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Cem Özdemir über Armin Laschet: "Man hatte den Eindruck, er ist in der falschen Partei"

Cem Özdemir über seinen Freund Armin Laschet: "Man hatte den Eindruck, er ist in der falschen Partei"

Der Grünen-Politiker spricht im Interview über seine Freundschaft mit Armin Laschet, das Verhältnis zu Fridays for Future und Loyalitätskonflikte beim Fußball.

Schließlich sollte es doch der Politiker der Mitte sein statt Grünen-Schreck Friedrich Merz. Ein kollektives Aufatmen ging wohl durch die Parteizentrale der Grünen und zahlreiche Abgeordnetenbüros, als das Ergebnis beim CDU-Parteitag verkündet worden ist. Mit dem neoliberalen Verfechter des Wirtschaftswachstums wäre es schwer geworden, sich auf einen Koalitionsvertrag zu einigen. Auf der anderen Seite hatten sich manche wohl auch schon auf einen Wahlkampf gegen den polarisierenden Friedrich Merz gefreut.

Doch für einen Grünen war die Wahl mehr als nur Politik: Cem Özdemir. Özdemir bezeichnet den neuen CDU-Chef Armin Laschet als seinen Freund. Auch ihre Familien kennen sich gut. Die Freundschaft stammt noch aus ihrer gemeinsamen Zeit als EU-Abgeordnete in Brüssel. Später waren beide Teil der berüchtigten "Pizza-Connection", bei der sich Grüne und CDU-Politiker getroffen haben, lange bevor Schwarz-Grün überhaupt denkbar war. Es ist noch keine Woche her, dass Laschet CDU-Parteichef geworden ist, als watson Özdemir zum Interview in seinem Büro im Bundestag trifft.

watson: Herr Özdemir, 2021 heißt es bei jungen Leuten Fahrrad statt Auto, Pop-up-Radwege statt Autobahn. Haben Ihre Kinder vor, einen Führerschein zu machen? Cem Özdemir: Gute Frage. Es beschäftigt sie nicht wirklich. Mein Sohn findet es spannender, mich die Berliner U-Bahnstationen abzufragen.

Vielleicht liegt es daran, dass sie es von ihren Eltern so vorgelebt bekommen? Da könnte etwas dran sein. Meine Kinder haben beide eine Bahncard und die Bahn-App auf dem Handy. Wenn wir zur Oma nach Bad Urach fahren, dann mit der Bahn und dem Carsharing-Angebot vor Ort.

Generell setzt die junge Generation viel weniger auf das Auto. Als Grüner müsste es Sie ja freuen. Aber auf der anderen Seite lebt Ihr Wahlkreis Stuttgart von der Automobilindustrie. Was überwiegt da bei Ihnen, der Grüne oder der Mandatsträger? Sie haben recht: Das ist eine dramatische Herausforderung für die Automobilindustrie, aber man darf nicht vergessen, dass die meisten Autos exportiert werden. Der deutsche Markt ist nicht entscheidend.

Aktuell sind die Carsharing-Angebote aber noch defizitär. Das Geld wird immer noch mit den "Blechkisten" verdient. Das stimmt, aber dieses Geld wird benutzt, um die Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte zu finanzieren. Es gibt eben keine Alternative, als sich dem Wandel anzupassen. Alte Diesel-Autos und verstopfte Innenstädte sind entgegen der Meinung von CSU und FDP keine Zukunftsmodelle.

Gerade in Baden-Württemberg wird die Politik der Grünen aber auch als zu industriefreundlich kritisiert. Eine Klimaliste konkurriert um Stimmen und tritt bei den Landtagswahlen an. Was halten Sie davon? Es gibt schon seit den 1980ern eine Klimaliste in Baden-Württemberg, die heißt Bündnis 90/Die Grünen und stellt aktuell den Ministerpräsidenten. Ich freue mich über alle, die sich für Klimaschutz einsetzen, denn um den besten Klimaschutz durchzusetzen, brauchen wir Mehrheiten. Die gewinnen wir am besten gemeinsam. Wir begrüßen alle, die mitmachen wollen.

Das heißt, Sie können diese Kritik an der Regierungsarbeit der Grünen nicht nachvollziehen? Wissen Sie: Eine Spaltung unter uns Klimaschützerinnen und Klimaschützern hilft am Ende nur den Klimawandelleugnern. Einige der Kandidierenden haben genau deshalb inzwischen ihre Kandidatur für diese Liste zurückgezogen, davor habe ich Respekt und lade alle ein, nun gemeinsam mit uns für den besten Klimaschutz zu kämpfen.

Apropos Koalitionspartner: Sie sind seit einigen Jahren eng befreundet mit Armin Laschet. Nun wurde er zum Parteivorsitzenden der CDU gewählt. Abseits der Politik, wie fanden Sie seine Bewerbungsrede auf dem Parteitag? Es war eine sehr gute Rede. Aber man hatte den Eindruck, er ist in der falschen Partei.

Das war eigentlich eine sozialdemokratische Rede. Er hat von seinem Vater berichtet, der Bergmann war. Das ist eine Aufstiegsgeschichte, die die SPD so leider nicht mehr erzählt. Sie spricht von Stolz und Würde der Arbeit. Hinfallen, Weitermachen und am Ende etwas erreichen, was niemand für möglich gehalten hätte.

Welchen Einfluss hatte das auf die Erfahrung von Migranten in Deutschland? Es wäre eine wichtige Geste gewesen, um deutlich zu machen, dass das hier auch die Heimat derer ist, deren Eltern als Gastarbeiter hergekommen sind. Diese Menschen haben sich vergessen gefühlt. Ich habe mit den Hinterbliebenen der Opfer gesprochen und habe es auch später Armin Laschet geraten, als er Integrationsminister wurde.

Denken Sie, die CDU ist heute weiter in dieser Hinsicht? Es hat sich viel zum Guten verändert. Es war beispielsweise die CDU und nicht wir Grüne, die die erste Ministerin mit Migrationshintergrund berufen hat. Aber die Anschläge von Halle und Hanau zeigen auf der anderen Seite, dass die CDU Rechtsextremismus noch immer nicht ernst genug nimmt. Es sind CDU-Innenminister, die die Aufklärung der Anschläge durch den NSU nicht vorangetrieben haben. Und beim Innenminister von Sachsen frage ich mich bis heute, was er beruflich macht.

Wie ist es bei Ihrem Sohn und Ihrer Tochter heute - wo ist ihre Heimat? (lacht) Da ist es ja noch schwieriger. Sie leben in Berlin, ihr Vater ist anatolischer Schwabe und die Mutter Argentinierin mit italienischen und spanischen Vorfahren und italienischem Pass. Bei Fußballspielen wird das dann kompliziert.

Und kommen Sie da auf einen gemeinsamen Nenner? Prio eins ist die deutsche Nationalmannschaft. Bei den Vereinsmannschaften wird es etwas schwieriger. Mein Sohn darf FC-Union- und VfB-Stuttgart-Fan sein.

Und wenn die beiden gegeneinander spielen? Dann gewinnt hoffentlich der VfB. (lacht)

Ihre Kinder kennen nur eine Frau als Kanzlerin. Wäre es nicht ein harter Bruch, wenn nun ein Mann Kanzler werden würde? (lacht) Netter Versuch. Aber das werden die beiden unter sich ausmachen und ich bin mir sicher, dass meine Kinder mit der Entscheidung zufrieden sein werden.

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