Eröffnungsrede von Amendt am Freitag sei antifeministisch und populistisch gewesen, einige hätten schon da den Saal verlassen. Vielleicht waren sie auch einfach nach dem während der Rede ausgelösten Feueralarm nicht mehr ins Gebäude zurückgekehrt. Denn Proteste hatte es schon am Freitag gegeben. Und es wird sie wohl auch hinterher geben. So macht Matthias Janssen vom LSVD Hessen deutlich: "Wir werden Homo- und Transphobie dort begegnen, wo sie passieren, und weiterhin für eine offene Gesellschaft kämpfen."


Beatrix Baumann (Grüne) vom Bündnis Frankfurt für Frauenrechte greift einen anderen Vorwurf gegenüber Amendt und dem Kongress auf, nämlich dass es viel mehr um ein reaktionäres Familienbild und Antifeminismus als um Gewalt in der Familie gehe: "Rechte und Fundamentalisten wollen hier ihre Ideologie verbreiten." Sie erläutert die Verbindungen, die der Verein AGENS e.V. zur "Demo für Alle" und der AfD habe. Für sie ist die verschachtelte Organisation der Gruppen um Amendt und Todd eine Strategie, um sich weniger angreifbar zu machen. Empörung über Abmahnungen von Medien und Gruppen Dr. Achim Kessler, Bundestagsabgeordneter der Linken, ist wütend über das Vorgehen von Amendt und dessen Versuche, rechtlich gegen Gruppen und Medien vorzugehen: "Amendt ist homophob, da bleibe ich bei. Dann soll er mich eben auch anzeigen!" Auch queer.de hatte eine Abmahnung von Amendt erhalten, diese jedoch als unbegründeten Einschüchterungsversuch zurückgewiesen. Annette Kühn von Warmes Wiesbaden ist lesbische Mutter. Sie wünscht sich "Empathie und Verständnis, um zu leben, wie ich möchte". Denn das sei notwendig: Als lesbische Mutter könne sie sich nicht verstecken. Sie will nicht verstehen, wieso Menschen so sehr am "klassischen" Familienbild als einzige Möglichkeit festhalten: "Es kommt darauf an, wie man liebt. Mit Respekt, mit Verständnis. Nicht, wen man liebt!" Dann tritt die Person mit Vollbart, rotem Lippenstift und schwarzem Kleid auf die Bühne. Sie spricht auf Türkisch, ein junger Mann neben ihr übersetzt. Ihre Namen nennen sie nicht, sie seien zwei Migranten aus der Türkei, seien im Namen der Neuen Demokratischen Jugend nach Frankfurt gekommen und vertreten queere türkische, kurdische und türkisch-kurdische Menschen: "Wir sind vor dem IS geflohen, jetzt müssen wir in einem der fortschrittlichsten Länder in Europa so etwas erleben."


Ein Happening bei Sonnenschein


Klar wird bei allen Redebeiträgen: Den Menschen hier geht es darum, so zu leben wie sie wollen. Sie wollen sich nicht für ihr Sein rechtfertigen, sondern erkämpfte Freiheiten erhalten. Immer wieder wird betont, dass der Protest friedlich bleiben soll. Tatsächlich ist es mehr ein Happening bei Sonnenschein als ein Protest, was hier stattfindet. Trotzdem war das Hörsaalzentrum der Universität mit Gittern gesichert. Die Polizei war zwar mit Helmen, Rüstungen und Kameras vor Ort, zum Einsatz kamen diese aber nicht.

Gitter und Polizisten versperrten den Weg ins Hörsaalzentrum (Bild: Marcel Richters)

Die Kongressbesucher geben sich indessen ungerührt von dem Protest vor ihrem Tagungsort. Zum Gespräch kommt es nicht, obwohl das Mikrofon am Informationsstand explizit allen offen steht. Ähnlich verschlossen gibt sich inzwischen die Goethe-Universität – zumindest gegenüber einigen Medien. Kanzler Dr. Albrecht Fester lässt sich zwar ab und zu kurz blicken, will aber nicht mit queer.de reden. Er wirkt gereizt, raunt von "unhaltbaren Behauptungen", die Medien verbreitet hätten. Kurz zuvor hatte er noch ausführlich mit Sascha Zoschke gesprochen, dem Campus-Referenten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Aber jetzt habe er "den Medien nichts mehr zu sagen". Auf der Website der Universität seien alle Informationen zu finden. Was sagt er zu dem Vorwurf mehrerer AStA-Referate, dass die Universitätsleitung nicht auf ihre Anfragen reagiert habe? "Das ist gelogen." Das Happening auf dem Campus hat sich derweil ein wenig verteilt. Es wird auf den Wiesen entspannt, die Stimmung bei den Teilnehmenden ist weitaus besser als bei Kanzler Fester.

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