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Selbst beim Tod geht's nur noch ums Geld

Der Hauptfriedhof in Bochum: Wer hier in einem Sarg die letzte Ruhe finden möchte, darf nicht aus ärmlichen Verhältnissen stammen. Mehr als 2300 Euro kostet der Platz in einer Familiengrabstelle. Soll der Verstorbene dort auch bestattet werden, fallen noch einmal rund 1400 Euro an.

Zehn Autominuten entfernt kostet das alles etwa die Hälfte - nämlich auf den kommunalen Friedhöfen der Nachbarstadt Witten. Ein Platz nach Wahl lässt sich für rund 1500 Euro sichern, die Beisetzung selbst kostet etwas mehr als 600 Euro. Das schont das Budget für Trauerfeier mit Orgelspiel und Glockenläuten, Leichenhalle und Kosten für den Bestatter - die nämlich kommen noch obendrauf.

Für immer mehr Menschen ist das Grund genug, sich nach den günstigsten Orten zum Sterben umzusehen, sagen Bestatter. Einer von ihnen ist Paul Holz, Chef des Bestattungsinstituts Lichtblick in Bochum. Sein letzter Fall: Für eine Verstorbene aus Bochum-Linden sollte ein günstiges und pflegefreies Grab her. Gemeinsam mit den Angehörigen suchte Holz in Essen, Hattingen und Witten - und nicht etwa in Bochum. „Der Friedhof in Bochum hätte das Dreifache gekostet", sagt er. Dabei liegt der Ehemann der Verstorbenen sogar in einer Bochumer Familiengruft begraben.

Gefühlt, sagt Holz, würde sich mittlerweile jeder 20. nach günstigeren Alternativen in Nachbarkommunen erkundigen. Und dieser Bestattungstourismus könnte weiter wachsen. Jede dritte Gemeinde hat angekündigt, die Gebühren für die eigenen Friedhöfe spätestens bis zum Jahresende zu erhöhen. Das geht aus der aktuellen Kommunenstudie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft „Ernst & Young" (EY) hervor. Nur von steigenden Grundsteuern und Kita-Gebühren sind bundesweit noch mehr Gemeinden betroffen.

Das Problem sind nicht allein die hohen Gebühren, weiß Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur. Hinzu kämen die großen Missverhältnisse. „In manchen Gemeinden steigen die Gebühren exorbitant, in anderen wiederum gar nicht." Das liege daran, dass Städte und Gemeinden ganz unterschiedliche Handlungsspielräume hätten.

Schuld daran könnten bestimmte Muster bei der Verschuldung sein. Der EY-Studie zufolge öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich auch bei den deutschen Städten und Gemeinden immer weiter. Das zeigen die Zahlen aus 2015 für Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern. Kommunen mit einer ohnehin schon niedrigen Pro-Kopf-Verschuldung konnten ihr Defizit im Zeitverlauf häufig weiter abbauen. In Gemeinden mit einer hohen Pro-Kopf-Verschuldung wuchs der Schuldenberg hingegen in der Regel weiter an.

„Zwischen Deutschlands Kommunen ist die Zweiklassengesellschaft längst Realität", sagt Bernhard Lorentz, bei EY zuständig für den öffentlichen Sektor. Es sei zwar gesetzlich geregelt, dass kommunale Gebühren kostendeckend sein sollen. Allerdings gebe es Spielräume bei der Kalkulation von Abgaben - etwa für Müllabfuhr, Abwasser oder eben auch Friedhofsplätze. So müssten nicht immer die vollen tatsächlichen Kosten durch Gebühren gedeckt werden.

Es zeige sich immer wieder, dass es bei der Höhe der Gebühren für ein und dieselbe Leistung zwischen einzelnen Kommunen erhebliche Unterschiede gebe. Der Grund: „Anders als wohlhabende Kommunen haben finanzschwache Gemeinden kaum Möglichkeiten, Gebühren durch Quersubvention künstlich niedrig zu halten", sagt Lorentz.

Vervierfachung der Gebühren von einem Tag zum anderen

Bislang decken die Friedhofsgebühren nur selten die anfallenden Kosten. Die Friedhöfe ziehen die Kommunen damit weiter ins Minus. „Vielen fällt nichts Besseres ein als drastische Gebührenerhöhungen", sagt Alexander Helbach vom Verein Aeternitas, einer Verbraucherinitiative für Bestattungskultur. Das werde das Problem weiter verschärfen. Denn so würden Alternativen zum heimischen Friedhof noch attraktiver. Und weniger Beerdigungen würden wiederum noch weniger Einnahmen bedeuten. „Ein Teufelskreis."

