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Nachtfluglärm: Keine Gewöhnung in Sicht - DocCheck News

Nächtlicher Fluglärm kann bei gesunden Menschen zu Gefäßfunktionsstörungen, erhöhtem Stresshormonspiegel und durch die verminderte Schlafqualität zu dramatischen Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System führen.


Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO gehen im einkommensstarken Westeuropa mit seinen 340 Millionen Einwohnern jedes Jahr durch verkehrsbedingte Lärmbelastung eine Million gesunde Lebensjahre verloren. Bisherige epidemiologische Studien haben einen Zusammenhang zwischen Fluglärm und kardiovaskulären Erkrankungen, Schlafstörungen, Gefäßfunktionsstörungen und einer Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei Kindern hergestellt. Außerdem hat sich herausgestellt, dass Fluglärm im Vergleich zu Auto- und Zuglärm bei gleicher Lautstärke als am stärksten belastend empfunden wird. Eine aktuelle, von Mainzer Wissenschaftlern im „European Heart Journal" veröffentlichte Studie ging in einem randomisierten Feldversuch der Frage auf den Grund, wie sich eine wiederholte nächtliche Lärmbelastung von 60 Dezibel auf das Herz-Kreislauf-System von 75 gesunde Probanden mit einem Durchschnittsalter von 25,7 Jahren auswirkt.


Mainzer Fluglärmstudie


Die 75 gesunden Nichtraucher im Alter zwischen 20 und 54 Jahren (davon 61 Prozent Frauen), bei welchen keine Vorschädigung des Herz-Kreislauf-Systems diagnostiziert wurde, wurden in randomisierter Abfolge in ihrer gewohnten heimatlichen Schlafumgebung Tonbandaufnahmen von sechs unterschiedlichen Lärmszenarien des Düsseldorfer Flughafens ausgesetzt. „In diesen Lärmszenarien haben wir Nachtflüge mit einem durchschnittlichen Lärmwert (Sound Pressure Level: SPL) von 60 Dezibel simuliert und die Probanden zu Hause dieser Lärmbelastung in einem Feldversuch ausgesetzt. Bei einer Gruppe waren es 30, bei der zweiten Gruppe 60 simulierte Nachtflüge. Zur Kontrolle hatten wir auch ein lärmfreies Nacht-Szenario", erklärt Dr. Frank Schmidt von II. Medizinische Klinik und Poliklinik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Co-Autor der Studie.

Während der achtstündigen Schlafphase entstand bei 30 simulierten Überflügen eine durchschnittliche Lärmbelastung von 43 Dezibel, bei 60 Überflügen betrug die Durchschnittsbelastung 46 Dezibel. Die Dauer der Lärmbelastung betrug jeweils 45 Sekunden. Während der Testphase wurden die Probanden angewiesen, ihren üblichen Schlaf-Wach-Rhythmus aufrecht zu erhalten. Im Anschluss an die nächtliche Lärmbelastung wurde den Testpersonen in der Universitätsmedizin Mainz Blut abgenommen, wobei ein Anstieg des Stresshormons Adrenalin aber nicht beim Cortisol festgestellt wurde. „Durch die nächtliche Lärmbelastung kam es zu einer Verschlechterung der Schlafqualität, einer Zunahme der Epinephrin-Konzentration im Plasma und einer abnehmenden Pulswellenlaufzeit (Pulse transit time), einer Kennzahl für die Arterienverhärtung", erläutert Schmidt. Interessanterweise wurden erhöhte Epinephrin-Konzentrationen in der Vergangenheit auch bei Patienten mit Borderline-Hypertonie festgestellt.


