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"Angela Merkel ist ein absoluter Sonderfall": Verena Hubertz und Katarina Barley über Frauen in der Politik

Die SPD im watson-Doppel - Katarina Barley und Verena Hubertz über Frauen in der Politik: "Angela Merkel ist ein absoluter Sonderfall"

Mit frischen Gesichtern will die SPD frischen Wind in den Bundestag bringen und startet so mit 109 Bundestagskandidatinnen und Kandidaten unter 40 Jahren in den Wahlkampf. Eine davon ist Verena Hubertz. Bei ihrer Kandidatur bekommt die 33-Jährige prominente Unterstützung. Nicht nur die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer engagiert sich für die junge Politikerin, sondern auch die ehemalige Familien- und Justizministerin Katarina Barley.

Watson trifft Verena Hubertz und Katarina Barley in der Nähe von Trier zum Doppel-Interview. In Schweich, einer kleinen Gemeinde mit 7000 Einwohnern, wohnt die ehemalige Justizministerin und Vize-Präsidentin des Europaparlaments Katarina Barley. Und die junge Bundestagskandidatin Verena Hubertz möchte hier das Direktmandat holen. Es entspinnt sich ein Gespräch über den Generationenunterschied innerhalb der SPD, junge Frauen in der Politik und darüber, warum die SPD noch nie eine Kanzlerkandidatin hatte.

Das watson-Doppel - unsere neue Politik-Serie zur Bundestagswahl

watson: Frau Barley, es heißt, Sie wären Autoliebhaberin. Keine sehr populäre Position im Moment, wenn man junge Menschen fragt. Katarina Barley: Das stimmt so nicht. Ich hatte einen Oldtimer, den ich geliebt habe, einen VW Karmann Ghia. Es war aber nur dieses eine Auto, das so alt war wie ich, zu dem ich ein emotionales Verhältnis hatte. Leider musste ich es abgeben, weil die Reparaturen Überhand nahmen. Ansonsten habe ich zu Autos überhaupt kein emotionales Verhältnis und fahre sie, bis sie auseinander fallen.

Und Sie, Frau Hubertz? Verena Hubertz: Wenn ich in städtischen Gebieten unterwegs bin, nutze ich Carsharing, wenn ich ein Auto benötige. Selbst mein Fahrrad ist ein Leihrad. Hier in meinem Wahlkreis brauche ich aber ein Auto und nutze aktuell das von meinem Vater. Ich habe mir aber eines für den Wahlkampf gemietet, um es dann auch mit Logos und Schrift bekleben zu können.

Leihen statt kaufen: Ist das der berühmte Generationenunterschied, der sich beim Verhältnis zum PKW bemerkbar macht? Barley: Oh jee, jetzt werde ich hier zur Seniorin stilisiert (lacht).

Wir hätten gerne daran erzählen wollen, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten der verschiedenen Altersgruppen innerhalb der SPD aussehen. Barley: (Lacht) Naja, ich bin erst 2013 als Quereinsteigerin in den Bundestag gewählt worden. Wie es davor war, kann ich für die Bundestagsfraktion schlecht beurteilen. Aber es stimmt: Genau das, was die SPD stark macht, ist das Zusammenbringen unterschiedlicher Lebensrealitäten, von Stadt und Land, von Pflegekräften und Chefärztinnen und -ärzten, von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die gerade erst in den Job starten, bis hin zu Rentnerinnen und Rentnern. Uns geht es darum, dass in unserer modernen Gesellschaft der immer vielfältigeren Lebensentwürfe jede und jeder Respekt und auch eine vernünftige Entlohnung erhält.

Trotzdem: Wie man hört, war das damals noch ein ziemlicher Männerladen. Sigmar Gabriel war Parteichef. Barley: Sigmar Gabriel ist natürlich ein "Mann-Mann" (lacht). Das ist schon wahr. Aber wir hatten auch damals schon starke Frauen. Manuela Schwesig war mein Anker. Und natürlich Andrea Nahles, die ich schon seit dreißig Jahren kenne. Aber ja, es wird nicht nur weiblicher, sondern auch jünger.

