Lisa J. Adams

Art Historian, Journalist, Freiburg

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Artikel

Passagen durch Räume und Alpträume - Bruce Nauman im Hamburger Bahnhof

In der Haupthalle des Hamburger Bahnhofs, sowie den angrenzenden Rieckhallen, entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler begehbare „Erfahrungsarchitektur", die der Besucher, ganz nach dem Titel der Ausstellung „Dream Passage", wie in einem Traum durchwandert und dabei immer wieder auf verstörende Elemente trifft: „Gewalt", „Islolation" , „Folter" und „Krieg" sind häufig Titel und Thema der Arbeiten.

Anlass für die umfangreiche Retrospektive, schon ein Jahr vor dem 70. Geburtstag des Künstlers, ist die Erweiterung der Bestände der Nationalgalerie durch die Schenkung der Flick Collection, deren Schätze man nun auch zeigen wolle, so der Direktor der Nationalgalerie, Udo Kittelmann.

Bereits 2008 überliess Friedrich Christian Flick der Sammlung bedeutende Arbeiten, insgesamt 166 Werke von 44 Künstlern der Moderne, darunter der Werkblock Bruce Naumans.

„Room that does not care, room with my soul left out"

Ausgangspunkt für das Ausstellungskonzept war laut den Kuratoren Eugen Blume und Gabriele Knappstein der begehbare Korridor „Room that does not care, room with my soul left out" von 1984, den der Besucher erst ganz zuletzt erreicht, nachdem er Haupthalle und die anliegenden Rieckhallen durchwandert hat und der permanent begehbar bleiben wird. Besonders stolz sei man deshalb, als weltweit erstes und einziges Museum eine raumgreifende Installation als Dauerausstellung zu präsentieren.

Der Eröffnungsraum des Hamburger Bahnhofs mit dem Titel „Dream Passage" ist als Gesamtwerk zu verstehen. Hier verbindet sich die Architektur des historischen Hallen mit Naumans historisch bedeutsamen Kunstwerken wie dem „Nick Wilder Corridor" von 1970, den Kittelmann die „Urzelle aller Erfahrungsarchitektur" nennt. In dieser Installation begibt sich der Betrachter in schmale Gänge aus geweißten Holzwänden, an deren Ende er sich selbst auf einem Monitor begegnet.

In mehreren Räumen, die sich in der Haupthalle verdichten, erlebt der Besucher diese Verengung, Zuspitzung und die Begegnung mit sich selbst: äußerst schmale Passagen, verstörend grelles Licht, Isolation und das Gefühl der Entrückung, wenn man die Zwischenräume wieder verlässt. Zum „Kassel Corridor" hat immer nur eine Person Zutritt, der Schlüssel ist beim Aufsichtspersonal für maximal eine Stunde auszuleihen. Es handelt sich um eine Leihgabe des Guggenheim New York, die auch auf der Documenta 5 zu begehen war. Keiner der Besucher habe sich allerdings mehr als einige Minuten in den schmalen Gang gewagt, zu groß seien die Irritation und das Gefühl der Isolation. Die empfohlenen 60 Minuten des Eingesperrtseins nennt Eugen Blume ein „Extremkonzept", dass man vielleicht gar nicht durchexerzieren muss, um die Versuchsanordnung Naumans und deren Wirkung zu verstehen. Nauman, der Mathematik, Physik und Kunst studierte, versteht sich darauf, wahrnehmungspsychologische Effekte spielerisch einzusetzen.

Wenn der Ausstellungsbesuch zur Tortour wird

Auch die Videoarbeit „Clown Torture" vom Art Institute of Chicago hat zunächst etwas Komisches, verweilt man aber länger, so wirken die Schreie des kostümierten Nauman beängstigend und verstörend. Eigentlich ist es der Zuschauer, der hier der Folter ausgesetzt wird.

Denn auch wenn begehbare Kunst ein Erlebnis ist und besonders auf die jüngeren Besucher des Museums große Anziehung ausübt, wäre vermutlich kaum jemand gerne freiwillig eine Stunde lang mit verzerrtem Geschrei konfrontiert oder in einem schmalen, sich verengenden Zwischenraum sich selbst überlassen.

