Maik Reckate

Freier Texter, Journalist und Konzepter, Berlin

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Kolumne

Fremd im Imbiss


Bling macht die Maschine, Kling poltert das Geldfach. Unablässig scheppert die Automatenmelodie musikalische Verheißung in die fettgeschwängerte Luft. Die Frau auf dem Hocker grunzt hörbar unzufrieden gegen das Grundrauschen der Imbissakustik an und zaubert ein paar Münzen mehr aus ihrer rot gesteppten Handtasche. Äußerlich wirkt sie nicht wie eine Spielerin, Mitte 50, untersetzt, gepflegtes Äußeres, Bügelfalte. Typ Friseurmeisterin. Nur die zittrigen, sehnigen Hände beim Einwurf verraten eine Leidenschaft, die längst mehr ist als eine Angewohnheit. Ich frage mich, wie sie mit diesen Händen ihre bordeauxroten Nägel so akkurat lackieren konnte. Vielleicht gemacht. Bling. Auf dem Bildschirm leuchtet ein Heer an Edelsteinen auf, wilde, goldene Linien rauschen zu einem Muster über das Feld und stilisiertes, goldenes Konfetti regnet fröhlich vom oberen Rand. Eine funkelnde Glückssträhne in der sonst so lebensherbstlich violett gefärbten Lockenfrisur der Dame. Blinglingkraling. Der Soundtrack der Hoffnung. Wäre dies Alderaan, der Automat würde ein angeregtes Gespräch mit R2D2 führen.

Siebenfuffzich, tönt es vom Imbisstresen. Man kennt sich. Eine ältere, alleinerziehende Mutter hievt eine weiße, dünne Plastiktüte mit drei Dönerboxen über den Tresen. Das alleinerziehend ist natürlich völlig aus der Luft gegriffen, das behaupte ich einfach mal. Es ist etwa fünf, Feierabendzeit, die Kinder wirken wie abgeholt und sie eigentlich nicht so, als würde sie nicht kochen, wenn sie die Zeit dazu hätte. Und es sind drei Boxen. Trotzdem Spekulation, vielleicht ist der Vater noch auf Maloche. Die zwei Sprösslinge, ein Junge von etwa 13 und ein Mädchen im Grundschulalter schenken dem Smalltalk mit dem Mann hinter dem Tresen keine Beachtung, sie folgen dem Gang der Tüte wie Hunde am Esstisch einer Gabel. Es geht um den Spielabend, einen wohlbekannten, aber nach der Meinung des Imbissmanns zu wortkargen Landschaftsbauer und die Kälte, diese Scheisskälte. Die Frau wirkt müde, etwas bemüht, aber herzlich. Eine, die für die Schulbücher der Kinder auch mal zwei Monate mit dem Rauchen aufhören würde. Ein Zehn-Euro-Schein wechselt den Besitzer, Klimpergeld, Tschüss, bis morgen, jetzt aber raus mit euch.

Der Imbiss ist schlauchförmig angelegt, wenn auch nicht gerade. Eher wie ein Regenwurm, mit den Dönerspießen, der Glastheke und der Eingangstür als Kopf, einem kleinen Tresen mit drei Hockern gegenüber den Kühlschränken gleich daneben als Mitte und ein paar eng gestellten Tischen, Spielautomaten und einem wandmontierten Fernseher als Hinterteil. Die Seite mit den Tischen und den Kühlschränken ist vollverglast und gibt den Blick auf das gepflegte Rathaus und die zwei Hauptverkehrsstraßen des Orts frei. Hier trifft man sich, hier kennt man sich, hier kann man mal eben ein paar Minuten auf dem Bürgersteig mit eingeschalteter Warnblinkanlage stehen, ohne dass gleich wer motzt.

Der Verkaufsschlager sind Dönerbox, -Teller und Alkoholika diverser Couleur. Ich habe mich mit meiner Currywurst und dem braven Wasser für alle erkennbar als Durchreisender geoutet. Den ersten Gast nach mir hat der Mann am Tresen mit “Na, eben aufgestanden?” gegrüßt und tatsächlich Recht behalten, der Witz des Tages, nun wird jeder Ankömmling unter lautem Gelächter der schon Eingeweihten mit dieser Floskel begrüßt. Noch zwei Mal sollte er Recht behalten und den Witz erklären müssen. Ein Kerl Anfang 20 bestellt seine Frühstücks-Box mit Reis statt Pommes, man müsse ja auch offen für Veränderung sein, sagt er und entkorkt wie zum Beweis ein Berliner Pilsener. Andere haben die Schicht schon hinter sich. Ein kleiner, aber vor Kraft und Lache strotzender Handwerker kauft bloß ein Bier und einen Cuba Libre in der Dose, seine warme Pendlermilch nennt er das. Da kommt man schon entspannt zu Hause an, meint er, zahlt und stapft hinaus in die Dunkelheit. Ich hoffe insgeheim, dass er von den öffentlichen Verkehrsmitteln spricht, er schien wie ein netter Kerl.
   
Ich schaue ihm durch die Glaswand nach, wie er die Dose öffnet und gegen die kalte Winterluft antrinkt. Er scheint soweit zufrieden und ich spüre den Neid in mir hochsteigen. Ich sitze hier seit gut 20 Minuten und habe erst zwei Gäste kurz ihr Smartphone checken sehn. Eine familiäre Atmosphäre, würde in den Google-Rezensionen stehen. Es geht um das vergangene Wochenende, den heutigen Montag und den Spieltisch am Mittwoch, oder eher: Bergfest. Alles ist wunderbar unspektakulär. Wenn ich nicht wäre, kämen sicher noch ganz andere Themen auf den Tisch. Ich bin der Fremdkörper in diesem wohl genährten, etwas ungesund lebenden, aber alles in allem sich zufrieden auf den Wanst klatschenden Organismus. Etwas wehmühtig zahle ich unglaublich wenig, gebe grundlos Trinkgeld, verabschiede mich pauschal (warum auch nicht) und fahre zurück in meinen sich endlos selbst darstellenden, anonymen Szenekiez.