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Zusammenarbeit mit umstrittenen Milizen: EU stoppt Migrationspakt mit Sudan - SPIEGEL ONLINE - Politik

46 Millionen Euro hat sich die Europäische Union seit 2015 den Versuch kosten lassen, weniger Migranten aus dem Sudan nach Europa gelangen zu lassen. Dazu wurden unter Leitung der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unter anderem Sicherheitskräfte im Sudan ausgebildet und Ausrüstung für den Grenzschutz bereitgestellt. Das Geld kommt aus einem 4,5-Milliarden-Euro-Fonds zur Migrationskontrolle und Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika, in den Deutschland über 160 Millionen Euro eingezahlt hat.

Nun, im Zuge des seit Monaten schwelenden Konflikts zwischen Militär und Opposition im Sudan, hat die EU das Projekt vorübergehend ausgesetzt. Schon seit März werden keine Ausbildungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte mehr durchgeführt, sagte ein Sprecher der Europäischen Kommission dem SPIEGEL. Ein Zentrum für Datenaustausch über Menschenhandel und Menschenschmuggel in Khartum wurde ebenfalls bis auf Weiteres geschlossen.

Wissenschaftler und Menschenrechtsorganisationen sahen die Kooperation zwischen Brüssel und Khartum seit jeher kritisch. Denn mit ihrer Migrationspolitik soll die EU indirekt die Rapid Support Forces (RSF) unterstützt haben - jene Miliz, deren Kämpfer für die Massaker in Darfur verantwortlich gemacht werden.

Ihr Anführer, Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, sitzt als Vizechef im Militärrat, der seit dem Sturz von Langzeitdiktator Omar al-Baschir im April die Macht in dem ostafrikanischen Staat übernahm. "Vieles deutet darauf hin, dass die RSF von den EU-Projekten profitiert hat", sagt der Sudan-Experte Magdi El Gizouli, ein sudanesischer Wissenschaftler und Mitarbeiter am Rift Valley Institute, das sich mit aktuellen Entwicklungen in Ostafrika befasst.

Die RSF-Miliz als Grenzwächter

Um auf Druck der EU möglichst viele Flüchtlinge im Land zu halten, setzte die sudanesische Regierung seit 2015 ausrechnet die RSF als Grenzschützer ein. Die Miliz besteht größtenteils aus jenen Dschandschawid-Kämpfern, die in Darfur ganze Dörfer niederbrannten, Männer ermordeten und Frauen vergewaltigten. Vor allem an der Grenze zu Libyen sollte die RSF Migranten aufhalten und festnehmen. Hemedti rühmte sich in der Vergangenheit persönlich damit, im Auftrag Europas zu handeln. "Die EU verliert im Kampf gegen Migration Millionen, deshalb muss sie uns unterstützen", sagte er etwa dem Fernsehsender Al Jazeera.

Auch wenn am Samstag der Militärrat offiziell abdankte und nun eine Übergangsregierung in Khartum eingesetzt wird: Viele sehen Hemedti nach dem Sturz von Machthaber Baschir als neuen starken Mann im Sudan - auch weil seine Kämpfer die Grenzen kontrollieren. Die RSF ist zwar offiziell der Armee unterstellt, agiert aber de facto autonom und geht immer wieder gewaltsam gegen Demonstranten im Land vor. Unter anderem wird ihr vorgeworfen, für die brutale Niederschlagung eines Protestcamps am 3. Juni verantwortlich zu sein, bei der mindestens 128 Demonstranten getötet wurden. Seit das Militär Baschir nach den Massenprotesten zu Beginn des Jahres entmachtet und anschließend selbst die Herrschaft übernommen hat, fordern die Menschen im Sudan die Bildung einer zivilen Übergangsregierung. Zwar haben Militär und Opposition sich mittlerweile auf eine Machtteilung geeinigt und unlängst auch das Verfassungsdokument unterzeichnet. Viele befürchten aber, dass der Militärrat unter Hemedti die Macht nicht abgeben will.

EU: Milizen "in keiner Weise unterstützt"

Brüssel weist die Vorwürfe zurück, Hemedtis Miliz indirekt gestärkt zu haben. "Die EU hat in keiner Weise die RSF oder andere Milizen unterstützt", sagte ein Sprecher der Europäischen Kommission dem SPIEGEL. Alle Projekte im Sudan würden von den Entwicklungsorganisationen der EU-Mitgliedstaaten durchgeführt, darunter auch die GIZ. Die Aktivitäten seien nur temporär eingestellt worden, bis die Sicherheitslage im Land geklärt sei. Maßnahmen zum Schutz von Migranten unter dem Schirm des BMM-Projekts ("Better Migration Management") fänden jedoch weiterhin statt.

Doch so eindeutig ist die Lage laut El Gizouli nicht. Es sei intransparent, wohin die Gelder für die EU-Migrationsprojekte fließen: "Es ist nicht ersichtlich, wie viel Geld für was ausgegeben wird und wer es am Ende bekommt."

Tatsächlich benennt die EU in einem offiziellen BMM-Dokument selbst das Risiko, mit der Ausbildung und Ausrüstung von Grenzsoldaten möglicherweise auch repressive Kräfte zu stärken. Bereits 2018 mahnte Amnesty International die wahrscheinliche Beteiligung der RSF-Miliz an, denn sie ist dem sudanesischen Geheimdienst NISS unterstellt. Die Zusammenarbeit mit NISS bestätigte das für die GIZ-Aktivitäten zuständige Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) schon damals: Der Geheimdienst sei "als staatliche Behörde in den Bereich Migration eingebunden, insoweit seine gesetzlichen Funktionen betroffen sind".

Den Rahmen für die EU-Projekte in Afrika bietet der sogenannte Khartum-Prozess, eine Initiative, mit der die EU seit 2014 versucht, die Migration am Horn von Afrika einzudämmen. Dazu unterstützt sie den Ausbau des Grenzschutzes in Ländern wie Sudan oder Eritrea - autoritäre Regime, vor denen die dort lebenden Menschen zum Teil auf der Flucht sind.

El Gizouli glaubt nicht, dass die vorübergehende Aussetzung der Projekte im Sudan einen Richtungswechsel dieser Politik bedeutet: "Vielleicht reagiert die EU damit kurzzeitig auf Kritik. Aber die Erfahrung zeigt, dass sie kein Problem damit hat, mit Autokraten zusammenzuarbeiten, solange das die Migration in Richtung Europa zurückhält."

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