Durch Lücken im Impfschutz brechen Masern immer wieder aus. Zuletzt traf es ein Land mitten in Europa. Ein weltweiter Überblick über die gefährliche Infektionskrankheit, die eigentlich gut bekämpft werden könnte.
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Rote Hautflecken, Husten und Fieber: Masern sind eine hochansteckende Infektionskrankheit, die vor allem Kinder unter fünf Jahren, aber auch ungeimpfte Erwachsene betrifft - und zum Tod führen kann.
Weltweit lag die Zahl der Erkrankten im Jahr 2017 nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei 6,7 Millionen. Rund 110.000 Menschen - die meisten von ihnen Kinder unter fünf Jahren - kamen demnach sogar ums Leben. Mit Impfungen wäre die Krankheit leicht einzudämmen. Doch durch Kriege, Armut und eine zunehmende Impfskepsis kommt es mancherorts immer wieder zu Ausbrüchen.
Die WHO-Zahlen basieren auf einer Modellrechnung: Nur ein Bruchteil der Masernfälle wird auch offiziell gemeldet, daher rechnet die Organisation die Zahlen hoch. Aber auch in den Ausgangsdaten zeigt sich: Trotz aller Bemühungen tritt die Infektionskrankheit seit zwei Jahren wieder häufiger auf. Wurden 2016 laut WHO noch gut 130.000 Fälle gemeldet, waren es 2017 schon mehr als 170.000. Für 2018 registrierte die Organisation bis Anfang April 326.045 bestätigte Fälle, wobei die Zählung noch nicht ganz vollständig ist - einige Länder haben noch keine Zahlen gemeldet.
Masernfälle haben sich in Europa verdreifachtDamit soll sich die Zahl der Masernfälle nach vorläufigen Erkenntnissen 2018 noch einmal fast verdoppelt, in Europa sogar verdreifacht haben. Auch im New Yorker Stadtteil Brooklyn wurde ein Masern-Notstand ausgerufen. Dabei hatte sich die WHO ursprünglich das Ziel gesetzt, die Masern bis 2020 auszurotten. Doch die zunehmenden Ausbrüche bringen die Fortschritte der vorherigen Jahre in Gefahr. Wie konnte es dazu kommen?
Starker Anstieg in der UkraineHinter dem starken Anstieg in Europa steckt der Masernausbruch in der Ukraine. Seit zehn Jahren bekommen viel zu wenige Kinder im Land die gängigen Routineimpfungen. Das hat zum einen mit dem bewaffneten Konflikt im Osten des Landes zu tun.
Zum anderen muss man ins Jahr 2008 zurückblicken: Damals starb in der Ukraine ein 17-Jähriger, einen Tag nachdem er den Masernimpfstoff erhalten hatte. Obwohl die Todesursache nicht mit der Impfung in Zusammenhang stand, führte der Fall zu einem deutlichen Einbruch der Impfquote, wie das Fachblatt "Science" berichtete. Die Impfquote verbesserte sich demnach zwischenzeitlich langsam, brach aber 2016 aufgrund von zu wenig bestellten Impfdosen wieder deutlich ein.
Die WHO arbeitet mit der Faustregel: Sind 95 Prozent der Kinder geimpft, können sich Infektionskrankheiten nicht ausbreiten. In der Ukraine liegt die Impfquote seit Jahren deutlich darunter. 2010 haben nur 41 Prozent der Sechsjährigen die empfohlene zweite Masernimpfung (MCV2) erhalten. 2016 waren es nur noch 31 Prozent - einer der niedrigsten Werte weltweit.
2018 kam es in der Ukraine zu einer regelrechten Explosion der Masernfälle. Laut WHO waren es mehr als 53.000 Fälle, nach Angaben der Regierung verliefen 16 tödlich. Setzt man die Zahlen ins Verhältnis zur Einwohnerzahl, war die Ukraine im vergangenen Jahr das Land mit den meisten Masernfällen weltweit, gefolgt von Serbien, Albanien und Georgien. Außerhalb von Europa war die Masernrate etwa in Madagaskar, dem Jemen und Liberia besonders hoch.
Oft führen Kriege und extreme Armut zu einer niedrigen Impfquote. In anderen Fällen ist eine zunehmende Impfskepsis die Ursache. Impfgegner fürchten Nebenwirkungen wie etwa eine Hirnhautentzündung. Dabei sind schwerwiegende Nebenwirkungen nach der Impfung Untersuchungen zufolge extrem selten. Zudem lassen sie sich nicht eindeutig als Folge der Impfung zuordnen. Auch einen angeblichen Zusammenhang mit Autismus konnten Studien widerlegen.
