18. Mai 2016
Vorsichtig die Scheibe aus dem Cover nehmen, dann das Knistern, wenn sich die Nadel gesenkt hat, der volle Klang: Für Vinyl-Fans geht nichts über die Schallplatte. Ihr Erfinder kam aus Hannover.Das geschah allerdings nicht in Hannover, sondern in den USA. Als 18-Jähriger wandert Emil, viertes von elf Kindern einer jüdischen Familie, nach Washington aus. Dort entdeckt er seine Leidenschaft für Erfindungen. Die erste ist ein Mixgetränk aus Kaffee, Schokolade und Sirup. Im Selbststudium eignet sich Berliner physikalisches und technisches Wissen an. Dazu gehören auch Experimente zur Tonübertragung mit Hilfe von Seifenkisten und Drähten.
Beliebig viele ReproduktionenMit einem Fernsprech-Mikrofon gelingt Berliner 1877 der Durchbruch. "Er verkauft das Patent für 50.000 Dollar an die Telefon-Gesellschaft Bell und nutzt das Geld für die Erfindung der Platte", erzählt der Historiker Tim Müller. Er ist Leiter des Museums für Energiegeschichte(n) in Hannover, das zurzeit die Geschichte der Schallplatte ausstellt.
Zwar stellt Glühbirnen-Erfinder Thomas Edison bereits 1877 ein Gerät zur Tonaufzeichnung vor. Doch die Vervielfältigung seiner Tonträger ist äußerst mühsam. Anders Berliners Schallplatte, für die der Wahl-Amerikaner 1887 das Patent anmeldet: Eine Nadel schreibt die Schallwellen in eine Wachsplatte, von der ein Negativ aus Kupfer angefertigt wird. Mit dieser Vorlage lassen sich beliebig viele Reproduktionen aus Schellack pressen.
"Anfangs war es schwierig, Interessenten zu finden", sagt Müller. Einige Künstler, die zur Aufnahme in den großen Schalltrichter hinein singen mussten, hatten Angst, dass ihre Stimme nicht mehr herauskomme. Außerdem kostete die Platte um die Jahrhundertwende in Deutschland etwa 21 Mark und war damit ein teures Gut. Doch schon bald erfreute sich die schwarze Scheibe enormer Beliebtheit, die erst mit Herstellung der CD ab 1982 ein vorläufiges Ende fand.
Thorsten Watermann erinnert sich noch genau an die Zeit: "In den 90er Jahren musste man sich entscheiden, ob man auf CD umstellt oder nicht." Der Rock-Fan stellte nie um, kaufte damals, "was es eben gab". Umso mehr freut sich der Besitzer von mehr als 2.000 Platten über den Vinyl-Hype, der den deutschen Platten-Markt vor etwa acht Jahren erfasst hat. "Ich fühle mich bestätigt durch den Boom."
Boom reißt nicht abDieses Phänomen beobachtet auch der 41-jährige Einkäufer des Plattenladens "25 Music" in Hannover, den alle nur Lewi nennen. Die meisten Käufer sind in seinem Alter und männlich, erzählt er. "Die kennen Platten noch von früher und haben genug Geld." Zu Nostalgie und Luxus komme der Wunsch nach einer entschleunigten Welt, vermutet Lewi. "Eigentlich es ja unbequem, man muss aufstehen und die Platte umdrehen."
Im vergangenen Jahr ist der Vinyl-Verkauf laut Bundesverband Phono um 30 Prozent gestiegen. "Aber es ist ein ganz kleines Segment", relativiert Lewi. 2,1 Millionen verkaufte Platten im Jahr stehen 90 Millionen CDs gegenüber.
Schallplatten-Erfinder Emil Berliner kommt 1898 noch einmal vorübergehend in seine Heimatstadt zurück. Zusammen mit seinen Brüdern Jacob und Joseph gründet er die Deutsche Grammophon GmbH in Hannover. Die Firma expandiert schnell, zweimal muss sie aus Platzmangel umziehen.
Jacob und Joseph unterstützen mit ihren Einnahmen großzügig Projekte der jüdischen Gemeinde wie den Bau eines Horts, weiß Historiker Peter Schulze. Emil wendet sich in den USA weiteren Erfindungen zu und stirbt im Alter von 78 Jahren 1929 in Washington. Spuren der Familie Berliner, die über sechs Generationen in Hannover lebte, gibt es nur noch auf dem Jüdischen Friedhof An der Strangriede. Hier sind Joseph und Jacob sowie 25 weitere Mitglieder der Familie begraben. Die Deutsche Grammophon heißt heute Universal und sitzt in Berlin.
Lewi von "25 Music" geht davon aus, dass auch der Vinyl-Boom bald seine Spitze erreicht hat. Aber immerhin: Die EDC in Langenhagen bei Hannover, ein Nachfolger der Alten Grammophon, presst seit 2015 wieder Platten.