Marcel Braune

Redakteur, Journalist, Reporter, Berlin

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Interview

DFB-Stars Weigl und Waldschmidt! Unser Leben in Lissabon

Der „Benfica Campus“ erinnert von außen eher an ein Gefängnis. In Seixal, einem Vorort im Süden Lissabons, hat sich Benfica 2006 für 15 Millionen Euro ein hochmodernes Vereinsgelände gebaut. 2019 wurde alles grundrenoviert. Abgeschottet von der Außenwelt und unter Palmen mit Meerblick trainieren hier die Profis und Jugendspieler des portugiesischen Rekordmeisters. Mit Julian Weigl (25) und Luca Waldschmidt (24) spielen auch zwei deutsche Stars bei Benfica. SPORT BILD besuchte beide zum Interview.

SPORT BILD: Portugal statt Deutschland. Primeira Liga statt Bundesliga. Warum?

Julian Weigl: Ich habe es mitbekommen, dass sich viele in Deutschland über diesen Schritt gewundert haben. Ich hatte in Dortmund ja immer regelmäßig meine Einsätze. Aber dennoch hat sich dann der Wunsch breitgemacht, etwas anderes zu probieren. Wir sind nicht nur Maschinen, die auf dem Platz stehen. Wir sind auch junge Menschen, die Wünsche und Träume haben. Meine Frau und ich wollten immer einmal das Abenteuer Ausland wagen. Ich hatte einige Optionen. Bei Benfica hat das Bauchgefühl sofort gepasst.

Luca Waldschmidt: Nach Freiburg wollte ich zu einem großen Verein mit internationalen Ambitionen. Benfica hat mir von Anfang an das richtige Gefühl gegeben.

Es ist für Sie beide die erste Auslandsstation. Meldet sich Ihre Mutter jetzt öfter und macht sich Sorgen?

Weigl: (lacht) Meine Mutter war etwas besorgt, ja. Aber ich konnte sie dann überzeugen, dass man von München mit dem Flugzeug auch schnell in Lissabon sein kann.

Wie kann man sich das Leben in Lissabon, außer dem schöneren Wetter, vorstellen?

Weigl: Manchmal fühlt es sich wie Urlaub an. Als Deutscher bist du so viel Sonne nicht gewohnt. Es ist eine neue Lebensqualität, wenn man an freien Tagen mal eben an den Strand gehen oder in der traumhaften Stadt durch die engen Gassen schlendern kann.

Waldschmidt: Ich hatte noch gar nicht viel Zeit, das zu genießen. Ich muss erstmal richtig ankommen und Anschluss in der Mannschaft finden. Julian und mein alter Kumpel aus Frankfurt, Haris Seferovic, helfen mir sehr. Der Verein hat jetzt auch ein Haus für mich in ihrer Nachbarschaft gefunden.

Es ist bekannt, dass Spielern bei Benfica, noch mehr als in Deutschland, neben dem Platz fast alles abgenommen wird. Verliert man da nicht die Bodenhaftung?

Waldschmidt: Ich weiß, wo ich herkomme, und wurde sehr gut erzogen. Ich sehe diese enorme Unterstützung nicht als selbstverständlich an. Man will, dass wir uns voll auf unsere Arbeit konzentrieren. Uns ist bewusst, dass unser Alltag nicht das normale Leben ist.

Weigl: Stimmt. Ich bin aber auch froh, dass uns manche Dinge abgenommen werden. Anfangs habe ich nicht Portugiesisch gesprochen. Ich hatte keine Ahnung, wie man sich bei Behörden anmeldet oder Strom beantragt.

Herr Waldschmidt, der Klub wollte Sie schon letzten Sommer als Ersatz für João Félix verpflichten, der für 127 Millionen Euro zu Atlético Madrid ging. Sportdirektor und Portugal-Legende Rui Costa kam diesmal extra nach Freiburg und hat Ihnen die Nummer 10 angeboten. Nicht gerade wenig Druck, oder?

Waldschmidt: Das hat schon Eindruck gemacht. Ich weiß noch, wie Rui Costa als Spieler die Champions League mit dem AC Milan gewann. Plötzlich stand er vor mir. Er hat mir gesagt, dass er mich unbedingt haben will. Aber man darf sich das alles nicht zu oft vor Augen führen. Ich habe ohnehin hohe Anforderungen an mich selbst. Ich komme damit klar.

Herr Weigl, die Euphorie in Lissabon war vor Ihrem Wechsel groß. Ein Fan lief deshalb sogar nackt durch die Stadt. Was hatte es damit auf sich?

