Die Londonerin Little Simz ist die wichtigste Rapperin der Gegenwart aus Großbritannien. Und auch das Berliner Publikum steht auf ihren hochenergetischen Flow.
Berliner Zeitung/Markus Wächter
Auf einmal steht sie auf der dunklen Bühne, tänzelt zum 70er-Soul-Hit von Smokey Robinson mit. Dann gehen die Lichter des Tempodroms an. „Was geht ab, Berlin?", schreit Simbi Ajikawo alias Little Simz akzentfrei wie energetisch ins Mikrofon. „The Agony and the Ecstasy" von Robinson fadet als Sample nahtlos in ihren eigenen Song „Two Worlds Apart" über. „Drama, drama, drama, drama, drama, drama, drama / Please don't tell my mama I've been smokin' marijuana", rappt Little Simz in rasendem Tempo über die soulige Melodie. Die Menge schreit ihr das „Marihuana" frenetisch entgegen, dazu werden einige Joints angezündet.
Der Song stammt von dem vierten Album der Londonerin, „Sometimes I Might Be Introvert", das sie 2021 auf den Rap-Thron Großbritanniens gehievt hat. In gut neunzig Minuten beweist Little Simz auch am Samstagabend im restlos ausverkauften Tempodrom, warum. Dabei verzichtet die 28-jährige Londonerin auf eine extravagante Show und auch auf eine Bandbesetzung: Die Bühne ist lediglich mit Lichtpfeilern ausgestattet, die in einem runden Kreis angeordnet sind. Das Outfit der Künstlerin ist ähnlich dezent wie das Bühnenbild: Sie ist im roten Trainingsanzug mit schwarzer Sonnenbrille und Cap eingekleidet.
Das ergibt Sinn, immerhin steht die Tour ganz im Zeichen des „Introvert"-Narrativs. Der Titel des Albums steht auch auf dem schwarzen Mischpult, hinter dem der DJ und Support-Act ODC die Beats abfeuert. Während der Pandemie veröffentlicht, wurde es zum breiten Durchbruch für Little Simz. Zuletzt gewann sie den angesehenen Mercury Prize, mit dem alljährlich das beste britische Album des Jahres auszeichnet wird. Simz setzte sich dabei gegen Künstler wie Harry Styles durch. Aber auch hierzulande fand das Album mehr Aufmerksamkeit als ihre früheren Werke. Ihr erstes Mixtape veröffentlichte sie 2010; seitdem erschienen vier Alben, weitere Mixtapes, zahlreiche EPs und Feature-Auftritte. Ihre beiden letzten Alben wurden von Inflo produziert, seines Zeichens nicht nur Produzent von Adele und Michael Kiwanuka, sondern auch der Kopf der vielbeachteten Jazz-R&B-Kombo namens SAULT.
Die Sitzplätze werden zu Stehplätzen umfunktioniertErstmals präsentiert Litte Simz das 2021 erschienene Erfolgsalbum nun also live in Berlin, nachdem ihre Fans nach einer Absage im Januar gut eineinhalb Jahre auf das Konzert warten mussten. Der Vorfreude hat das keinen Abbruch getan. Schon beim ersten Song wird leidenschaftlich gebounct und auf Anweisung von Simz heftigst mit den Armen geschwenkt. Spätestens beim zweiten Track „I Love You, I Hate You" werden die letzten Rang-Sitzplätze zu Stehplätzen umfunktioniert. Die Menge ist überaus textsicher, was durch die knalligen Beats vom Band leider etwas untergeht.
In ihren Lyrics vermischt Simz gekonnt das Private mit dem Politischen, verpackt in oftmals poetischen Lyrics. Die handeln vom Aufwachsen als Tochter nigerianischer Eltern in London, ihrem Sprung aus den Plattensiedlungen Islingtons hin auf die großen Bühnen der Welt. In ihren Texten verarbeitet Little Simz aber auch transgenerationale Traumata, der Beziehung zu ihrem Vater, die Gewalt in London und ihrer Rolle als Schwarze Frau in der britischen Gesellschaft.
Diese Themen machen Little Simz zu einem wichtigen Sprachrohr ihrer Generation, wenngleich sie trotz ihrer politischen Texte weder als feministische Rapperin noch als Stimme der Anti-Brexit-Generation verstanden werden will. Ihre Musik zieht ein durchmischtes Publikum an. Im Tempdrom sind jüngere wie ältere Zuschauer, Vertreter der Gen Z und TikTok-Millennials, aber augenscheinlich auch Besucher, die von Little Simz klassisch im Feuilleton gelesen haben könnten.
