1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Rekord-Baseballer Scherzer: Der große Wurf - SPIEGEL ONLINE

Baseball ist mehr als jeder andere US-Sport ein Spiel der Statistiken. Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag zu den geläufigsten Statistiken ist länger als der deutsche Eintrag zu Mario Götze. Dessen Leben und Karriere sind eben schneller erklärt als etwa die Formel für "Gross Production Average". Diese wurde eingeführt, um zu messen, wie stark ein Baseballspieler im Angriff ist, basierend darauf, wie oft er vom Schlagmal auf eine Base kommt und mit welcher Häufigkeit er den Ball trifft.

Es gibt aber auch Statistiken, die jeder verstehen kann - wenn auch vielleicht nicht nachvollziehen. Zum Beispiel diese: Der 30 Jahre alte Pitcher (Werfer) Max Scherzer aus Chesterfield, Missouri, einem Vorort von St. Louis, wird für seinen neuen Sieben-Jahres-Vertrag bei den Washington Nationals 210 Millionen Dollar bekommen. Das sind rund 173 Millionen Euro.

Natürlich gibt es auch zu diesem Rekord noch eine statistische Fußnote: Scherzer ist nun der bestbezahlte Rechtshänder in der Geschichte der Major League (der Linkshänder Clayton Kershaw bekam mal 215 Millionen Dollar für sieben Jahre).

Mit 19 Jahren wurde er gedraftet - an Position 1291

Es wirkt wie Ironie, dass ausgerechnet Scherzer nun in dieser Königsdisziplin der Statistiken vorne liegt, findet man ihn doch sonst fast nirgends an der Spitze. Viele Baseball-Fans erinnern sich an ihn vor allem wegen seiner verschiedenfarbigen Augen, links braun, rechts blau, aufgrund einer Iris-Heterochromie.

An der Highschool war Scherzer zwar der Star, doch danach ging er in der Masse der Talente unter. Bei seiner ersten Draft 2003 wurde Scherzer, damals 19 Jahre jung, von den St. Louis Cardinals erst in der 43. Runde an 1291. Stelle ausgewählt. Scherzer verzichtete und ging lieber erst mal zur Universität und studierte neben seiner College-Baseballkarriere Finanzwesen. Im April 2008 debütierte er dann in der Major League.

Noch heute lässt Scherzer mehr Läufe der gegnerischen Schlagmänner zu als 25 andere Pitcher in der Liga, bei den Wins, Strikeouts oder Saves gibt es ebenfalls Bessere. Auch Geschwindigkeitsrekorde bricht Scherzer nicht.

Und doch könnte Scherzer das viele Geld wert sein. Er kann den Ball mit viel Effet werfen, ihn mitten im Flug nach links oder rechts ausbrechen, aufsteigen oder wie einen abgeschossenen Vogel am Ende des Wurfs abstürzen lassen.

Und Max Scherzer zeigt seine besten Leistungen, wenn es darauf ankommt. Immer wieder legt er Serien hin, in denen er 20 und mehr gegnerische Schlagmänner verzweifeln und sie ohne Treffer abtreten lässt. Gerne hebt er sich seine schnellsten Würfe von knapp 160 Stundenkilometern bis ganz zum Schluss auf.

"Würfe entscheiden das Spiel, nicht Zahlen"

Alles eine Frage des Selbstvertrauens, sagt Scherzer selbst. Diese Gewissheit in seine Fähigkeiten verdankt er zu einem großen Teil seinem jüngeren Bruder Alex. Er habe früher immer gedacht, "Würfe entscheiden das Spiel, nicht Zahlen", sagte Max Scherzer einmal. Alex sah das immer anders.

Der drei Jahre Jüngere studierte parallel zu Max' Profikarriere Wirtschaftswissenschaften, verbrachte aber mehr Zeit über den Statistiken seines Bruders. Die, so war Alex schon Jahre vor dem Rekordvertrag von Max überzeugt, wirkten auf den ersten Blick eher durchschnittlich, zeigten bei genauer Analyse aber das Potenzial eines kommenden Superstars.

Alex war bei vielen Spielen des Bruders dabei, und wenn nicht, schickte er anschließend eine SMS an Max, rief ihn an, lag ihm in den Ohren. Für jede Entscheidung, die Max auf dem Spielfeld getroffen hatte, wollte Alex eine Erklärung. Er bestärkte ihn darin, seinem Spiel treu zu bleiben.

"Vom Werferhügel hat man seine eigene Sicht der Dinge, ich dachte lange, es wäre die einzig richtige", sagte Scherzer. Aber er vertraute auch seinem Bruder. Von klein auf waren sie unzertrennlich, spielten Baseball auf der Wiese, Basketball in der Auffahrt zum Haus der Eltern oder Tischtennis im Keller. "Sie waren typische All-American-Jungs", sagte Vater Brad Scherzer einmal "ESPN".

Je älter sie wurden, desto mehr wurden die Brüder auch zu Partnern, um Max' Profikarriere voranzubringen. Immer wieder gab es Rückschläge, sowohl bei den Arizona Diamondbacks, wo er von 2008 bis 2009 spielte, als auch bei den Detroit Tigers (2010 bis 2014) fand sich Max nach schwachen Leistungen auf der Bank wieder.

Dann war es Alex, der ihn aufmunterte, indem er eine SMS wie diese schrieb, die Max nach einem schwachen Spiel bekam und die "ESPN" zitierte: "Wenn ich dir eine Sache beigebracht habe, dann #1 shit happens, #2 die nichtwissenschaftliche Erklärung für heute Abend ist, dass du dein Pech für die Playoffs hiermit aufgebraucht hast."

Vor zweieinhalb Jahren zerbrach die Verbindung zwischen Max und Alex. Alex litt an Depressionen, im Sommer 2012 verübte er Suizid. Max Scherzer verlor seinen Bruder, Freund, Berater, Kritiker. Aber die Jahre, die sie gemeinsam hatten, all die Diskussionen und Analysen, hat Scherzer verinnerlicht. Er werde sein Leben lang davon profitieren, sagte er nach dem Tod seines Bruders. Das Geld hat Max Scherzer damit nicht gemeint.

Aus Datenschutzgründen wird Ihre IP-Adresse nur dann gespeichert, wenn Sie angemeldeter und eingeloggter Facebook-Nutzer sind. Wenn Sie mehr zum Thema Datenschutz wissen wollen, klicken Sie auf das i.

Zum Original