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Juve-Verteidiger Lichtsteiner: Der Reus-Stopper - SPIEGEL ONLINE

Zwischen dem Dietschiberg und dem Dottenberg, unweit des Vierwaldstättersees und 15 Autominuten entfernt von der Schweizer Kantonsstadt Luzern liegt Adligenswil. Ein Ort, der in Europa ungefähr so unbekannt ist wie der Mann, der dort aufwuchs und den inzwischen Stürmer in ganz Europa fürchten; der bei Juventus Turin wie Andrea Pirlo oder Gianluigi Buffon eine Stammplatzgarantie hat. Und den Sport1-Experte Olaf Thon aus Unkenntnis unlängst zum Österreicher machte: Stephan Lichtsteiner.

31 Jahre alt ist der 1,80 Meter große Rechtsverteidiger inzwischen, seit Sommer 2011 spielt er für Juve. Wobei "spielen" eigentlich das falsche Wort ist für das, was Lichtsteiner tut. Er schuftet, leidet und kämpft auf seiner rechten Seite. Unermüdlich. Manchmal quält er auch seine Gegner.

Wenn Dortmund am Abend das 1:2 aus dem Hinspiel in Turin aufholen und den Einzug ins Viertelfinale schaffen will, müssen die Borussen an der "Schweizer Garde" vorbei, wie die Juve-Fans Lichtsteiner nennen. Der BVB kann sich auf einen ähnlich intensiven Abend wie im Hinspiel einstellen.

Manchmal scheint Lichtsteiner sich etwas zu sehr in seine Duelle zu verbeißen, schon oft hat ihm das Kritik eingebracht. In einem Interview sagte Lichtsteiner dazu: "Wenn ich ruhig bin, heißt es: Er übernimmt keine Verantwortung. Wenn ich laut bin, heißt es: Er ist zu emotional."

Und es ist natürlich eine Frage der Perspektive. Für die gegnerischen Fans sind solche Spieler perfekte Projektionsflächen für ihre Ablehnung. Die eigenen Anhänger aber lieben bedingungslose Kämpfer. Ein Beispiel von Anfang März: Nach einem hitzigen Zweikampf wollte Lichtsteiner gegen den AS Rom selbst am Boden liegend seinen Gegenspieler Seydou Keita nicht aus dem Ringergriff entlassen.

Lichtsteiner lieferte schöne Anregungen für Tim Wiese

Und sollte Tim Wiese für seine Wrestlingkarriere noch Anregungen brauchen, muss er sich nur die Achtelfinalspiele von vor zwei Jahren gegen Celtic Glasgow anschauen, als Lichtsteiner mit Gary Hooper und Kelvin Wilson bei jedem Eckball in den Clinch geriet und BBC-Experte Gary Lineker twitterte: "Lichtsteiner ist ein unglaublich lästiges menschliches Wesen."

Was der ehemalige englische Nationalspieler "lästig" nennt, nennt Ottmar Hitzfeld "emotional". Da ist sie wieder, die Frage nach der Perspektive. Hitzfeld bewundert Lichtsteiner und weiß nur Gutes von ihm zu erzählen. Unter dem Trainer wurde der Spieler in der Schweizer Nationalmannschaft eine feste Größe, "ein echter Leader", wie der 66 Jahre alte Hitzfeld sagt.

Ein italienischer TV-Kommentator bedachte Lichtsteiner mal mit dem Spitznamen "Forrest Gump", weil er läuft und läuft und läuft wie die gleichnamige Romanfigur, der gar nicht mehr aufhören kann zu rennen. Das muss er auch, in der Turiner Abwehr ist der Rechtsverteidiger auch offensiv bei vielen Angriffen gefordert, mitunter muss er bis an die gegnerische Grundlinie vorstoßen - und anschließend im Sprint wieder zurück. Lichtsteiner verrichtet diese Aufgabe unermüdlich. Er kenne kaum einen Spieler der "physisch so stark ist", sagt Hitzfeld.

Lichtsteiner sei schon immer "unglaublich ehrgeizig" gewesen. Vom FC Adligenswil, den sein Vater Reto Lichtsteiner gründete und der noch immer als Seniorenobmann im Vorstand sitzt, wechselte der Sohn erst zum FC Luzern und 2005 dann zum großen Grasshopper Club nach Zürich. Es folgten Stationen beim OSC Lille und Lazio Rom, ehe Lichtsteiner für zehn Millionen Euro nach Turin wechselte.

"Es sieht nicht alles spielerisch aus"

Vater Lichtsteiner sagte 2012 über seinen Sohn: "Was ihn heute auszeichnet, seine Konstanz, die Schnelligkeit, der Teamgeist - das hat sich schon in den Juniorentagen abgezeichnet." Auf der Strecke blieb dabei zunächst die technische Ausbildung, das sagt auch Hitzfeld. Deshalb habe der Spieler nach jedem Training Sonderschichten eingelegt: Eckbälle, Kopfbälle, Torschüsse. "Es sieht nicht alles spielerisch bei ihm aus", sagt Hitzfeld. Doch weil Lichtsteiner seine Schwächen zu Stärken machen konnte, zählt ihn der ehemalige Bayern- und Dortmund-Coach zu den "besten Außenverteidigern der Welt".

Dem Duell des Turiners mit Marco Reus, der meist über Lichtsteiners Seite kommt, könnte am Abend eine Schlüsselrolle zukommen. Wer Reus stoppt, stoppt (oft) auch den BVB. Und wer Lichtsteiner überwinden kann, kann Turin gefährlich werden.

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Physis und Wille, selbst in einem Maße wie bei Lichtsteiner vorhanden, reichen aber nicht aus, um in einem Verein wie Juventus Turin zum Stammspieler zu werden. Es kommt darauf an, in den entscheidenden Momenten seine besten Leistungen zu bringen, so wie jetzt in der K.o.-Phase der Champions League.

Und bei Lichtsteiner hat man das Gefühl, je besser sein Gegenspieler ist, desto gewissenhafter geht der Schweizer zu Werk. Bei YouTube kann man bewundern, wie der Verteidiger zu seiner Zeit bei Lazio Rom einst Milans Ronaldinho Zweikampf für Zweikampf verzweifeln ließ - und zwar mit fairen Mitteln.

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