Derweil füllt Simz die anfangs leer wirkende Bühne aus. Sie ergänzt ihre Songs mit intuitiv anmutenden Dancemoves. Ganz schön viel Energie für eine selbsterklärte Teilzeit-Introvertierte! Aber Simz tänzelt nicht nur auf der Bühne, sondern auch zwischen verschiedenen „Energies", wie sie es nennt, umher: Mal ist sie aufbrausend, mal melancholisch, mal poetisch. Die Beats ihres DJs vermischen Grime, Blues, Jazz, R&B, Rock und Reggae-Einflüsse. Simz selbst spielt am Synthesizer, dazu tanzt weißes Strobolicht. Die Scheinwerfer tunken die Künstlerin wie das Publikum in bunten Nebel.
Ein Meer aus Smartphone-TaschenlampenKurz verschwindet sie von der Bühne, zieht sich die Sportjacke wie die Sonnenbrille aus, was sie deutlich nahbarer erscheinen lässt. Ohnehin spielt Simz mit dem Gegensatz aus Nahbarkeit und Unnahbarkeit, mit der Rolle der Rap-Queen und des Normalo-Mädchens aus Nordlondon. „I got a special place in my heart for Berlin", verkündet sie in einer Songpause und lädt das Publikum zum Grime-lastigen „101FM" auf eine imaginäre Reise ein. „You wanna come to North London?" Simz läuft quer durch die Stehfläche des Tempodrom, bis sie zurück zur Bühne findet. Sie genießt den Kontakt zu Fans, nimmt manche in den Arm. „Berlin", ruft sie abermals, „are you still there?" Die Menge tost, schreit und trampelt für knapp eine Minute, bis fast die Wände des Tempodroms beben. Simz erzählt nicht nur in ihren Lyrics, sondern auch in ihrer Bühnenansagen von ihrem atemberaubenden Aufstieg. Man merkt, dass sie für den Ruhm ihres letzten Albums dankbar ist, für die Möglichkeit, in noch größeren Hallen zu spielen.
Schließlich kündigt sie an, ihren persönlichsten Song spielen zu wollen. „How did you get there?" heißt es im gleichnamigen Track des 2021 erschienenen Albums. Auf Anforderung Simz wird die Halle in ein Meer aus Smartphone-Taschenlampen verwandelt, die zur sanften, vom Soul beeinflussten Nummer geschwenkt werden. „Nothing in life comes easy and you work twice as hard 'cause you Black", rappt sie im Track. Es sind Zeilen wie diese, die die Londonerin zu so einer unverzichtbaren Stimme der Rapszene machen. Auch zu diesem Song gibt es eines ihrer zahlreichen Intermezzos. „Wenn ich es schaffen kann, kann es jeder schaffen", verkündet Simz und richtet sich an das Publikum. Was auf den ersten Blick aus dem Mund eines erfolgreichen Rapstars nach einer Plattitüde klingen mag, ist ein wichtiges Statement. Ihre Ansage ist in erster Linie schließlich als Empowerment für die Schwarze Community gemeint.
Little Simz ist nicht nur hochenergetisch, sondern auch hochproduktiv. Am Montag veröffentlicht sie ihr neues Album, das sie erst vor wenigen Tage angekündigt hat. „No Thank You" wird es heißen. Neue Songs aus dem Album spielt Simz an diesem Abend nicht, teasert jedoch eine neue Tour an. Einen anderen neuen Song spielt sie dennoch: ein bislang unveröffentlichtes Feature mit der gehypten amerikanischen Rapperin 070 Shake.
Nach knapp 80 Minuten entsteht der erste Moshpit des Abends. Simz leitet diesen wieder mit energetischen Zwischenrufen an. Der neue Song ist trappiger und aggressiver als die Tracks auf „Sometimes I Might Be Introvert". Nachdem die „Energy" des Publikums zwischenzeitlich etwas verhalten gewirkt hat, multipliziert sie sich für die letzten beiden Tracks. Abschließend spielt Simz „Venom", ihren wohl größten Hit. Die Stehfläche des Tempodroms verwandelt sich in einen einzigen Moshpit, bis sich Simz in grün-rosa Rauch auflöst. Selten hat die Show einer Introvertierten so viel Spaß gemacht wie an diesem Abend.