Fr 11.03.22 | 07:55 Uhr | Von Mara Nolte
Bild: rbb/M.Heep, H.SagivDie Droge Crystal Meth wird vor allem im Osten Deutschlands konsumiert. Auch Brandenburg blieb von dem starken Aufputschmittel nicht verschont. Doch entsprechen Schlagzeilen wie "Crystal Meth überschwemmt die Lausitz" der Realität? Von Mara Nolte
Als Annika* zum ersten Mal Crystal Meth nimmt, weiß sie über die kleinen Kristalle eigentlich nichts. Ein Freund sei damals losgegangen, um ein anderes Aufputschmittel zu kaufen. Doch zurück kommt er mit dem wesentlich stärker wirkenden "Methamphetamin". "Ich hatte davor noch nie etwas von Crystal Meth gehört", sagt Annika. Trotzdem "donnert" sie sich den Stoff rein. "Man ist gleich so energiegeladen, bleibt lange wach und fühlt sich fitter." beschreibt Annika die Wirkung. Damals ist sie 19 Jahre alt.
Experten beschreiben den Effekt von Methamphetamin als euphorisierend. Man sei hellwach, fühle sich fit, halte sich für unbesiegbar. Doch in der Realität werden die kognitiven Fähigkeiten durch die Droge nicht verbessert. Vor allem bei Jugendlichen kann das Gehirn stark geschädigt werden. Außerdem ist das Risiko an einer Psychose zu erkranken elf Mal höher. Zudem hat Crystal Meth ein hohes Potenzial, psychisch süchtig zu machen. Bei langfristigem Konsum besteht das Risiko irreversibler Herzschäden. Als Todesursache bei Metamphetamin-Überdosen sind außerdem Nierenversagen, Hirnblutungen und Schlaganfall bekannt.
Wenn Sie das eingebettete YouTube-Video nicht sehen, dann klicken Sie bitte hier. "Es ist eigentlich einfach etwas zu bekommen"Über zehn Jahre nachdem sie das erste Mal Crystal Meth probiert hat, sitzt Annika an einem großen Tisch in den Räumen der Suchtberatung "Tannenhof" in Cottbus. Aus dem gelegentlichen Konsum am Wochenende sei schnell ein tagtäglicher geworden. "Ich hatte einfach jeden Tag das Bedürfnis, das zu nehmen, um überhaupt in Antrieb zu kommen", erzählt sie. Probleme an den Stoff zu kommen, habe sie nicht gehabt. "Wenn man jetzt losgehen würde und was nehmen wollen würde, würde man es kriegen. Man wüsste, wen man ansprechen müsste."
Polizei macht zunehmend auch im Westen Brandenburgs Drogen-FundeCrystal Meth ist in Brandenburg vor allem im Süden verbreitet. Das liegt an der direkten Nähe zu Tschechien. Im Nachbarland wurde jahrelang tonnenweise Crystal Meth hergestellt und über die Grenze gebracht. Inzwischen hat die tschechische Regierung jedoch die Drogengesetze verschärft und viele Meth-Küchen ausgetrocknet. Nach Erkenntnissen des LKA kommt der Stoff nun zum überwiegenden Teil aus den Niederlanden. Crystal wird direkt dort hergestellt, oder über Südamerika in die Niederlande und so nach Europa geliefert.
Crystal Meth ist in Brandenburg hauptsächlich im Süden verbreitet. Die Polizei macht aber zunehmend auch Drogen-Funde in westlichen Landkreisen. | Bild: rbb/Hani SagivDie neuen Lieferwege wirken sich auch auf die Verbreitung von Crystal in Brandenburg aus. Denn die Polizei macht nun mehr Drogen-Funde in westlichen Landkreisen wie Teltow-Fläming und Potsdam-Mittelmark. Der Schwerpunkt liegt aber nach wie vor in Südbrandenburg - dort suchen auch die meisten Menschen Hilfe bei den Suchtberatungen.
Zur Geschichte "Dann macht es Klick"Bevor Annika die ambulante Therapie im Tannenhof beginnt, hat sie schon mehrmals versucht, alleine clean zu werden: "Aber ich war nicht hundertprozentig bei der Sache. Habe immer gedacht, ach, vielleicht kannst du irgendwann mal wieder dieses Gefühl haben." Sie nimmt Crystal, um Leistung zu bringen, damit sie zur Arbeit gehen kann und das Tagtägliche schafft. Aber sie nimmt es auch, um zu vergessen. "Ich war mit den Dingen überfordert. Andere kiffen zum Abschalten und ich habe das genommen", erzählt sie.
Sucht entstehe, wenn es einen funktionalen Zusammenhang gebe, erklärt Michael Leydecker. Er leitet den Tannenhof und arbeitet seit 25 Jahren im Bereich der Suchthilfe. "Wenn ich spüre, dass die Erwartung, die ich an den Rausch habe, genau zu dem passt, was mir fehlt, dass es die Stimmung anhebt, dass es mir ein stärkeres Selbstbewusstsein gibt, dass es meine Ängste lindert. Oder, dass ich mich weniger depressiv fühle. Dann ist das wie Schlüssel und Schloss, dann macht es klick."
