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Habeck: "Nicht die Sorge, ob man mit Auto oder Rad zur Arbeit fährt - sondern ob man überhaupt noch Arbeit hat"

"Nicht die Sorge, ob man mit Auto oder Rad zur Arbeit fährt - sondern ob man überhaupt noch Arbeit hat"

Im Interview mit watson erklärt Grünen-Chef Robert Habeck, wie er persönlich mit der Quarantäne umgeht, welche Ängste er mit der Zeit nach Corona verbindet und wie er die Arbeit der Bundesregierung einschätzt.

Manchmal kann alles so schnell gehen. Fragte man die Deutschen vor wenigen Monaten, was die derzeit wichtigste Herausforderung ist, so nannten 37 Prozent von ihnen Umwelt- und Klimaschutz. Kein anderes Thema war für die Deutschen bedeutender. Nun, Ende März, sind nur noch neun Prozent fürs Klima übrig geblieben. 68 Prozent hingegen sagen laut Forsa: Das Coronavirus ist das drängendste Problem.

Keine leichten Zeiten für die Grünen. Nicht nur, dass ihr Kernthema für die Menschen gerade kaum eine Rolle spielt. Dazu kommt, dass die Öko-Partei beim großen neuen Thema nicht so präsent sein kann wie andere. Schließlich regieren die Grünen im Bund nicht. Stattdessen sind es Union und SPD, die jetzt gefragt und präsent sind. Politiker wie Jens Spahn, Angela Merkel, Markus Söder und Olaf Scholz. Um sie dreht sich aktuell alles.

Höchste Zeit, auf andere zu schauen. Höchste Zeit, sich mit Robert Habeck zu unterhalten.

Watson hat mit dem Grünen-Chef darüber gesprochen, ob es ihm Sorgen bereitet, dass Themen wie Umweltschutz durch die Corona-Krise aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden und dass seine Partei Prozentpunkte eingebüßt hat. Wir wollten außerdem wissen, wie Robert Habeck persönlich mit der Kontaktsperre umgeht und wie sein Konzept für eine Exit-Strategie aus dem Corona-Shutdown aussieht.

Über den Homeoffice-Alltag:

watson: Herr Habeck, Deutschland ist durch die Corona-Krise lahmgelegt, das Leben der Menschen anders wie nie zuvor. Wie hat sich Ihr persönlicher Alltag verändert? Robert Habeck: Alles ist anders geworden durch den Shutdown. Mein Alltag ist - wie der von eigentlich allen Menschen - komplett durcheinandergeworfen. Meiner bestand bisher zu großen Teilen aus Podiumsdiskussionen, Townhalls, Konferenzen - also Menschen treffen. Und ich war viel im Land unterwegs. Jetzt arbeite ich seit bald drei Wochen zu Hause. Videokonferenzen, Schalten - alles ist in den digitalen Raum verlegt worden.

Wie kommen Sie damit zurecht? Die Neugier, die man am Anfang hatte, ist einer Ernüchterung gewichen. Ständig läuft man mit'm Knopf im Ohr rum. Die Leute, mit denen man spricht, sieht man höchstens auf dem Bildschirm, oft zeitverzögert. Ist wie Trockenschwimmen, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht fehlt. Aber mir geht es natürlich noch gut - nichts im Vergleich zu Familien, die mit zwei Kindern in einer winzigen Wohnung ohne Balkon leben und da Arbeit, Schule, Kita hinkriegen müssen. Oder die Angst haben, nicht über die Runden zu kommen, weil alle Einkünfte von einem Tag auf den anderen weggebrochen sind.

Sie sind nicht nur Politiker, sondern auch Philosoph. Wie verändern das Coronavirus und der Umgang damit unsere Gesellschaft? Auf lange Sicht kann man das noch nicht sagen. Im Augenblick hab ich den Eindruck, es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Wir unterstützen uns gegenseitig. Aber ich fürchte, dass auch Kummer, Einsamkeit, Stress zunehmen werden, je länger der Shutdown geht. Aus China, aus Frankreich weiß man, dass es deutlich mehr Fälle von häuslicher Gewalt gibt. Auch bei uns berichten zum Beispiel Gewaltschutzambulanzen davon. Das macht mir Sorgen.

Haben Sie Angst, dass wichtige Fragen wie der Klimaschutz gerade im Zuge der Corona-Krise untergehen? Angst ist das falsche Wort, weil ich das völlig verstehe. Im Moment ist nicht die größte Sorge, ob man mit dem Auto oder mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, sondern ob man morgen überhaupt noch eine Arbeit hat. Zu Recht ist akut alle Kraft darauf gerichtet, die Corona-Krise und Wirtschaftskrise einzudämmen. Aber natürlich sind die anderen Herausforderungen nach wie vor da. Der Krieg in Syrien. Auf den griechischen Inseln leben tausende Flüchtlinge unter hygienisch miserablen Umständen in völlig überfüllten Lagern. Die Klimakrise schreitet weiter voran, wir haben nach wie vor Rechtsextremismus. Diesen Problemen müssen wir weiterhin begegnen.

