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Teure Farben im Müll: Tätowierer in Hamm sehen schwarz

Nach dem von der EU verfügten Verbot vieler Farben herrscht auch bei Tätowierern in Hamm Fruststimmung. Wir haben in zwei Hammer Studios nachgefragt.

Hamm - Wilm Möller sitzt in seinem Tattoostudio Feel Good Tattoo & Piercing an der Oststraße den ganzen Tag am Hörer statt an der Tätowiermaschine. Er ruft Bekannte an, in der Hoffnung, jemand könne ihm etwas Tattoofarbe leihen. Eigentlich hätte er am Morgen selbst eine Ladung schwarzer Farbe erhalten sollen, doch wegen Lieferschwierigkeiten wurde diese kurzfristig storniert. „Die Farben sind überall ausverkauft. Ich hoffe, ich werde in den nächsten Tagen ein paar Fläschchen ergattern können", sagt der Tätowierer. In diesen Fläschchen sind neu entwickelte Farben, sie sind REACH-konform.

REACH, das ist die Chemikalienverordnung der Europäischen Union. Seit Anfang dieser Woche verbietet sie sämtliche Binde- und Konservierungsmittel gängiger Tattoofarben. Das EU-weite Verbot wurde 2020 beschlossen. Ab 2023 werden dann auch bestimmte Blau- und Grünpigmente verboten sein. Die Übergangsphase dieser Farben helfe jedoch nicht viel, sagt Möller. „Für unsere Tattoos benötigen wir viele verschiedene Abstufungen. Einzelne Pigmente nützen da nicht viel."

Tattoofarben können gefährliche Stoffe enthalten, die Hautallergien und andere schwerwiegendere Auswirkungen auf die Gesundheit wie Krebs verursachen.

Auszug aus der Begründung für das Verbot der Europäischen Chemikalienagentur Fast keine Farbe am Markt ist noch erlaubt

Einer Stellungnahme des Bundesverbandes Tattoo sei so gut wie keine derzeit am Markt befindliche Farbe mit den Anforderungen kompatibel. Neu entwickelte, REACH-konforme Farben gibt es bisher nur in schwarz, weiß und grau. „Aktuell können wir deshalb nur schwarze Tattoos stechen. Für bunte Farben gibt es noch keinen Ersatz auf dem deutschen Markt", sagt der Tätowierer Hüseyin Swelibas vom Ink Department an der Marinestraße in Bockum-Hövel.

Der Grund für das Verbot: „Tattoofarben können gefährliche Stoffe enthalten, die Hautallergien und andere schwerwiegendere Auswirkungen auf die Gesundheit wie Krebs verursachen", schreibt die Europäische Chemikalienagentur (ECHA). Es besteht die Gefahr, dass sie in Organe wie die Leber oder die Lymphknoten gelangen. Ob und wie schädlich die Farben sein können, ist nicht bekannt - dazu sind viele der Stoffe zu wenig erforscht. Das Ziel der ECHA ist nach eigenen Angaben nicht, Tätowierungen zu verbieten. Vielmehr wolle man erreichen, dass durch den Beschluss sicherere Farben entwickelt werden.

Unverständnis in Hammer Tattoostudios

Die Tätowierer sind frustriert. Wenn man sich in einigen Hammer Tattoostudios umhört, so trifft man auf Unverständnis für die neue Verordnung. Nachdem Tätowierer ihren Beruf aufgrund der Covid-19-Pandemie monatelang nicht ausüben konnten, stehen sie jetzt vor der nächsten Herausforderung. Sie enttäuscht vor allem, dass die EU keine umfassende Studie durchführte, bevor sie das Verbot beschloss. „Es ist nicht bewiesen, dass Tattoofarben schädlich sind. Es besteht nur ein Verdacht, jegliche Studien fehlen", sagt etwa Tätowierer Swelibas. Er habe nie erlebt, dass der Körper schlecht auf die Farbstoffe reagiere. Diesen Eindruck teilen andere Tätowierer.

Nach ihrer Erfahrung entzünden sich Tattoos, wenn der Kunde es nicht ausreichend gepflegt hat. Auch Wilm Möller ist unerklärlich, weshalb er sämtliche Farben, mit denen er jahrelang gearbeitet hat, wegwerfen musste. „Ich habe einen Wert von rund 1000 Euro in den Mülleimer geschmissen" sagt er.

Natürlich sei es ihm wichtig, dass seine Arbeit und die Farben sicher seien, meint Möller. Er nutzte ausschließlich zertifizierte Farben nach der Tattoowiermittelverordnung. „Das brachte dem Kunden Vertrauen. Jetzt kann ich solche Zertifikate nicht mehr in meinem Studio aufhängen" sagt Möller. Es fehlen Langzeitdaten über die neuen Farben. „Wir haben noch keine Erfahrungen damit. Wer weiß, ob sie nach Jahren verblassen?"

Kunden-Ansturm bis es nicht mehr ging

Trotz der Lieferengpässe konnte Hüseyin Swelibas schwarze Farbe ergattern. Damit ist sein Hauptgeschäft gesichert. „Wir stechen überwiegend schwarze Tattoos. Trotzdem haben wir viele Kunden, die bunte Tattoos anfragen. Denen müssen wir vorerst absagen", sagt der Tätowierer. Ende letzten Jahres habe er noch einen Ansturm erlebt von Kunden, die sich ein buntes Tattoo stechen lassen wollten, bevor es nicht mehr ging. Dabei gibt es aber ein Problem: Einige Tattoos müssen nachgestochen werden, wenn die Farbe an einigen Stellen nicht auf Anhieb hält. „Auch dafür dürfen wir die bunten Farben nicht mehr benutzen", erklärt Möller.

Wilm Möller ist spezialisiert auf Tätowierungen im Aquarell-Stil. Er schätzt, dass bunte Tattoos knapp 40 Prozent seines Umsatzes ausmachen. Wie es für ihn weitergeht, weiß er nicht. „Ich hoffe, dass in zwei bis drei Monaten auch bunte Farbe erhältlich sein wird", sagt Möller. In anderen Ländern gebe es bereits REACH-konforme Alternativen. Trotzdem befürchten Möller und Swelibas, dass viele Tätowierer gerade bunte Tattoos immer mehr unter der Hand stechen werden. „Es fühlt sich nicht schön an, wenn der eigene Beruf plötzlich so nah an der Illegalität steht", sagt Möller. Es besteht aber Hoffnung, dass Tätowierer bald wieder regulär und in allen Farben arbeiten können.

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