Für die SPD kandidieren dieses Jahr tatsächlich sehr viele junge Frauen, wie uns die Partei exklusiv mitteilte. Ein Drittel der Kandidaten ist unter 40 Jahre alt und 40 Prozent der Direktkandidaten sind weiblich. Barley: In der SPD waren Frauen immer schon vertreten. Es hat allerdings gedauert, bis sie in die Positionen kamen, in denen sie wirklich Verantwortung übernehmen und Erfolg haben konnten. Es ist leicht, jemanden in Wahlkreisen aufzustellen, wo man weiß, dass man dort sowieso nicht gewinnt. Viel entscheidender als die Frage, wie viele Frauen auf den Listen stehen, ist, wie viele dann auch wirklich in den Bundestag kommen.

Hubertz: Das ist das große Ziel für mich. Einzug in den Bundestag. Barley: Da sind wir bei dir aber auch sehr optimistisch.

Wie haben Sie als junge Frau die SPD bisher erlebt? Mussten Sie es sich erkämpfen, ernst genommen zu werden? Hubertz: (Denkt lange nach) Sowohl als auch. Wenn ich hier im Wahlkreis Werbung für mich mache, dann bekomme ich als Rückmeldung manchmal die Frage: "Wie alt sind Sie denn?" Ich bin 33 Jahre alt. Das finde ich jetzt gar nicht mehr so jung.

Je nach Perspektive. Hubertz: Ich werde schon mein ganzes Leben mit meinem Alter konfrontiert. Ich habe mit 25 Jahren ein Unternehmen gegründet. Das heißt, dass ich nie in einem festen Job Arbeitnehmerin war, aber direkt als Arbeitgeberin für Mitarbeiter Verantwortung gehabt habe, die auch mal zehn Jahre älter waren als ich. Die wurden dann auch gefragt, wie es ist, unter einer jungen Frau zu arbeiten. Dieses Rollenverständnis war mir immer schon fremd. Es kommt doch nicht darauf an, in welchem Alter man in eine Position kommt, sondern welche Kompetenzen und Fähigkeiten man mitbringt.

Wie gehen Sie damit um, wenn Ihr Alter so sehr thematisiert wird? Hubertz: Ich lenke das Gespräch darauf, dass ich frischen Wind in die Politik bringen möchte und dass ich die letzten Jahre auch etwas gemacht habe, nämlich ein Unternehmen aufgebaut. Da bin ich auch neue Wege gegangen. Ich glaube, nach 16 Jahren Angela Merkel und bald eineinhalb Jahren Pandemie ist jetzt ein Bedürfnis da, neue Wege zu gehen.

Und Sie sind weiblich, was in der Politik immer noch nicht die Regel ist. Der Bundestag ist so männlich dominiert wie seit 1998 nicht mehr. Apropos: Wie kann es eigentlich sein, dass es bis heute keine Spitzenkandidatin der SPD auf Bundesebene gab, aber eine CDU-Kanzlerin 16 Jahre lang das Land regierte? Barley: Angela Merkel ist ein absoluter Sonderfall. Ein Sonderfall für die Politik und für die CDU noch einmal doppelt. Ich habe lange mit ihr zusammengearbeitet, unter anderem als Justizministerin. Sie besitzt keinerlei Eitelkeit. Es geht ihr kein bisschen um sich selbst. Es gibt in der Politik solche und solche.

Frau Hubertz, haben Sie Vorbilder in der Politik, an denen Sie sich orientieren? Hubertz: Katarina Barley, Malu Dreyer. Es gibt viele empathische, sympathische und bodenständige SPD-Politikerinnen hier in Rheinland-Pfalz. Ich werde von Katarina und Malu sehr unterstützt. Es ist schon so, wie Katarina es sagt, das sind eben andere Politikertypen als ein Sigmar Gabriel. Ich bin stolz darauf, dass es hier so nah und persönlich ist.

Das klingt nach viel Dankbarkeit. Hubertz: Ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich 2017 direkt beim Wahlkampf, damals noch als Gründerin eines Start-ups, mit dabei sein durfte. Als Katarina Generalsekretärin der SPD war, hat sie mich zu einem Netzwerktreffen der Frauen in der SPD eingeladen. Das war wirklich prägend für mich. Es ist auch die Frage, wie du in so einen großen Laden wie eine Partei reinkommst. Barley: Deswegen ist Verena die ideale Bundestagskandidatin. Verena Hubertz lacht. Barley: Nein, im Ernst! Zum einen, weil du da als junge Unternehmerin wirklich frischen Wind reinbringst und zum anderen wegen deines Blickes von außen. Das ist auch der Grund, warum du damals ins Willy-Brandt-Haus eingeladen wurdest - und damit ja auch einen Blick von innen bekamst. Hubertz: Irgendwann war ich dann immer öfter dabei. Barley: Ja, weil du eine junge, weibliche und digitale Perspektive mitbringst. Außerdem bist du erfolgreiche Gründerin im Start-up-Bereich. Du hast den Vorteil, sehr frisch auf diese ganzen Strukturen zu schauen und eine Außenansicht des Bundestags einzunehmen. Auf der anderen Seite kennst du all diese Leute schon und weißt, wen du anrufen musst, um politische Projekte voranzubringen. Das ist in der Politik mit das wichtigste. Diese Kombination haben nur wenige Menschen.

