Der bayerische Craft-Beer-Markt wächst. Tilman Ludwig gehört zu den Brauern, die mehr wollen als ein Bier, das den Massengeschmack trifft. Doch seiner Kreativität ist eine Grenze gesetzt: das Reinheitsgebot.
Als Tilman die alte Holztür öffnet, schlägt ihm eine warme Dunstwolke entgegen: kochendes Malz, gärende Hefe. Sein erster Blick gilt den Flaschen, die auf einem Fließband durch den Raum ruckeln. Sind die Etiketten richtig aufgeklebt? Sitzen die richtigen Kronkorken auf den Flaschen? „Da geht oft was schief, diese Maschinen sind die Hölle", sagt der sonst so gelassene Brauer verärgert. Schließlich geht es hier um sein Bier: „Tilmans Helles".
Tilman Ludwig - groß, rotblonder Bart, schwarze Wollmütze - würde rein optisch eher in eine hippe Hamburger Hafenkneipe passen als in die oberbayerische Traditionsbrauerei Gut Forsting. Dabei ist der 31-Jährige ein echter Münchner. Als selbstständiger Brauer gehört er zur wachsenden Craft-Beer-Szene Bayerns. Der Begriff „Craft Beer" kommt aus den USA und meint handwerklich gebrautes Bier. Laut dem Deutschen Brauer-Bund steht es „für meist hopfen- beziehungsweise malzbetonte, aromaintensive, individuelle Biere, die oft von Experimentierfreude und Regionalität geprägt sind". Wie Tilmans Bier.
Sein Helles, das gerade beklebt und verkorkt in schwarze Bierkästen wandert, ist kein gewöhnliches. „Im Studium habe ich das amerikanische Indian Pale Ale kennengelernt. Ich hab's sofort gefeiert, aber es war mir zu stark." Also kreuzte er ein IPA mit einem leichten Hellen. Auch seine anderen Biere haben einen besonderen Dreh. „Die Dunkle" ist eine Mischung aus deutschem Dunklem und englischem Stout - und das Brown Ale eine Kategorie für sich: „Wer es kennt, mag es nicht und wer es nicht kennt, probiert es erst gar nicht." Tilman braut es trotzdem. Er ist aus Prinzip anders.
Im alten Gewölbe der Brauerei sind Gär-, Lager- und Filterkeller durch schmale Gänge miteinander verbunden. In einem weiteren Raum lagern Säcke voll Malz. Tilman öffnet zwei davon und lässt die Getreidekörner durch seine Finger rieseln. Im einen Sack sind sie fast schwarz, im anderen golden. „Der Röstgrad beeinflusst das Bier stark", erklärt Tilman.
Bei seinen Kreationen verwendet Tilman die vier durch das deutsche Reinheitsgebot zugelassenen Zutaten: Wasser, Hopfen, Malz und Hefe. „Auch in den festen Fesseln des Reinheitsgebots kannst du krass viel machen", sagt er. Zum Beispiel mit Aromahopfensorten, die auch Tilman einsetzt. Leiden kann er das bald 500 Jahre alte, ursprünglich bayerische Gebot trotzdem nicht.
In Italien hat Tilman mal ein Bier mit Basilikum getrunken, „das war der Wahnsinn". Solche natürlichen Aromen verbietet das Reinheitsgebot. In anderen Bundesländern könnte er dafür ein „besonderes Bier" beantragen - in Bayern müsste er es schlicht wegkippen. Würde Tilman sein Basilikum-Bier aber im Ausland brauen und reimportieren, dürfte er es in ganz Deutschland als Bier verkaufen. Dann müsste er sich nur an die EU-Richtlinien halten, die auch künstliche Aromen, Zuckerzusätze und Farbstoffe erlauben.
Alle drei Wochen braut Tilman im modernen, verglasten Sudhaus der Brauerei. In den drei großen, silbernen Kesseln kocht dann sein flüssiges Gold - ganz ohne Hilfsmittel, wie sie viele Großbrauereien einsetzen. PVPP zum Beispiel ist ein Reinheitsgebots-konformer künstlicher Filterstoff, der Eiweiß bindet und das Bier dadurch haltbarer macht. Er verstehe nicht, warum man Bier mit Plastikpulver filtern aber nicht mit Kiefernnadeln aromatisieren dürfe, sagt Tilman. „Es wird immer das Gebot betont, dabei sollte es um die Reinheit gehen."
Walter König vom Bayerischen Brauerbund sieht das anders: „Wenn Craft-Brauer diese Praxis verteufeln, betreiben sie Gehirnwäsche des Verbrauchers." PVPP sei ein technischer Wirkstoff und hinterlasse keine Rückstände. Auch sonst sei das Reinheitsgebot, das heute eigentlich „Vorläufiges Biergesetz" heißt, aber im Grundsatz mit dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516 übereinstimmt, immer noch wertvoll. Schließlich schütze es den Verbraucher und die deutsche Bierkultur.
„Das ist ein reines Marketingwerkzeug", sagt Tilman. Aber nicht für ihn. Er schreibt sich das Reinheitsgebot nicht einmal auf sein Etikett, solange sich nichts daran ändert: „Das ist mein stiller Protest." Mit der profitorientierten Denkweise der Großbrauereien kann er nichts anfangen. Er bleibt lieber Gastbrauer in der kleinen Privatbrauerei, denn „hier ist das Bier nicht egal". Und hier traut man sich, mehr zu brauen als das bayerische Mainstream-Bier.
Auch Walter König ist Neuem gegenüber aufgeschlossen - und hat eine Lösung: Eine dritte Kategorie neben dem Reinheitsgebot, die natürliche Aromen zulässt, in der EU-Verordnung erlaubte weitere Zusätze aber ausschließt. Das wäre ganz nach Tilmans Geschmack. So könnte der Brauerbund weiterhin das Reinheitsgebot hochhalten und Tilman im Gut Forsting sein Basilikum-Bier herstellen. Wenn er bis dahin nicht sowieso schon im Ausland braut.