Immer wieder trifft man bei den Werken Naumans auf eine Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, seien es die Installationen und Skulpturen, die ihn zum Objekt machen, oder die begehbaren Räume, die den Körper in Bezug setzen. Während er in seinen Videoarbeiten der 60er Jahre noch viel mit dem eigenen Körper experimentiert, einfache gestische Performances durcherxerziert und durch seinen Körper den ihn umgebenden Raum vermisst, verschwindet der Künstler in seinen Großrauminstallationen der 70er Jahre aus dem Werk und überlässt die Erfahrung einer neuen Wahrnehmung dem Betrachter. Da manche Arbeiten nur mit Besuchern funktionieren - wie der Nick Wilder Korridor, in dem man auf einem der Monitore stets die Person im Nebenraum erblickt, ist für Kurator Eugen Blume die „Nauman-Stadt" der Haupthalle eigentlich als temporäres Theaterstück zu verstehen.

Arbeiten ganz unterschiedlicher Künstler im Dialog

Ganz neu bestückt präsentieren sich im Museum der Gegenwart die mit der Haupthalle verbundenen 250 Meter langen Rieckhallen, die inzwischen auch behindertengerecht ausgestattet worden sind. Hier treten die Arbeiten ganz unterschiedlicher Künstler in einen Dialog, der die Entwicklung von Naumans Schaffen seit den 60er Jahren in Zusammenhang stellt. Namhafte Zeitgenossen wie Joseph Beuys, Dan Flavin, Donald Judd, Robert Morris, Richard Serra oder Andy Warhol sind mit einzelnen Ausstellungsstücken vertreten. Raumfüllende Installationen wie Dieter Roths beeindruckende „Gartenskulptur" aber auch weitere Videoarbeiten ergänzen die Werkauswahl Naumans. So dringen wie in der „Dream Passage" auch aus dem Keller der Rieckhallen Schreie durch die dicken Betonwände: es ist die Videoarbeit „Bruits" des israelischen Künstlers Absalon von 1993, der im selben Jahr jung verstarb und dem die Halle U2 gewidmet ist.

Auch Absalon experimentierte mit engem, nahezu lebensfeindlichem Raum in „Cellule No 2 - Prototype" von 1992. Ein minimal bemessener, enger Container, ganz in weiß, der einem schlanken Menschen gerade so erlaubt, die Innenausstattung zu nutzen: Auf engstem Raum ist es hier möglich, einen Schreibtisch mit Stuhl, Küchenzeile, Liegepritsche und sogar eine Art WC/Dusche unterzubringen. Es bleibt der Erfahrung des Besuchers überlassen, sich diesen Prototyp als preisgünstige Wohnalternative oder kostensparende Internierungsmöglichkeit zu denken.

An den vielfältigen Arbeiten der Zeitgenossen Naumans und einem mit Katalogen und Gedenkschriften bestückten Leseraum vorbei wird der Besucher in die letzte Halle zu Naumans Werk „Room that does not care, room with my soul left out" von 1984 geführt. Es sind drei große finstere Schächte, die sich überschneiden und so einen dunklen Kreuzgang aus metallenen und backsteinernen Mauern bilden, in dessen Mitte ein vergitterter Schacht ins scheinbar bodenlose Dunkel führt. So ensteht ein Raum ohne Wände, Decke oder Boden, eigentlich ein Nicht-Raum ohne Seele, mit spärlichen Glühlampen ausgeleuchtet. Nach seiner erstmaligen Realisierung in der Galerie Leo Castelli in New York galt das Werk als zerstört, es ist in Berlin, wieder in seiner ursprünglichen Form, nun dauerhaft zu begehen. Begleitend zur Ausstellung haben die Kuratoren keinen Bilderkatalog zusammengestellt, sondern eine Materialsammlung. Auszüge aus Texten, die Nauman als Quelle dienten, sollen einige sein Werk bestimmende Begriffe zugänglich machen.

„Bruce Nauman. Ein Lesebuch", DuMont Verlag, 29,95 Euro

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