Frau Hubertz, heißt das, Sie sind in die Politik hineingerutscht? Hubertz: Jein. Es war schon so, dass ich immer wieder gefragt wurde. Barley: Auch von mir (lacht). Von Katarina und auch von anderen Menschen. Aber ich habe immer wieder gesagt: "Leute, ich mach' doch Kitchen Stories." Politik stand zu dem Zeitpunkt einfach nie so wirklich zur Debatte.

Irgendwann wohl schon. Hubertz: Hier sind zwei Prozesse zusammengekommen: Unser Start-up Kitchen Stories kam gerade in eine Wachstumsphase. Und in dieser eher operativeren "Management"-Phase habe ich mich nicht so gesehen. Für mich war es spannender, etwas Neues auszuprobieren. Und mir war klar, dass es in Deutschland Probleme gibt.

Sie glauben, es klappt nicht? Hubertz: Natürlich klappt das! Bis auf wenige Ausnahmen gewann bisher immer die CDU den Wahlkreis in Trier, in dem Sie jetzt antreten. Barley: Zweimal hat die SPD das Direktmandat gewonnen, zuletzt 2002.

Trotzdem: Hat Verena Hubertz bessere Chancen als Sie? Barley: Verena hat den Vorteil, dass Angela Merkel nicht mehr antritt. Und dass sie hier im Landkreis geboren ist. Hubertz: Das ist mir wichtig: Politik dort zu machen, wo ich aufgewachsen bin und geprägt wurde. Barley: Es ist auch interessant, dass ihre Mutter Gemeindereferentin war. Sie ist auf den Pfarrfesten groß geworden. Sie kennt die Dörfer hier. Hier werden zum Beispiel Feuerwehrautos eingesegnet. Wenn man von woanders herkommt, ist das erst einmal eine neue Erfahrung, sie ist damit aufgewachsen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Verena auch im Landkreis gute Chancen hat, viele Stimmen zu holen.

Und dann gab es kritisches Feedback? Barley: Die Coaching-Frau hat mir dann gesagt, dass ich so und so reden soll und so und so schauen. Das war überhaupt nicht mein Ding. Ich saß dann in den Talkshows - (zu Verena Hubertz) Talkshows sind sowieso eine besondere Herausforderung - und war ganz steif und konzentriert darauf, alle Ratschläge zu berücksichtigen. Ich kann im Nachhinein nur sagen: "Mach' das nicht. Sei so, wie du bist." Hubertz: Ich kenne das noch vom Gründen. Wenn man dann zum ersten Mal in so einem Meeting mit Vorstandsvorsitzenden sitzt, denkt man, man muss ganz anders sein. Das Gleiche beim Vorsprechen vor der Partei. Das hilft aber überhaupt nicht weiter. Es ist wirklich wichtig, dass man bei sich bleibt und dass es auch Menschen gibt, die einem das spiegeln. Es ist eine riesige Gefahr, dass man sich mit Menschen umgibt, die immer nur "Ja" sagen. Aber die Gefahr sehe ich bei dir nicht.

Trotzdem hat ihre scherzhafte Bemerkung ja einen wahren Kern. Gerade erst ist Franziska Giffey zurückgetreten und jetzt übernimmt Justizministerin Christine Lambrecht zusätzlich das Familienministerium. Es entsteht ein wenig der Eindruck, dass die Vergabe der Ministerien beliebig erfolgt. Barley: Das verstehe ich, diese Kritik kommt auch nicht nur in der aktuellen Situation kurz vor der Bundestagswahl. Es ist zum Beispiel oft die Frage, warum Jens Spahn Gesundheitsminister ist, der ja eigentlich Bankkaufmann gelernt hat. Nun ist das Leiten von Ministerien eine politische Führungsfunktion. Spitzenpolitikerinnen und Politiker sind es gewohnt, sich in neue Themen einzuarbeiten. Aber was zählt, ist auch eine gewisse Management-Fähigkeit. Deshalb würde ich auch nicht Spahns Ausbildung kritisieren, sondern sein Management in der Corona-Pandemie. Christine Lambrecht war erste parlamentarische Geschäftsführerin, eine Frau mit einem Radar über alles, die war auch zuvor thematisch überall drin. Die kann das auch. Vor allem muss man als Ministerin aber auch politisches Handwerk verstehen und führen können. Es ist nicht nur die fachliche Qualifikation, die da entscheidet.