Wie schwierig ist es, während der aktuellen Krise in der Opposition Politik zu machen? Wir sind Teil der gesamtstaatlichen Verantwortung und agieren so. Wir regieren in den allermeisten Bundesländern mit. Unsere Gesundheitsministerinnen, Wirtschaftsminister, Finanzministerinnen, Winfried Kretschmann als Ministerpräsident treffen jeden Tag Entscheidungen. Im Bundestag sind wir in der Opposition, ja. Aber Opposition heißt nicht, dass wir immer nur an allem rummäkeln und rumnörgeln. Das war schon vor Corona nicht unser Selbstverständnis und ist es auch jetzt nicht.

Über sein Verständnis von Oppositionspolitik:

Auch im Moment oder erst dann, wenn es vorbei ist? Selbstverständlich auch jetzt. Es gibt keinen Kadavergehorsam in der Krise. Wir treiben da voran, wo es nötig ist. Zum Beispiel setzen wir uns für die freiwillige App ein, um Bewegungsdaten zur Bekämpfung der Corona-Krise zu nutzen. Den pauschalen Zugriff auf Telefondaten, den Jens Spahn angestoßen hatte, haben wir aber kritisiert. Am Ende ist von Jens Spahns Vorschlag wenig übriggeblieben. Kritik also, da wo sie sachlich sinnvoll ist, aber nicht, um mal wieder in der "Tagesschau" aufzutauchen.

Wie bewerten Sie konkret die Arbeit von Jens Spahn und Angela Merkel? Die Bundesregierung hat in der Krise eine Reihe von guten Entscheidungen getroffen, in Beratung mit der Opposition und den Ländern.

Zumindest für die Grünen könnte es nach der Corona-Lage nicht mehr ganz so rosig aussehen. Ihre Partei verliert aktuell in allen Umfragen Prozentpunkte. War es das jetzt mit einer rot-rot-grünen Regierung? Wissen Sie, in der aktuellen Lage interessieren mich ganz andere Zahlen. Flacht die Infektionskurve ab? Wie hoch wird die Arbeitslosigkeit? Wie viele Unternehmen müssen Konkurs anmelden? Steigen Gewalt und Depressionen? In Zeiten, in denen jeder Tag neu zählt, beschäftige ich mich nicht mit irgendwelchen Regierungsbildungen im Herbst 2021.

Wird es einen Punkt geben, an dem wir zwischen Menschenleben und wirtschaftlichen Interessen abwägen müssen? Die Wirklichkeit ist noch viel komplizierter, und das macht es ja so schwer. Der Shutdown und eine Rezession können selbst gesundheitliche Konsequenzen haben. Sozialmediziner weisen darauf hin, dass bei Arbeitslosigkeit und Armut das Risiko, krank zu werden, groß ist. Lange Isolation macht einsam und unglücklich. Gleichzeitig ist der Wirtschaft nicht geholfen, wenn wir die Maßnahmen zu früh lockern und dann in den nächsten Shutdown stolpern. Die strikten Einschränkungen jetzt bestehen zu Recht, aber sie müssen immer befristet sein und immer neu auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden.

Über Eurobonds:

Um noch mehr Schaden nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene abzuwenden, sprechen Sie sich für Eurobonds oder sogenannte Coronabonds aus. Wie sollte das konkret funktionieren? Corona-Bonds sind das Gebot der Stunde, ja. Wenn die italienische Wirtschaft den Bach runter geht, dann hängen wir als größtes Exportland mit dran. Italien ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Dass die Bundesregierung sich hier sperrt, ist fahrlässig, schon aus deutschem Interesse heraus, von europäischer Solidarität ganz zu schweigen. Ich verstehe da Olaf Scholz und die SPD nicht. Es wäre ja machbar: Die Staaten hinterlegen die europäische Währung mit einem gemeinsamen Sicherheitsversprechen. Aktuell kann die EU sich nicht selbst verschulden und die Staaten müssen ihre Schulden national aufnehmen. Wenn die wirtschaftlich starken Länder wie Deutschland bei den Corona-Bonds mitmachen, ermöglichen sie den weniger starken, günstigere Kredite aufzunehmen, weil sie gemeinsam haften. Und sie schaffen eine liquide und sichere Anlageform in Euro. Dass wir die nicht haben, ist ein Grund dafür, dass der Euro global immer noch nicht annährend so wichtig ist wie der Dollar.

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