Kein Gewöhnungseffekt bei Gefäßschädigung


Außerdem wurde mit zunehmender Lärmbelastung eine Abnahme der endothelialen Funktion, welche durch hochauflösende Ultraschallgeräte gemessen wurde, festgestellt. „Unsere Studienergebnisse belegen, dass in gleicher Weise wie die Fluggeräusche zunehmen, die Endothelfunktion ( FMD: Flow mediated dilation; Erweiterungsfähigkeit der Arterien) abnimmt und sich eine sogenannte endotheliale Dysfunktion entwickelt", berichtet Dr. Schmidt. Die FMD-Analyse gilt als ein wirksamer Test, endotheliale Dysfunktion nicht-invasiv zu bewerten und dient zur Früherkennung von Atherosklerose. Als Konsequenz bedeutet dies, dass in den Gefäßen als Folge der erhöhten Lärmbelastung viele freie Radikale gebildet werden, welche die Gefäßfunktion negativ beeinflussen. Daher vermuten die Studienautoren, dass die Verschlechterung der Gefäßfunktion durch oxidativen Stress ein wichtiger Mechanismus für die Entstehung von lärmbedingtem Bluthochdruck und möglicherweise dessen Folgen wie Herzinfarkt und Schlaganfall ist. „Bemerkenswert ist, dass sich die durch Lärm ausgelöste Gefäßschädigung durch Vitamin C korrigieren lässt", betonte Studienleiter Professor Dr. Thomas Münzel.


Darüber hinaus konnten die Forscher einen sogenannten „Priming"-Effekt feststellen. Darunter versteht man, dass das Auftreten eines Ereignisses, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines zweiten Ereignisses, welches mit dem ersten Ereignis verbunden ist, vergrößert. „Eine Beschallung mit 30 Überflügen induzierte bei einer nachfolgenden Nacht mit 60 Überflügen eine deutlich schlechtere Gefäßfunktion. Das bedeutet, dass man sich im Rahmen von mehreren Beschallungen nicht an den Fluglärm gewöhnt, sondern das Ausmaß der Gefäßschäden eher zunimmt", ergänzt Münzel. Dies müsse aber in weiteren Studien überprüft werden. Hingegen konnte keine Auswirkungen des Fluglärms auf die nächtliche Motilität, die Herzfrequenz, die neutrophilen Granulozyten, Interleukin-6 oder das C-reaktive Protein (CRP) festgestellt werden. „Eine ungestörte Nachtruhe ist für die Gesundheit und das Wohlbefinden sehr wichtig und sollte so gut wie möglich geschützt werden und daher kann die Reduzierung der nächtlichen Fluglärmbelastung als Präventivmaßnahme gegen kardiovaskuläre Erkrankungen angesehen werden", so Münzel abschließend.


Die HYENA-Studie


Bereits im Jahre 2008 stellte die europäische HYENA (hypertension and exposure to noise near airports)-Studie fest, dass Menschen, die einem erhöhten Nachtfluglärm ausgesetzt waren, häufiger erhöhte Blutdruckwerte aufwiesen als Personen, die in ruhigeren Wohngebieten beheimatet waren. Bereits ein Anstieg des nächtlichen Fluglärmpegels um 10 Dezibel im Schallpegelbereich zwischen 30 und 60 Dezibel erhöhte das Risiko für Bluthochdruck bei Männern und Frauen um rund 14 Prozent. Der Blutdruck wurde während der Nacht jede Viertelstunde gemessen und zum im Schlafzimmer ermittelten Lärmpegel in Beziehung gesetzt. Es kam zu einer durchschnittlichen Zunahme des systolischen Blutdrucks um 6,2 mmHg und des diastolischen Blutdrucks um 7,4 mmHg. Die Herzfrequenz nahm gleichzeitig um 5,4 Schläge pro Minute zu. Außerdem ermittelten die Forscher die Auswirkungen der Straßenverkehrslärmbelastung auf die Anwohner: Bei einer Erhöhung des Straßenverkehrslärmpegels um 10 Dezibel erhöhte sich das Bluthochdruckrisiko im Schallpegelbereich von 45 bis 70 Dezibel um rund zehn Prozent, wobei die Risikoerhöhung bei den Männern stärker ausgeprägt war. An der europäischen Studie nahmen 5.000 Anwohner der Flughäfen Berlin, Stockholm, Mailand, Amsterdam, Athen und London teil.

















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