Mangelnde Impfbereitschaft als größtes GesundheitsrisikoDie WHO bezeichnet die mangelnde Impfbereitschaft gegenwärtig als eines der größten Gesundheitsrisiken der Welt. Impfungen würden jährlich zwei bis drei Millionen Todesfälle verhindern.
So sind auf den Philippinen Anfang des Jahres innerhalb von sieben Wochen mehr als 130 Menschen an Masern gestorben. Etwa 40 Prozent der Betroffenen waren nach Angaben des Gesundheitsministeriums Kinder zwischen ein und vier Jahren. Laut Ministerium hat ein Skandal um den Impfstoff das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert: Ein Mittel gegen Dengue-Fieber war zwischen 2016 und 2017 falsch verwendet und mit drei Todesfällen in Verbindung gebracht worden. Daraufhin ließen viele Eltern ihre Kinder generell nicht mehr impfen, heißt es. Vor dem Skandal hatten immerhin noch 80 Prozent der Sechsjährigen die MCV2-Dosis bekommen.
Weltweit lag die Impfquote für die erste Masernimpfung (MCV1) 2017 bei 85 Prozent. Für die zweite Impfung waren es nur noch 67 Prozent. Der Impfstoff wird in einigen Regionen der Welt meist als MMR-Kombipräparat verabreicht, der auch gegen Mumps und Röteln immunisiert. Die WHO hatte sich schon für 2015 das Ziel gesetzt, Masern und Röteln zu eliminieren. Zumindest bei Röteln sind die Zahlen rückläufig.
Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt, die erste MMR-Impfung im Alter von 11 bis 14 Monaten und die zweite Impfung im Alter von 15 bis 23 Monaten durchführen zu lassen. Laut RKI reduziert die zweite Impfung entscheidend den Anteil der Kinder, die nach der ersten Impfung empfänglich für Masern geblieben sind - das betrifft etwa zehn Prozent aller einmalig Geimpften.
In Deutschland haben offiziellen Angaben zufolge etwa 97 Prozent der fünf- bis sechsjährigen Kinder die erste MMR-Impfung erhalten, die nach Auffassung des RKI nötige zweite Impfung immerhin noch 93 Prozent. Aber: Die Daten stammen vor allem aus den Schuleingangsuntersuchungen der Gesundheitsämter. Die zweite Impfung haben also genau genommen nur 93 Prozent jener Kinder erhalten, die überhaupt einen Impfpass vorlegen konnten.
Daher liegt der tatsächliche Anteil bei der zweiten Impfung wahrscheinlich deutlich darunter - bei schätzungsweise bis zu 86 Prozent. Auch hierzulande kommt es immer wieder zu Ausbrüchen. Die Zahl der Fälle ist zuletzt aber wieder gesunken. Wurden 2017 noch rund 900 Masernfälle bestätigt, waren es 2018 nur noch rund 500.
Starker Masernrückgang in AfrikaObwohl es seit 40 Jahren einen wirksamen Impfstoff gibt, verbreiten sich die Masern noch immer auf der ganzen Welt. Besonders stark betroffen sind die Bewohner von Entwicklungsländern: Dort zählen die Masern zu den zehn häufigsten Infektionskrankheiten, in manchen Regionen stirbt jeder zehnte Betroffene an den Folgen der Erkrankung.
Bei dem jüngsten Masernausbruch auf Madagaskar haben zwischen September und Anfang März mehr als 1100 Menschen ihr Leben verloren, rund 87.000 Menschen sind erkrankt. Die meisten Toten waren laut WHO Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren.
Dennoch konnten bei der Bekämpfung von Masern in den vergangenen Jahrzehnten auch große Erfolge verzeichnet werden. Insbesondere in Afrika, wo die Masern in den Achtzigerjahren noch mit Abstand am stärksten wüteten, ist die Zahl der Erkrankungen deutlich zurückgegangen.
Während manche Eltern in reichen Industriestaaten ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, weil sie sich von Falschinformationen verunsichern lassen, würden viele Eltern in Entwicklungsländern ihre Kinder gern impfen lassen. Doch oft können sie sich den lebensrettenden Impfstoff nicht leisten oder es gibt nicht genug davon.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft