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„Wir haben von unten nach oben umverteilt"

Foto: Landtag Brandenburg


Nachhaltigkeitsforscherin Martina Schäfer über Landwirtschaft und Ernährung - Teil 3: 

Interview

choices: Frau Schäfer, welche Relevanz hat die Landwirtschaft für den Klimaschutz?

Martina Schäfer: Landwirtschaft hat einen substanziellen Anteil an der Erzeugung von klimarelevanten Gasen - ca. 14 Prozent. Das hängt größtenteils mit der hohen Produktion tierischer Produkte zusammen. Aber auch damit, dass weiterhin zu viel gedüngt wird - und das ist dann gleichzeitig der Grund für den eklatanten Rückgang an Biodiversität. Alle verfügbaren Indikatoren zur Biodiversität in der Agrarlandschaft zeigen heute einen statistisch signifikanten Rückgang und deutlich abnehmende Trends.

Zur Person Martina Schäfer ist seit 2010 Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Zentrum Technik und Gesellschaft an der TU Berlin. Sie forscht zu nachhaltiger Regionalentwicklung, nachhaltigem Konsum, nachhaltiger Landnutzung sowie Methoden inter- und transdisziplinärer Forschung. Als Mitglied des Expertengremiums Zukunftskreis berät sie das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Welche Wege müssen für eine nachhaltige Landwirtschaft eingeschlagen werden?

Das ist der konsequente Umbau der Landwirtschaft, allen voran die Reduktion von Massentierhaltung und von diesem starken Schwerpunkt auf tierische Produkten. Da bedarf es sowohl gesetzlicher Regelungen und Fördermaßnahmen als auch Anreize. Plus die stärkere Regulation der Düngung und des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Das sind die zwei Hauptstränge, die aber sehr viel nach sich ziehen, wenn man die Landwirte mit dieser Herausforderung nicht alleine lassen will. Wir sind an einem Punkt, an dem Aldi ein Kennzeichnungssystem für tierwohlgerecht produziertes Fleisch einführen möchte. Der Handel, und zwar ein Discounter, geht also voran, da die Politik trotz unzähliger Skandale in den letzten Jahren nicht in der Lage war, zu reagieren.

Wie stehen die Aussichten auf entsprechende politische Maßnahmen?

Nehmen wir den Ökolandbau: Die Ziele sind gesetzt, dass wir 30 Prozent erreichen wollen - und zwar bis 2030. Aber das muss viel konsequenter verfolgt werden, wenn man dieses Ziel wirklich erreichen möchte. Das heißt zum Beispiel auch, die Forschungsförderung anteilmäßig zu erhöhen. Die Förderung in diesem Bereich bewegt sich im einstelligen Prozentbereich und spiegelt dieses Ziel derzeit gar nicht wieder. Und künftig muss es darum gehen, dass die EU-Förderung nur noch an eine Landwirtschaft geht, die klimaschonend ist und Biodiversität erhält. Keine reine Flächenförderung - also keine Förderung dafür, dass man einfach produziert.

Was können Konsumenten für den Klimaschutz in der Landwirtschaft tun?

Ein hauptsächlicher Punkt ist weniger Fleisch, mehr pflanzliche Lebensmittel. Das bringt am allermeisten. Dann hilft es natürlich auch, direkt einzukaufen bei Bio-Höfen oder auf Wochenmärkten. Und man kann individuell auch sehr viel beitragen, indem man die eigene Lebensmittelverschwendung stark reduziert. Weitergehend kann man dann zum Beispiel Mitglied werden bei einem Betrieb solidarischer Landwirtschaft. Man kann sich Bürger-Aktien kaufen bei der Regionalwert AG, die dann den Ökolandbau finanziell unterstützt. Aber persönlich geht es eben wirklich darum: Weniger Fleisch, mehr Bio, mehr regional.

Wie sollte der zukünftige Lebensmittelmarkt aussehen?

Man kann nicht von allen Leuten erwarten, dass sie sich dieses Wissen immerzu aneignen. Bei den tausenden von Produkten, die wir im Regal stehen haben. Deshalb gibt es eine ganz starke Verantwortung der Politik, den Rahmen so zu setzen, dass ich eigentlich erwarten kann: Überall, sei es im Discounter oder in der Kantine, bekomme ich umweltgerechte Lebensmittel. Wichtig dabei ist auch zu sagen, dass es einen Ausgleich für sozialschwache Gruppen geben muss. Kein Tankrabatt, das hat absolut keine Lenkungsfunktion. Hartz IV und Sozialhilfe müssen erhöht werden, damit sich jede und jeder Lebensmittel von guter Qualität leisten kann.

Wie steht es um Nachhaltigkeit in Deutschland in den nächsten Jahren?

Es ist die Landwirtschaft, die Mobilitätswende, die Energiewende, aber auch ein nachhaltiges Bauen und Wohnen - also ein ganz großerBereich, der sehr viele Ressourcen schluckt. Und diese Parallele, das ist die wirkliche Herausforderung: Es wird nur gelingen, wenn der soziale Ausgleich gewährleistet ist. Wir haben jahrzehntelang von unten nach oben umverteilt und das muss gestoppt werden, beziehungsweise: es muss umgekehrt werden. Und dasind natürlich sehr mächtige Interessen dagegen: Agrarlobby, Immobilienbranche, Automobilindustrie, Energiekonzerne; das merken wir bei jedem dieser Schritte, die gegangen werden sollen. Ich wage keine Prognose - das ist jetzt einfach ein ganz entscheidender Punkt, wo man sehen muss, ob die gesellschaftlichen Kräfte stark genug sind und die Politik mutig ist: In welche Richtung geht es und wer setzt sich durch?

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