Marcel Richters

Onlineredakteur, Frankfurt am Main

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Artikel

„Das ist eine Schande!" - Denkmal für NS-Opfer als Toilette missbraucht

Seit Mitte August steht auf dem Rathenauplatz in der Innenstadt ein grauer Bus aus Beton. Er besteht aus vier Segmenten, misst etwas mehr als 8,5 Meter und ist dem Merces-Benz O 3750 nachempfunden, einem Omnibusmodell der 40er Jahre. Der Satz „Wohin bringt ihr uns?" ist in den Beton gegossen und wurde von einem der Menschen überliefert, denen das Denkmal gewidmet ist. Wer sie sind, darauf weist ein Schild hin, wie man es von Bushaltestellen kennt. Das Denkmal der Grauen Busse erinnert an die Todestransporte und Krankenmorde im Nationalsozialismus, heißt es auf dem Schild neben dem Bus. Nicht nur Juden und Sinti und Roma wurden Opfer der Politik im Nationalsozialismus. Auch rund 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen - wie Depressionen oder Angststörungen - wurden als sogenanntes „lebensunwertes Leben" im Rahmen der „Aktion T4" ermordet.


Selbstkritischer Blick des Gesundheitsamtes

Aber was ein Ort der Erinnerung sein sollte, wird als öffentliche Toilette missbraucht, wie unserer Leserin Sarah Loos aufgefallen ist. Wir haben beim Gesundheitsamt nachgefragt. Das Amt ist in Frankfurt zuständig für die Instandhaltung des Denkmals. Denn die Angestellten von Psychiatrien, Pflegeheime und Gesundheitsämter in ganz Deutschland bildeten die Bürokratie hinter den Morden der „Aktion T4", wie Kim Bartelt deutlich macht. Bartelt ist zuständige Referentin des Gesundheitsdezernenten Stefan Majer (Die Grünen). Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Gesundheitsamtes ist es Majer wichtig, die Vergangenheit aufzuarbeiten: „Wer war Täter, Opfer oder Zuschauer?", fragt er in einem Grußwort auf der Website zum Denkmal.

Die Mitarbeiter des Amtes halfen dabei, die Menschen auszuwählen, die später im Rahmen der „Aktion T4" ermordet wurden: „Mehr als 1000 Frankfurterinnen und Frankfurter mit psychischen Krankheiten oder geistigen Behinderungen wurden (...) in der Gaskammer der NS-„Euthanasie"-Anstalt Hadamar bei Limburg ermordet", ist auf der Website zu lesen. Deswegen sieht Bartelt eine besondere Verantwortung, über die eigene Geschichte aufzuklären und das Denkmal zu betreuen.


Jeden Tag wird gereinigt

Unsere Leserin bemängelt, dass das Denkmal nicht gut betreut wird, sonst würde es wohl kaum zu solchen Verschmutzungen kommen. „Das ist uns bekannt und natürlich eine Schande", sagt Bartelt. Die Vorfälle erinnern an die Schaubilder jüdischer Sportlerinnen und Sportler. Diese waren im Sommer am selben Ort wiederholt zerstört worden. „Aber wir gehen nicht davon aus, dass die Verschmutzungen politisch motiviert sind, sondern von Partygängern und Obdachlosen stammen."

"Wir gehen davon aus, dass die Verschmutzungen von Partygängern und Obdachlosen stammen." - Kim Bartelt, Referent des Gesundheitsamtes.

Da die Vorfälle über das Wochenende nicht zunehmen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Obdachlose an der relativ geschützten Stelle in der Innenstadt ihre Notdurft verrichten, erklärt Bartelt. Natürlich sei man mit der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES) im Kontakt, die das Denkmal täglich sorgfältig reinige. Außerdem wurde wie jedes Jahr am 1. November die B-Ebene der Hauptwache für Übernachtungen von Obdachlosen geöffnet. Bartelt geht davon aus, dass auch dies dazu beiträgt, die Lage zu entschärfen. Gleichzeitig zeigt die Stadtpolizei im Umfeld des Denkmals mehr Präsenz. Eine Einzäunung, das Aufstellen einer Wache oder einer mobilen Toilette sieht Bartelt nicht als Alternative. Das Denkmal solle öffentlich bleiben und in seiner Präsenz auf dem Rathenauplatz nicht eingeschränkt werden.


Umfangreiches Begleitprogramm

Vielmehr muss die Erreichbarkeit und die Reichweite des Denkmals erhalten bleiben, betont Bartelt. Dem Gesundheitsamt ist es wichtig, die Aufarbeitung der Aktion T4 weiter voran zu bringen, da diese in Frankfurt und im Allgemeinen noch nicht abgeschlossen sei. Mit Josef Mengele und Otmar von Verschuer hatte die Universität Frankfurt zwei der bedeutendsten „Rassehygieniker" in ihren Reihen. Auch ihnen hat das Gesundheitsamt aktiv zugearbeitet. Der Graue Bus bleibt noch bis Ende Mai in Frankfurt. Wo genau er dann hinkommt, ist noch unklar. Sämtliche Kosten werden durch Spenden und aus öffentlichen Geldern finanziert. Wichtig ist den Machern: die Gedenkstätte soll in Bewegung bleiben.

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