Syrien: Palmyra. Datteln für die Königin der Wüste
Es ist nur eine Münze, kaum größer als ein 50-Cent-Stück. Einziges bildliches Zeugnis einer Frau, um die sich aufregende Legenden woben. Über ihre Schönheit, ihre Intelligenz, gepaart mit Kühnheit, aber auch mit Dreistigkeit. Denn wer wagt es, noch dazu als Frau vor fast 2.000 Jahren, den römischen Kaiser herauszufordern? Königin Zenobia sah darin kein Problem. Schließlich war sie die Herrscherin über ein Reich, das mitten in der syrischen Wüstensteppe, auf halbem Wege zwischen Euphrat und dem Mittelmeer gelegen, für mehrere Jahrhunderte eine der wichtigsten Karawanenrouten kontrollierte und Handel betrieb mit den Römern im Westen und den Persern im Osten. Gehandelt wurden nicht nur Gewürze, Indigo, Purpurwolle, Edelsteine, sondern vor allem kostbare Stoffe.
Palmyra, die wichtigste Stadt
dieses Reiches, eine Oase, umgeben von ausgedehnten Obst- und Palmenhainen, war
Teil der Seidenstraße. Die Palmyrener, arabische Beduinen, die sich irgendwann im
Laufe des 1. Jahrtausends vor Christus an dieser Oase niederließen, waren sich
der Bedeutung ihrer Stadt bewusst; sie protzten mit Stolz und Reichtum, indem sie
Palmyra prächtig ausbauten, nach römischen und altorientalischen Vorbildern. Die
Stadt sollte bald mehreren zehntausend Bewohnern Platz bieten. Mitten in der
Wüste. Und die Herrscherin eines solchen Reiches sollte Rücksicht nehmen auf den
römischen Kaiser, der weit ab vom Geschehen in Rom weilte und sich vielleicht
allenfalls an Palmyra erinnerte, wenn er ein paar Datteln verspeiste? Sie hätte
es tun sollen.
Früher Kamel, heute
LKW
Die kostbaren Waren wurden zunächst auf Eseln transportiert,
so war man auf Handelswege entlang Wasserwegen und auf einigermaßen gängiges
Gelände angewiesen. Mit dem robusten und genügsamen Kamel, das zu Beginn des 1.
Jahrtausends vor Christus domestiziert wurde, eröffneten sich ganz neue Wege.
Nun konnte man mitten durch die unbarmherzige Wüste ziehen, das sparte Zeit.
Geld nicht unbedingt, denn Palmyra verlangte von den Händlern, die hier ihre
Waren handelten oder einfach nur rasten, ordentlich Zölle. Dann ging es weiter in
den Westen nach Damaskus oder in den Osten nach Ktesiphon, wo die Waren erneut
umgeschlagen wurden. Die Reisen waren beschwerlich, aber profitabel.
Heute gibt es keine Karawanen mehr, Kamele sieht man selten, und wenn, dann sind es Rennkamele oder Tiere für die Schlachtung. Als Transporttier hat der arrogant dreinschauende Schwielensohler schon lange ausgedient. Busse und LKWs haben den Transport übernommen, wenig romantisch zwar, dafür schneller und bequemer. Überhaupt ist das Reisen heute weitaus weniger beschwerlich. Wir fahren zwar früh von Damaskus los, um die wohlige Kühle des Morgens genießen zu können, aber wird es zu heiß, schließen wir einfach die Fenster und drehen den Regler der Klimaanlage ein wenig höher.
Bereits nach einer knappen Stunde Fahrt biegen wir von der Nordsüd-Autobahn in
Richtung Osten ab und die fruchtbaren Ebenen des Dschabal ar-Ruwaq verwandeln sich zunehmend in trockene, öde
Landschaften, die als Steppenwüste etwa neunzig Prozent des Landes bedecken. Die
Straßen ziehen sich schnurgerade in immer trockenere Gebiete. Man passiert die
Kreuzung, an der es links Richtung Hama, die Stadt der Wasserräder, geht und
rechts nach Bagdad. Irakische Lastwagen sieht man nun häufiger, ebenso
irakische Taxis, die nicht nur durch ihre charakteristische weiß-orangefarbene
Bemalung auffallen, sondern auch durch ihre hochgebockte Hinterachse am
Kofferraum, unter dem ein überdimensionaler Tank hängt. Darin schwappt billiges
Benzin aus dem Irak, das sich in Syrien gut verkaufen lässt.
Langsam kommen die flachen Bergzüge des Dschabal Muntar ins Blickfeld. Die Luft flimmert, eine Herde von Schafen erheischt dennoch ein paar Halme undefinierbares Grün, das der letzte Regen hat gedeihen lassen. Diese Ödnis kann zu einem blühenden Garten erwachen, wenn im Winter die Winde des Mittelmeeres Regenwolken durch die Homs-Senke treiben, diese sich an den Hängen des Dschabal Muntar festsetzen und schließlich auf den ausgemergelten Boden ergießen; diese plötzlichen Fluten lassen innerhalb weniger Tage die ausgetrockneten Flussbette, die Wadis, die die ganze Landschaft durchziehen, zu reisenden Flüssen werden und die Steppe mit Kräutern und Blumen erstrahlen.
Nach wenigen Wochen jedoch, oftmals nach wenigen Tagen, ist das bunte Mosaik wieder verschwunden. Heute ist die Luft so heiß und trocken, dass der Gedanke an einen Garten Eden in ferne Welten entschwunden ist. Zeit also für eine Rast. Das berühmteste Café auf dieser Strecke heißt nahe liegend „Bagdad-Café“. Hier serviert Mahmud inmitten nützlicher und weniger nützlicher Souvenirs ein köstliches Frühstück mit Rührei, frischem Gemüse, ein paar Oliven und Schafskäse, Tee mit frischer Minze. Es gibt doch ein Stück Garten Eden.
Hochbeinige weidende gelbe Tiere
Endlich, die Stadt der aufmüpfigen Königin zeichnet sich langsam am Horizont ab. Durch die flimmernde Luft in Unschärfe getaucht, kommen erste Grabtürme, Säulen, Mauerreste in Sicht. Wir fühlen uns an den deutschen Archäologen Theodor Wiegand erinnert, der sich 1917 voller Ehrfurcht den Ruinen näherte und an seine Frau Marie schrieb: „Palmyra ist die größte heroische Landschaft, die ich je gesehen habe. Nichts stört den Anblick. Kommt man von ferne, so fallen die langen Reihen der Säulenstraßen […] auf, jemand sagte, es sehe aus wie viele hochbeinige weidende gelbe Tiere.“ Zunächst passieren wir die Efqa-Quelle, die ebenfalls durch die Regenfälle gespeist wird und der Palmyra seine Existenz verdankt. Über 50.000 Palmen, Granatapfel- und Ölbäumen spendet sie Leben. Doch die Quelle versiegt.
(...)
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Salibas Welt. Eine Reise durch Syrien." (2008)