Lea Hensen

Crossmedia-Journalistin, Berlin, Rom

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Rezension

170 Jahre Van Gogh: So arbeitete das Genie

Im Raum mit dem Selbstporträt, dem weltbekannten von 1887, ist der Besucher mit dem Meister der Moderne allein. Still sitzt er der Glasvitrine in Raummitte gegenüber, blickt dem Künstler geradewegs in die Augen, grünblau im Kontrast zu den orange-gelben Strichen, mit denen Gesicht und Bart gestaltet sind. Verhärmt sieht Van Gogh hier aus, gleichsam entschlossen. Sein Blick, der eines verrückten Genies?

Vincent Van Gogh ist vielen durch die Sache mit dem Ohr bekannt. Ein genialer Künstler, dessen fulminante Kreativität in Wahnsinn und Selbstverstümmelung endete. Ein Schöpfer genresprengender Werke, die seine inneren Konflikte zu spiegeln scheinen. Am heutigen Donnerstag wäre der Künstler, den Kunsthistoriker dem Post-Impressionisten zuordnen, 170 Jahre alt geworden. 1890, mit nur 37 Jahren, erschoss er sich selbst.

Wer an Van Gogh denkt, denkt an die sommergelb-leuchtende Sonnenblumen, an dichte Linien und Striche des blauen, bewegten Himmels in der „Sternennacht“. Beide Werke stammen aus seinen letzten Jahren, weniger Aufmerksamkeit erhält das frühere Werk. Die Ausstellung im Palazzo Bonaparte in Rom mit rund 50 Gemälde und Zeichnungen der Sammlung des niederländischen Otterle-Museums konzentriert sich anders als andere Kassenschlager nicht hauptsächlich auf Van Goghs intensive Farben. Die Kuratorinnen Maria Teresa Benedetti und Francesca Villanti zeigen mit präzisen, aber unbefangenem Blick, wie sich Van Goghs Bildsprache entwickelt hat. Zu jedem Werk lassen sie den Künstler in den berühmten Briefen an seinen Bruder Theo sprechen.

So wird einmal mehr deutlich: Van, war weniger ein vom Himmel gefallenes Genie, als ein ehrgeiziger Autodidakt, der nach einem intensiven Ausdruck von Echtheit suchte. Nachdem er erst 27 Jahren den Weg zur Kunst gefunden hatte, hinterließ er in nicht einmal zehn Jahren ein Werk an über 900 Gemälde und 1000 Zeichnungen. Auf der Suche nach neuen Mitteln von Form und Farbe überarbeite er seine Motive immer wieder neu. Allein von den Selbstporträts gibt es rund 40.

Die Ausstellung in Rom führt chronologisch durch seine Lebensstationen und Aufenthaltsorte.
Sie beginnt mit Van Goghs niederländischer Phase bis 1885, in Etten, Den Haag, Drenthe und Nuenen. Zu Beginn seiner mit 27 Jahren recht spät einsetzenden Schaffensphase zeichnet der Künstler Figuren in realistischem Stil: Einfache Bauern, von der harten Arbeit gezeichnet, aber vollkommen in Darstellung und Gesicht. Ihre Landarbeit erhält damit einen absoluten, religiösen Wert. Van Goghs erste Phase bewegt sich einerseits ganz in der Lebenswelt des Sohns eines protestantischen Pfarrers, der nach Abbruch seiner Ausbildung zum Kunsthändler Prediger werden will. Andererseits zeugt sie von einem unbedingten Willen nach Echtheit, wie in den Proportionsstudien aus Den Haag, wo Van Gogh immer wieder die Prostituierte „Sein“ zeichnet, den ausgezerrten Körper der einzigen Frau, mit der er in seinem Leben eine Beziehung führen wird. Die Farbpalette ist in der niederländischen Phase die der holländischen Meister: Helldunkelmalerei in Braun-, Grau- und Schwarztönen, und die Ausstellung lässt Besucher interaktiv vergleichen, wie sich seine Formsprache innerhalb weniger Monate weiterentwickelt.

Ganz anders dann Paris. Van Gogh lernt im Künstlerviertel Montmartre die Impressionisten kennen, seine Farbpalette weicht leuchtender Farbkraft. Werke wie „Wiesenecke“ (1887) am pointierten Still eines Paul Signac. Dem Studium der Komplementärfarben widmet die Ausstellung einen Fokus. 1888 zieht es Van Gogh in die Provence, wo das warme Licht des Südens seine Kunst prägt, die Formen verlieren an Konturen, werden weich, Räumlichkeit entsteht durch Farbe. Van Gogh vergleicht die Provence mit Japan. Berühmtes Werk dieser Phase ist der „Sämann“ (1888), in dem Van Gogh ein Motiv aus seiner holländischen Phase neue Farbkraft verleiht. Es ist das Bild, das Umweltaktivisten im November mit Erbsensuppe beschmierten.

Keine Frage, Van Gogh war ein tragischer Mensch. Dass sein Verhalten schon zu Jugendzeiten auffällig war, hat sein Bruder Theo in mehreren Briefen an seine Frau berichtet. 1889, nachdem er sich nach einem Streit mit Künstlerkollegen Paul Gauguin das linke Ohr abgeschnitten hatte, ließ er sich aufgrund seiner seelischen Verfassung in ein Hospital einweisen. Sein Aufenthalt dauerte rund ein Jahr. Schwere Krisen holten den Künstler ein, unter Halluzinationen soll er gelitten haben, er soll Farbe gegessen und getrunken haben. Über die Sache mit dem Ohr ist oft genug spekuliert worden, und es ist daher erfrischend, dass Benedetti und Villanti ihr in Rom recht wenig Aufmerksamkeit schenken.

Die Schau läuft seit Oktober und wurde bis zum 7. Mai verlängert. Am Ende hinterlässt das beim Besucher folgenden Eindruck: Van Gogh war nicht aufgrund, sondern trotz seiner Krankheit ein Genie. Sein zunehmend kritischer Zustand hat ihn wahrscheinlich davon abgehalten, Form und Farben weiter zu elaborieren. Zu sehen gibt es eins seiner letzten Werke, das wenige Tage vor seinem Selbstmord entstand.