Kelela hat Mitte des letzten Jahrzehnts das House-Revival gestartet, das Artists wie Beyoncé oder Drake in den Mainstream befördert haben. Auf ihrem zweiten Album verästelt Kelela ihren Sound noch weiter in vergangene und futuristische Klangwelten.
Von Marc Mühlenbrock
Kelela hat erstmal Ruhe gebraucht. Seit Mitte der Zehnerjahre hatte sie gegen die Vermarktungs-Klischees des Musik-Business gekämpft, um ihren Wunsch, Dance Music machen zu können, in die Realität umzusetzen. Als Schwarze Frau mit Indie-Philosophie war sie in der Dance-Szene eine Außenseiterin und musste um Akzeptanz ringen. Noch dazu waren zeitgemäßer Dance und R'n'B, der auch einen großen Teil ihrer Musik ausmacht, bis Anfang des letzten Jahrzehnts von der Musik-Journaille als künstlich und kommerziell verpönt. Kelelas Musik aber war künstlerisch und cool.
Ihre Mission war geglückt. Das erste Mixtape "Cut 4 Me" (2013) und ihr Debütalbum "Take Me Apart" (2017) wurden vom Feuilleton gefeiert und ebneten den Weg für ein 90er-Dance-Revival im Mainstream, das erst kürzlich mit den Grammys für Beyoncé seinen Höhepunkt fand. Kelelas Kunst wurde zum musikgeschichtlichen Politikum. Ihre Lovesongs sind nicht politisch - ihre bloße Erscheinung aber ist es. Als queere Schwarze Künstlerin hat sie Dance dorthin zurückgeführt, wo er herkam: aus den Schwarzen Party-Communitys in Detroit und Chicago, von Techno-Urvater Juan Atkins zum Beispiel oder House-Pionier Frankie Knuckles. Heute erfahren diese und andere Vorreiter endlich eine breitere Anerkennung.
Kelela Mizanekristos ist Jahrgang 1983, sie ist in zweiter Generation äthiopischer Abstammung in der Nähe von Washington D.C. aufgewachsen. Die eben erwähnten Helden hat sie erst im Rückblick für sich entdeckt, als Teenager der 90er Jahre hat sie sich vor allem für den Sound dieses Jahrzehnts begeistert, also Deep House oder UK Jungle, deren Spuren man auch auf ihrem neuen Album "Raven" noch deutlich erkennt, etwa in den Singles "Happy Ending" und "Contact". Dazu gibt es Ausflüge in die Karibik ("On The Run") und immer wieder in den Ambient ("Washed Away"). Gut ein Viertel des Albums kommt ohne Beats aus, das ist das augenscheinlich Neuartige in Kelelas Klangwelt auf "Raven". Ihr selbst gelingt dabei das Kunststück, gleichzeitig sinnlich wie eine Liebhaberin zu klingen, spirituell wie eine Priesterin und futuristisch wie die Kapitänin eines Raumschiffs.
Produziert wurde der Großteil von "Raven" in Berlin. Die club-lastigeren Tracks vom nicht binären DJ und Producer LSDXOXO, ursprünglich aus Philadelphia, die Ambient-Stücke vom deutschen Produzentenduo OCA, bestehend aus Yo Van Lenz und Florian T. M. Zeisig. Alle drei kannte Kelela durch die Remix-Arbeiten, die sie in der Vergangenheit für sie anfertigten. Die Grundpfeiler des Albums waren bereits Anfang 2020 gesetzt, danach arbeitete sie in ihrer neuen Heimat L.A. weiter. Die oben erwähnten Abstände zwischen ihren Releases lassen erahnen: Kelelas Musik braucht Zeit. Zeit, in der sie ihre Gefühle sortiert und vergangene emotionale Begegnungen in ihren Texten verarbeitet. Und Zeit, in der sie Essays und Briefe schreibt, die sie öffentlich postet und an ihre Labelpartner schickt. Darin geht es um Machtstrukturen im Musikgeschäft, wie diese durchzogen sind von Kapitalismus und 'Misogynoir'. Die Wortschöpfung bezeichnet Feindseligkeit gegenüber Schwarzen Frauen, sie nimmt eine Schlüsselrolle in Kelelas Argumentation ein. Ihre Mission auf und abseits des Dancefloors ist also noch lange nicht beendet.
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