Weigl: Als der Wechsel kurz vor dem Abschluss stand, hat er getwittert, dass er nackt durch die Straßen laufen will, wenn ich komme. Als der Deal durch war, habe ich einen Screenshot davon und „GO“ getwittert. Er hat es wirklich durchgezogen. Dafür hat er ein Trikot von mir bekommen.

Sie wurden als neuer Heilsbringer erwartet, der im Alleingang Spiele gewinnt. Hatte man falsche Erwartungen?

Weigl: Ich weiß, dass ich einen Rucksack trage und Kritiker habe. Ich bin kein Spieler, der viele Tricks macht und das Stadion dann aufschreit. Meine Qualitäten liegen als Defensivspieler woanders. Ich denke, das wissen die meisten Fans. Stürmer haben es da leichter und schießen da vielleicht zwei Tore im ersten Spiel (lacht).

So wie Sie, Herr Waldschmidt?

Waldschmidt: Zwei Tore zum Start waren ein Traum. Das kann man sich besser nicht aussuchen. Mein alter Trainer Christian Streich hat mir aus Freiburg auch gleich gratuliert.

Weigl: Ich habe Luca zur Halbzeit gesagt, dass ein Tor nicht reicht. Da hat er noch eins gemacht. Guter Junge.

Sie spielen jetzt mit Stars wie Jan Vertonghen oder Nicolás Ortamendi zusammen. Ist man da anfangs schüchtern?

Waldschmidt: Vielleicht im ersten Moment. Aber das sind alles normale Jungs.

Weigl: Wenn Nicolás von Pep Guardiola und seiner Zeit bei Manchester City oder Jan von José Mourinho und Tottenham erzählen, höre ich schon sehr interessiert zu. Nervös war ich aber nur, als ich mit 18 Jahren nach Dortmund kam. Da konnte ich nicht ganz so gut schlafen vorher.

Was macht Benfica einzigartig?

Weigl: Dortmund ist auch ein großer Klub mit vielen Möglichkeiten und unfassbaren Fans. Bei Benfica gibt es aber noch mal Unterschiede. Es ist alles auf dem modernsten Stand. Bei diesem Umfeld hat man die besten Voraussetzungen, sich weiterzuentwickeln. Man muss sich mal anschauen, wie das hier abgeht, wenn Titel gewonnen werden. Die Fans sind total verrückt. Bei vielen Auswärtsspielen sind 70 Prozent Benfica-Fans im Stadion. Es herrscht immer eine hitzige Stimmung.

Was auch negative Auswirkungen haben kann. Denkt man an den Steinwurf auf den Mannschaftsbus im Juni, bei dem Sie am Auge verletzt wurden. Auch beim Bombenattentat auf den BVB-Bus 2017 waren Sie eines der Opfer. Wie gehen Sie damit um?

Weigl: Ehrlich gesagt hätte ich gedacht, dass mich das noch mehr beschäftigt. Natürlich habe ich sofort an 2017 gedacht. Man weiß ja erst mal nicht, wie damals auch in Dortmund, was passiert ist. Zunächst herrscht nur Panik. Ich habe mich bei der nächsten Busfahrt demonstrativ auf denselben Platz gesetzt. Ich wollte mich nicht verstecken.

Herr Weigl, man hört, dass sich Paris mit Thomas Tuchel um Sie bemühte. Stimmt das?

Weigl: Wann?

Das Interesse aus dem letzten Jahr ist bekannt. Aber er soll Sie kürzlich wieder kontaktiert haben.

Weigl: Dazu kann ich nichts sagen (grinst).

Herr Waldschmidt, man hört auch, dass Sie auf der Autobahn in Portugal ein paar Probleme hatten. Was war los?

Waldschmidt: Ich wusste nicht, dass man sich hier Mautplaketten für das Auto kaufen muss. Ich habe mich dann gewundert, warum bei mir die Ampeln immer gelb leuchten und nicht grün. Das war nicht ganz legal. Aber ich habe mittlerweile alles geklärt und auch bezahlt.

Timo Werner, Antonio Rüdiger und Kai Havertz werden beim FC Chelsea in London als „German Mafia“ bezeichnet. Welchen Namen haben Sie bei Benfica?

Waldschmidt: Wir werden eher als German Connection bezeichnet.

Weigl: Mit Odisseas Vlachodimos, der aus Stuttgart kommt, und Haris Seferovic quatschen wir viel deutsch. Wir werden dafür auch manchmal ermahnt.

Wohin tragen Sie die Flügel des Benfica-Adlers in dieser Saison?

Waldschmidt: Wir alle im Verein sind hier, um Pokale zu gewinnen.

Weigl: Stimmt. Trotz der Corona-Situation ist es ein großer Antrieb, diesen Fans hier Titel zu schenken.