Haben Sie thematische Schwerpunkte in der Politik? Hubertz: Ja, klar. Finanzen und Wirtschaft sind natürlich meine Präferenzen, weil ich da eben auch herkomme. Mal schauen, ob das dann auch mit den entsprechenden Ausschüssen klappt. Barley: Ich erinnere mich dran, als ich ganz neu im Bundestag war und es um die Verteilung der Ausschüsse ging. Da darf sich dann jeder für drei bewerben. Ich habe mich damals für den Europa-Ausschuss beworben und den dann auch bekommen. Da war eine junge Kollegin, die auf mich sehr stark wirkte. Die stand auf und erklärte, sie wolle in den Finanzausschuss und NUR in den Finanzausschuss. Ich stand da und war ganz erstaunt. Die Kollegin war wahrscheinlich keine dreißig Jahre alt und hatte den Mut, sowas zu fordern. Sie hat sich später dann auch noch einen offenen Schlagabtausch mit Sigmar Gabriel geliefert. Ich, die ich so harmoniebedürftig bin, dachte, "Oha, mal sehen, was aus der noch wird." Und? Barley: Sie hat den Finanzausschuss bekommen und ist immer noch dabei.

Damit das mit der Wahl der Ausschüsse klappt, muss Verena Hubertz erst einmal in den Bundestag kommen. Die aktuell eher dürftige Lage der SPD in den Umfragen ist gerade nicht besonders hoffnungsvoll. Barley: Sie meinen die nicht so ermutigenden Prozentzahlen (lacht).

Als Sie Generalsekretärin waren, mussten sie 2017 mit 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl das historisch schlechteste Ergebnis der SPD rechtfertigen und ordentlich Kritik einstecken. Heute wäre man über solche Werten froh. Warum geht es bei der SPD immer weiter abwärts? Barley: Das muss man natürlich alles im Kontext sehen. Wir hatten auch schon im Zuge der Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 gesehen, dass die Volksparteien, die in sich verschiedene Positionen vereinen, Stimmen verloren haben. Einfach, weil die Debatte immer zugespitzter geführt wurde. Parteien wie die Grünen, die - etwas vereinfacht - "Flüchtlinge rein" gesagt haben oder wie die AfD, die "Flüchtlinge raus" geschrien hat, haben in der Zeit profitiert. Da hat es angefangen, dass der Kompromiss einen immer negativeren Touch bekommen hat.

Was ist denn der aktuelle Zeitgeist? Barley: Wir sehen beispielsweise bei der Klimapolitik, dass es gerade en Vogue ist, immer noch mehr zu fordern, ohne zu schauen, ob das auch sozial gerecht ist und wie es umzusetzen ist. Ich kann auch immer mehr fordern, so wie die Grünen es tun. Hubertz: Aus der Opposition heraus ist das einfach. Exakt so ist es. Da wo sie regieren, liefern sie dann aber nicht. Sie sehen also bei der SPD selbst keine Verantwortung für die schlechten Umfragewerte? Barley: Doch. Wir profitieren nicht von unserer guten Regierungsarbeit und daran sind wir selbst schuld. Wir haben ein massives Image-Problem. Es haben sich Erzählungen über die SPD festgesetzt und aus denen kommen wir sehr, sehr schlecht raus. Vielleicht helfen solche Kandidatinnen wie Verena dabei, diese Vorurteile aufzubrechen.

Sollte die SPD sich in der Opposition erneuern, wie es so oft gefordert wurde? Hubertz: Wir haben gute Ideen, und wenn man gestalten will, ist es keine gute Zeit zu sagen: "Wir steigen ab in die zweite Liga". Wir haben mit Olaf Scholz einen super Kanzlerkandidaten und ein sehr gutes Zukunftsprogramm. Wir brauchen aber auch frische Köpfe dazu. Deshalb ist es mein erklärtes Ziel, in den Bundestag zu kommen. Was dann nach der Wahl passiert, müssen wir sehen. Aber alles außer GroKo bitte. (lacht)

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