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Reaktion, Animation, Produktion
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Plastikmüll: ein prägendes Bild in indischen Großstädten. Nicht nur auf Straßen türmen sich Kunststoffabfälle, auch Flüsse und Küstenregionen sind voll von Plastikflaschen, Einkaufstüten und anderen Verpackungsresten. Seit Jahren versucht die Regierung in Neu-Delhi mit regulierenden Maßnahmen gegen das Problem anzukämpfen. Seit Juli 2022 sind 19 Plastikartikeln verboten, unter anderem Plastikbecher, Strohhalme und bestimmte Einwegplastiktüten.
Stärkere Plastiktüten werden jedoch weiterhin verkauft. Der Grund: Diese dickeren Tüten können von Bürgerinnen und Bürgern gesammelt und an Recyclingstationen verkauft werden.
Laura Höflinger, SPIEGEL-Korrespondentin in Indien: "Man hat in den letzten Jahren deutlich gemerkt, dass Plastik sich vermindert hat, also gerade zum Beispiel Teller, da gibt es viele schlaue Alternativen, wie gepresste Bananenblätter, solche Dinge. Das große Problem aber ist wirklich die Durchsetzung. Aber sorgt auch die Polizei dafür, dass die Händler das nicht mehr verkaufen? De facto ist es so: Es kommt immer ein bisschen auf die Region an, in der man sich befindet. Aber wenn man in irgendeiner Großstadt in Indien auf den Markt geht, wird man definitiv nach wie vor Einwegkunststoff finden."In Indien produzieren die Menschen durchschnittlich elf Kilogramm Plastikmüll pro Jahr - das ist vergleichsweise wenig. In den USA ist es fast das Zehnfache. Das Problem in Indien ist die mangelhafte Abfallwirtschaft, die in Kombination mit der hohen Einwohnerzahl gravierende Folgen hat. Laut indischer Regierung werden nur 60 Prozent des erzeugten Plastikmülls aufgesammelt und davon nur ein Bruchteil recycelt. Der Rest bleibt liegen, wird verbrannt oder landet in Gewässern.
Und aus diesen Plastikteilen entstehen durch Sonnen-, Wind- und Wassereinwirkungen Mikroplastikpartikel. Diese gesundheitsschädlichen Partikel setzen sich in Böden fest und schädigen Pflanzen und Anbau. Übers Wasser werden sie zusätzlich von Menschen und Tieren aufgenommen.
Laura Höflinger, SPIEGEL-Korrespondentin in Indien: "Ich habe wahnsinnig viele Freunde, die zu Hause in ihren kleinen Küchen kompostieren. Das ist etwas, das ich aus Deutschland so nicht kenne. Also dieses Bewusstsein: Was passiert mit dem Müll, den ich produziere? Und was kann ich tun, damit es besser wird? Die große Mehrheit allerdings, und das wird jeder sehen, der nach Indien kommt und dieses Land bereist ist, dass es viele Leute gibt, die achtlos ihren Müll auf die Straße werfen. Das Bewusstsein, dass dieser Müll die Abwasserkanäle verstopft, dass daran Tiere zugrunde gehen, dass dieser Müll am Ende oft auch in den Meeren landet und zum Müllproblem in den Ozeanen beiträgt. Dieses Bewusstsein existiert oft nicht."Aufklärung ist offenbar nötig: Mehr Bewusstsein für Plastikmüll schafft beispielsweise Manveer Singh, ein bildender Künstler aus der Küstenstadt Puri, mit seinen Kunstwerken aus Plastik. Die Region ist eine bekannte Brutstätte der pazifischen Bastardschildkröte. Jedes Jahr schlüpfen dort Millionen von Schildkröten und beginnen ihren mühsamen Weg ins Meer. Während der Brutzeit suchen die Tiere am Strand nach Nahrung und nehmen dort häufig Plastikreste zu sich. Nach dem Verzehr sterben sie dann oft einen qualvollen Tod. Aber auch im Wasser verfangen sich die Tiere regelmäßig in Plastikmüll und werden anschließend leblos an die Küsten gespült.
Manveer Singh, Künstler "Schildkröten spielen eine große Rolle bei der Erhaltung des Lebenskreislaufs auf unserem Planeten. Ich habe hier mehr als 250 Schildkröten [aus Plastik] ausgestellt. [...] Aus der Ferne sieht es aus wie eine Schildkröte, die sich ins Meer stürzt, aber in Wirklichkeit ist es Plastik."Mit seinem Kunstwerk will Manveer Singh nicht nur auf das Sterben der Schildkröten hinweisen, sondern zeigen, dass nicht mehr Tiere, sondern Plastik einen großen Teil der Küstenregion ausmacht.
Einen anderen Ansatz verfolgt die Bürgerinitiative "Walk For Plastic". Wie hier in der Stadt Chennai im Februar 2020 versammeln sich regelmäßig Hunderte freiwillige Helferinnen und Helfer und sammeln Plastikmüll von den Straßen auf - rund 22 Tonnen waren es seit der Gründung im Jahr 2019 bereits, teilt die Initiative mit.
Das aufgesammelte Plastik wird anschließend zu Recycle-Müllhalden gebracht. Wichtiger ist jedoch die Aufklärung: Während der Aktion suchen die Helferinnen und Helfer das Gespräch mit den Menschen, um über die Folgen von Plastik für die Umwelt zu reden. Der Organisator mit dem Künstlernamen "Gowtham " ist optimistisch.
Gowtham, Organisator von "Walk For Plastic". "Wenn wir sammeln, wenn wir uns bücken und das Plastik einsammeln, sehen die Leute, dass der Müll nicht uns gehört, aber dieser Planet gehört uns. Also können wir in Anbetracht der Zuneigung zum Planeten und der Verantwortung, die Natur zu schützen und zu bewahren, den gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, um alle Menschen zu erreichen."Die indische Bevölkerung setzt Impulse. Zudem gibt es inzwischen auch vereinzelt Alternativen zu Plastik wie etwa Einkaufstüten aus Jute. Reine Aufklärung wird jedoch nicht reichen. Um Plastikmüll zu verringern, müsste Abfall strenger getrennt, mehr Deponien gebaut und die Müllentsorgung verbessert werden. Bis Plastikmüll aber aus dem Landesbild verschwindet, hat Indien noch einen langen Weg vor sich.
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