Friseure verdienen Trinkgeld. Aber warum eigentlich? Und wie viel ist angemessen? Wir lassen uns von zwei Friseuren den Kopf waschen.
Dieser Artikel ist am 27. Mai 2019 bei Orange - dem jungen Portal des Handelsblatts - erschienen.Neulich bei meiner Friseurin: Mit geschnitten und geglätteten Haaren verlasse ich glücklich den Salon. Am Ausgang schmeiße ich wie selbstverständlich noch zwei Euro in das kleine, bunte Sparschwein.
Friseur-Preise: Frauen zahlen im Schnitt 53 Euro, Männer 21 EuroWarum ist das für mich eigentlich selbstverständlich? Wenn ich im Kleidungsladen beraten werde, um eine neue Jacke zu kaufen, gebe ich am Ende auch kein Trinkgeld. Und an der Kasse im Supermarkt habe ich das auch noch nie gemacht. Warum also beim Friseur?
Nicht nur Taxifahrer und Kellner, auch Friseurinnen und Friseure verdienen selten mehr als den Mindestlohn in Höhe von 9,19 Euro. Besonders niedrig ist der Lohn in der dreijährigen Friseur-Ausbildung. In Ostdeutschland verdienen angehende Friseure im ersten Lehrjahr gerade einmal 269 Euro (Stand: 2017).
Die Folge: Immer weniger junge Menschen wollen Friseur werden.
2018 sank die Zahl der Auszubildenden um fast fünf Prozent auf unter 21.000. Vor zehn Jahren waren es bundesweit mehr als 80.000„Die Nachfrage nach dem Berufsbild sinkt deutlich", sagt Ute Kittel von der Gewerkschaft Verdi. „Eine relativ niedrige Bezahlung bei körperlicher Arbeit löst bei jungen Leuten keine Begeisterung aus."
Friseure in Deutschland: 2,4 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2017Das sieht auch Harald Esser, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, der die Interessen der Friseurbetriebe vertritt. Er sagt aber auch, dass es viele Betriebe schwer hätten:
„Ein Friseur kann mit einem Jahresgehalt von 18.000 Euro brutto kurz nach der Lehre nicht mit einem ausgebildeten Bankkaufmann mithalten."
Zudem mache die Konkurrenz der Barbershops, in denen oft keine ausgebildeten Friseure arbeiteten, den Betrieben das Leben schwer.
Dabei profitiert die Branche bundesweit davon, dass viele Menschen mehr Geld beim Friseur ausgeben. 2017 waren die Preise laut einer Umfrage des Verbands bereits um 2,2 Prozent gestiegen. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.
Frauen gaben demnach im Schnitt rund 53 Euro je Besuch im Friseursalon aus. Männer investierten knapp 21 Euro - Tendenz steigend. 2017 kletterte der Umsatz der Branche insgesamt um 2,4 Prozent auf rund sieben Milliarden Euro.
Ich unterhalte mich mit Mareen und Alessio. Sie ist seit 34 Jahren Friseurin, er hatte 2016 seine Ausbildung zum Friseur begonnen.
Trinkgeld beim Friseur: Wie viel bekommen Friseure?Bei 150 Arbeitsstunden im Monat kommen Friseurinnen auf ein Nettogehalt von ungefähr 1000 Euro. „Ich bekomme pro Monat nicht viel Trinkgeld, vielleicht zwischen 100 bis 150 Euro", bedauert Mareen.
Damit beträgt das Trinkgeld ungefähr zehn bis 15 Prozent ihres Gehalts. Alessio meint: „Ich bekomme so 80 bis 100 Euro Trinkgeld im Monat, arbeite aber als Azubi auch nur dreimal die Woche." Da er als Auszubildender einen Ausbildungs- und keinen Arbeitsvertrag unterschrieben hat, gilt für ihn der Mindestlohn nicht. Netto bekommt er im Monat 380 Euro, damit macht der Trinkgeldanteil bei ihm mehr als 20 bis 25 Prozent aus.
Wie wichtig ist Trinkgeld für Friseure?„Trinkgeld ist für mich sehr wichtig", sagt Alessio bestimmt, „da ich ein so geringes Gehalt bekomme, dass es sich nur damit nicht gut leben lässt." Und auch Mareen schließt sich dem an: „Die meisten, die als angestellte Friseure arbeiten, leben auch vom Trinkgeld."
Wie teilen Friseure ihr Trinkgeld auf?Während in Mareens Friseursalon das Trinkgeld gerecht unter allen Friseurinnen und Friseuren aufgeteilt wird, hat Alessio eine eigene Spardose in der Kasse, an dem der Kunde am Ende das Trinkgeld speziell für ihn einwerfen kann.
Welche Kunden zahlen Friseuren am meisten Trinkgeld?Mareen und Alessio wissen: Auf ihre Stammkunden können sie zählen! Meist zahlen diese mehr, da sie mit dem Service rund um zufrieden sind. Am meisten Trinkgeld geben bei Mareen die 40- bis 70-jährigen Frauen, meistens zwischen zwei und drei Euro. Alessio freut sich hingegen auf spendable Familienväter und -mütter. „Meistens bringen sie auch noch ihre Kinder mit und sind dann richtig gesprächig." Die beste Zeit für Friseure ist die Weihnachtszeit. In den Monaten November und Dezember gibt's am meisten Trinkgeld für die beiden, zu Ostern habe er von ein paar Stammkunden auch mal eine zusätzliche Kleinigkeit geschenkt bekommen, merkt Alessio an. Weniger geben bei Mareen dafür jüngere Menschen zwischen 17 und 18 Jahren.
Trinkgeld beim Friseur: Wie viel ist angemessen?„Fair sind zehn bis 15 Prozent des Preises", findet Alessio, „das sind dann so zwei bis drei Euro." Mareen hat dazu keine Meinung, sie sagt: „Das bleibt jedem Kunden selbst überlassen, wie viel Trinkgeld er geben möchte." „Ich habe einmal 15 Euro von einem Mann bekommen", erinnert sich Alessio. „Mein höchstes Trinkgeld waren 50 Euro, aber das ist auch schon ein paar Jahre her. Damals hatten die Leute noch mehr Geld." erzählt Mareen.
Eine Kollegin von ihr schließt sich dem Gespräch an und erzählt mir: „Seit der Euroumstellung geben die Kunden weniger Trinkgeld. Das bekommen wir deutlich zu spüren."
Welche Strategie haben Friseure, um mehr Trinkgeld zu bekommen?Um mehr Trinkgeld zu bekommen, verfolgt Alessio einen strikten Plan: „Ich versuche, den Kunden auf den Punkt genau glücklich zu machen und auf ihn einzugehen. Ich gebe ihm das Gefühl, ihn zu verwöhnen und bringe auch mal die Zeitung." Maaren meint, sie versuche nichts, um mehr Trinkgeld zu bekommen.
Sowohl bei Mareen, als auch bei Alessio merke ich: Selbstverständlich ist es für sie nicht, Trinkgeld zu bekommen. Aber wichtig auf jeden Fall! So werde ich auch bei meinem nächsten Friseurbesuch gerne wieder etwas mehr als den eigentlichen Preis zahlen.
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