Die Wirkung von Crystal Meth übersteigt den Effekt des Medikaments "Pervitin", das 1988 vom Markt genommen wurde. | Bild: imago/stock&people Späte Sprechstunden und Terminerinnerungen2017 haben sich die Beratungsstellen in den südlichen Landkreisen zum Netzwerk Crystal Meth Südbrandenburg zusammengeschlossen und bieten ein vom Land gefördertes spezialisiertes Beratungsangebot für Crystal Meth-Konsumierende an. Dazu gehören zum Beispiel Terminerinnerungen oder späte und verkürzte Beratungstermine. "Wenn Sie sehr stark auf Crystal unterwegs sind, haben Sie ein permanentes Schlafdefizit. Das geht einher mit Vergesslichkeit, mit Schusseligkeit und Unverbindlichkeit bei Terminabsprachen", erklärt Leydecker. "Das heißt auch, dass die Aufmerksamkeitsspanne sehr niedrig ist, dass ich also nicht unbedingt mal eine Stunde sprechen kann", so Leydecker.
Michael Leydecker leitet die Suchtberatung Tannenhof in Cottbus. | Bild: rbb/Marcus Heep Beratungsbedarf entwickelt sich unterschiedlichDie Entwicklung der Nachfrage bei den Suchtberatungsstellen ist nicht eindeutig. Einige Beratungsstellen wiesen auf Nachfrage auch darauf hin, dass die Zahlen der letzten zwei Jahre durch Corona verzerrt sein könnten.
Das Brandenburger Gesundheitsministerium gibt an, dass die Anzahl der Klient:innen, die mindestens ein Gesprächsangebot in den Beratungsstellen in Anspruch genommen haben, seit 2018 leicht zurückgegangen ist, von 394 auf 322 im Jahr 2021.
Bei der Suchtberatung des Landkreis Oberspreewald-Lausitz, einem der Crystal-Hot-Spots, hat die Zahl der Crystal-Klient:innen seit 2018 zwar insgesamt abgenommen. 2021 kamen aber trotzdem doppelt so viele Klient:innen wie 2020. Außerdem kamen dreimal so viele Angehörige von Crystal-Betroffenen zur Beratung. Beim Roten Kreuz in der Niederlausitz haben letztes Jahr mehr Crystal-Süchtige Hilfe gesucht.
Da hat man gesehen, dass es auch andere Leute treffen kann - ganz normale
Annika braucht lange, bis ihr bewusst wird, dass sie suchtkrank ist. "Und als es mir dann bewusst war, wusste ich mir auch gar nicht zu helfen", sagt sie. Erst mit der Unterstützung ihres Partners schafft sie es, sich Hilfe zu suchen.
Annika macht zuhause einen kalten Entzug und geht dann in eine Entgiftungsklinik. Dort entscheidet sie sich gegen einen längeren Klinik-Aufenthalt. Stattdessen beginnt sie, regelmäßig zur ambulanten Suchtberatung in Cottbus zu gehen - und wohnt weiterhin zuhause. Dass sie nicht aus ihrem Alltag herausgezogen wird, ist ihr sehr wichtig. "Ich glaube, wenn man dann wiederkommt von dieser Therapie, dann fällt es einem schwer, irgendwo Fuß zu fassen. Und sobald dann wieder ein Problem entsteht, ist man ja wieder schnell drinnen." Während der zwölf Monaten Therapie im Tannenhof hätten ihr vor allem die Gruppengespräche geholfen. "Da hat man gesehen, dass es auch andere Leute treffen kann, ganz normale. Und das hat mir sehr viel Kraft gegeben."
Knapp 100 Kilogramm Rauschgift mit einem Straßenwert von mehr als vier Millionen Euro: Dem Zoll ist ein Schlag gegen mutmaßliche Drogenhändler in Berlin gelungen. Dabei machten die Ermittler auch einen Rekordfund.
Für einige Beratungsstellen überraschend hat das Brandenburger Gesundheitsministerium in diesem Jahr die Förderung für die Crystal-Beratungen gekürzt. Grund dafür sei, dass die Nachfrage leicht zurückgegangen sei. Außerdem müsse aufgrund der "schwierigen Haushaltslage" in "sämtlichen Bereichen gekürzt werden", sagt Dominik Lenz, Sprecher des Brandenburger Gesundheitsministeriums. Das Land will die Lage allerdings genau beobachten und auch mit den Kommunen im Gespräch bleiben. Denn erst im vergangenen Herbst war der Zoll auf die bislang größte Menge Crystal in Berlin und Brandenburg gestoßen. Das seien oft erste Anzeichen dafür, dass das Problem sich dann mit möglicherweise einer gewissen Verzögerung auch in den Beratungsstellen niederschlagen werde, so Lenz.
Auch Leydecker gibt zu bedenken, dass es in den Suchtberatungen teilweise einen Verzögerungseffekt gebe. Denn Menschen bräuchten teils mehrere Jahre, bis sie den Punkt erreicht hätten, Hilfe annehmen zu können. Für den Tannenhof in Cottbus schießt die Stadt für das laufende Jahr das nun fehlende Geld zu.
"Ich lache wieder mehr"Annika hat ihre Therapie im Tannenhof beendet - sie ist inzwischen seit zwei Jahren clean. "Ich lache wieder mehr", sagt sie. "Man ist wieder lebensfroher, ich habe eigentlich immer gerne gelacht, aber irgendwie ist das durch den Konsum dann nicht mehr so gewesen." Sie wünscht sich, auch weiterhin clean zu bleiben: "Das ist glaube ich immer der längste Weg."
* Name von der Redaktion geändert
Sendung: rbb|24 explainer, 10.03.2022dpa-Symbolbild/Christoph Hardt