Eines dieser Häuser in Berlin-Mitte: Eine Handvoll Logos und Namen wie "newthinking communications" schildern sich vor dem Eingang und an den Briefkasten aus. Firmennamen, von denen der normale Passant noch nie etwas gehört hat. Er ahnt höchstens, dass die Firmen etwas Kreatives machen, etwas mit dem Internet vielleicht. In so einem Haus sitzt auch die Redaktion des Blogs netzpolitik.org, eine der bedeutendsten Informationsportale für digitale Themen wie Datenschutz und Urheberrechte.
"Manche können gar nichts außer Facebook"Der Gründer des Blogs - und übrigens auch von "newthinking communications" - ist der Netzaktivist Markus Beckedahl, der auch mit den Teilnehmern des Jugendmedienworkshops des Bundestages ins Gespräch kommen wird. Als Digital Native würde sich Beckedahl selbst nicht bezeichnen. "Ich bin 1976 geboren und nicht 1980, also gehöre ich per Definition nicht mehr dazu", erklärt Beckedahl. "Andererseits unterrichte ich manchmal Studierende und denke oft: Die können gar nichts außer Facebook." Mit Computern groß geworden ist Beckedahl trotzdem, versorgt mit den alten PC s seines Vaters. Mit Politik kam Beckedahl ebenfalls in seiner Jugend in Berührung, er wuchs nahe der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn auf. "Nach der Schule habe ich dann beide Interessen verbunden", erklärt er seinen Werdegang.
Vom Blogger zum ManagerDer junge Markus engagierte sich bald im Bundesvorstand der Grünen Jugend und baute die Grüne Jugend in Nordrhein-Westfalen mit auf. Als 1998 die ersten politischen Debatten über Online-Überwachungsgesetze in Fahrt kamen, wollte sich der damals 22-Jährige einmischen. "Medien zu machen, hat mich schon immer fasziniert", erzählt Beckedahl, "aber leider hatte ich keinen eigenen Fernsehsender, Radiostation oder Druckerpresse." Also machte sich der junge Netzpolitiker mit einem Content Management System für Blogs vertraut und startete 2002 netzpolitik.org.
Täglich Twitter, Facebook, Google und Co.Genau wie heute stellte er die interessantesten Blog-Einträge über Internet-Themen zusammen und steuerte selbst Artikel bei. Dabei musste er sich über die Jahre immer stärker Management-Aufgaben widmen. Mittlerweile beantwortet er die Hälfte des Tages E-Mail-Anfragen von Personen aus der Szene und wertet die endlosen Nachrichtenströme aus, die täglich von Twitter, Facebook, Google+ und Co. auf ihn zufließen. Netzpolitik.org finanziere sich größtenteils über Spenden und ausgewählte Werbe-Anzeigen. So stehe der fünfköpfigen Redaktion etwa ein Budget von 250.000 Euro jährlich zur Verfügung.
"Wir liefen zuerst unterm Radar"Als der junge Blogger anfing, aus dem Bundestag über Netz-Themen zu berichten, hätten das zunächst nicht viele Abgeordnete und Journalisten mitbekommen. So konnte sich Beckedahl in den ersten Jahren noch mit einem Laptop auf die Besuchertribüne eines Ausschusses setzen - auch ohne Presseakkreditierung. "Das wurde mir dann verboten", erzählt Beckedahl und ergänzt: "Die ersten Jahre bewegten wir uns unter dem Radar, aber spätestens ab 2009 betrachteten uns plötzlich alle als Journalisten." Grund dafür seien vor allem die Regierungsdokumente über die Verwendung von Vorratsdaten gewesen, die netzpolitik.org von Informanten zugespielt worden seien und die Beckedahl veröffentlichte. "Da fragten sich schon einige Hauptstadtkorrespondenten: ‚Warum bekommen die sowas und wir nicht?'", grinst Beckedahl - immer noch leicht triumphierend.
Entscheidungen in Brüssel, nicht in BerlinAuch über den aktuellen Skandal um den Bundesnachrichtendienst ( BND) berichte netzpolitik.org intensiv. Beckedahl kritisiert, dass sich die Medien bei dieser Debatte nur auf den Bundestag konzentrieren würden. "Alle unsere Netz-Themen werden auf EU-Ebene entschieden. Der Bundestag kann da wenig machen", sagt er und nimmt einen Schluck aus seiner Flasche Mate - einer klassischen "-Brause".
Auf der re:publica sind sie alleNicht nur an seiner Getränke-Wahl merkt man, dass Beckedahl - wie er selbst sagt - aus der "-Kultur" kommt. Umso bemerkenswerter ist es, was ihm als Mitbegründer der re:publica-Konferenz gelang. Vor der re:publica hatten , Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter nur unter sich über den digitalen Wandel diskutiert. "Die re:publica bringt alle diese verschiedenen Leute zusammen", erklärt Beckedahl. Was 2007 als kleines Forum mit etwa 700 Experten begann, zog dieses Jahr schon 7.000 Besucher an. Die Entwicklung seines Babys findet Beckedahl auf der einen Seite super: "Auf der anderen Seite ist nun die spielerische Leichtigkeit etwas verloren gegangen", erzählt er.
An die Natives: Mitmischen und mitgestalten!Von den Digital Natives - beziehungsweise den jüngeren Generationen - wünscht sich Beckedahl, dass sie sich einmischen: "Jetzt werden die rechtlichen Rahmenbedingungen des Internets für die nächsten 20 Jahre geschaffen. Entweder man überlässt das den Industrie-Interessen und Politikern, die zu wenig Ahnung haben, oder man mischt mit", sagt Beckedahl mit entschlossenem Blick. Dafür sollten die Natives auch neue Formen von öffentlicher Kommunikation nutzen, um auf die Politik einzuwirken: "Die Bewegungen der 68er-Generation hatten nur ihre Druckerpressen, ich habe mit Mailing-Listen angefangen und jetzt reicht ein Tweet aus, um eine riesige Debatte auszulösen." Auf die Frage, was er in den sitzungsfreien Wochen im Sommer geplant habe, lächelt der Netzpolitiker nur verschmitzt: "Keine Ahnung. Vor zwei Jahren wollten wir unsere Seite erneuern, dann platzten Edward Snowdens Enthüllungen über den amerikanischen Geheimdienst NSA mitten in die Sommerpause."
Dass ihm Web-Themen und deren gesellschaftliche Folgen am Herzen liegen, merkt man Beckedahl bei jedem Wort an. Beim Verlassen der lockeren Bürogemeinschaft wird eines ganz klar: Beckedahl und seine Mitstreiter vereint die Freude an der Digitalisierung und damit die Freude am Herumspielen - ob Digital Native oder nicht.