Die Kommunen versuchen es trotzdem. Sie veranschlagen von heute auf morgen mitunter das Vierfache für Friedhofsleistungen. „In solchen Extremfällen wurde häufig versäumt, die Gebühren regelmäßig anzupassen", sagt Helbach. Und plötzlich würden die Gemeinden merken, wie defizitär das Geschäft mit den Friedhöfen ist.

So auch im niedersächsischen Steyerberg. Hier hat der Gemeinderat eine Beratungsfirma beauftragt, die die Nutzungsgebühren für die kommunalen Friedhofskapellen der Gemeinde neu berechnete. Das Ergebnis kam kurz vor Weihnachten, nach mehreren Monaten Arbeitszeit: Mehr als 1000 Euro müssten die Bewohner künftig berappen, wenn die Trauerfeier kein Minusgeschäft mehr für den Gemeindehaushalt sein soll. Bislang waren es lediglich rund 290 Euro.

Die Erhöhung ist dort beschlossene Sache. Ab 2018 wird der volle Betrag fällig, in diesem Jahr steigen die Gebühren schon so stark an, dass zumindest 40 Prozent der Ausgaben gedeckt sind. „Die Kosten laufen davon", sagt Michael Hollstein, Bürgermeister des Ortsteils Deblinghausen. Die Dörfer müssten sich dann irgendwie selbst um ihre Beerdigungen kümmern oder die Nutzungsrate erhöhen. Motto: „Sterben für den Haushalt".

In Berlin zeigt sich die ganze Absurdität der unterschiedlichen Friedhofstaxen. Der Hauptstadt sind sogar ihre eigenen Friedhofsgebühren zu hoch. Einige Berliner Bezirke schieben ihre Toten, für die der Bezirk zunächst aufkommen muss, auf günstigere Friedhöfe der Stadt ab. Verstorbene aus Marzahn-Hellersdorf oder Pankow finden ihre letzte Ruhe meistens auf dem katholischen Alten Domfriedhof St. Hedwig in Berlin-Mitte. Dort liegen die Mittellosen dann zwischen dem Hotelier Lorenz Adlon oder der Zirkusdirektorin Therese Renz.

Der Grund: Die Kirchengemeinden würden einfach geringere Gebühren erheben, sagt Frank Petersen, Sprecher des Bezirks Mahrzahn-Hellersdorf. „Wir sind an ein wirtschaftliches Handeln gebunden." Wenn sich keine Angehörigen zu einem Verstorbenen finden lassen, wird die Beerdigung ein Fall für das Ordnungs- oder Gesundheitsamt. Das ist dazu angehalten, den Verstorbenen möglichst günstig beizusetzen. Lassen sich nämlich keine zahlungspflichtigen Angehörigen finden, bleibt der Bezirk auf den Kosten sitzen.

Ob der Verstorbene nun gläubiger Katholik oder Atheist war, spielt für die Berliner Verwaltungen dabei keine Rolle. Es gebe allerdings auch Ausnahmen: So werden Muslime auf islamischen Grabstätten in Spandau beigesetzt. Oder aber das zuständige Amt berücksichtige den letzten Wunsch des Angehörigen. In manchen Fällen sollen auch Nachbarn eines Verstorbenen zusammengelegt haben, um ihn in der Nähe zu halten, sagt Petersen. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf war im vergangenen Jahr für 135 Beisetzungen zuständig. Das Gesundheitsamt in Pankow musste sich sogar um 179 Bestattungen kümmern.

Doch auch wenn Angehörige da sind, fehlt es immer häufiger an Geld für eine Bestattung. Das belegen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Im Jahr 2015 waren über 23.000 Menschen auf finanzielle Unterstützung bei einer Beisetzung angewiesen. Die deutschen Sozialämter halfen mit insgesamt 61,7 Millionen Euro aus - rund 4,5 Millionen mehr als noch im Jahr 2010.

Manche Familien kennen den Verstorbenen gar nicht richtig Oliver Wirthmann sieht deshalb eine andere Alternative auf dem Vormarsch: anonyme Feuerbestattungen. Die Verstorbenen bekommen keinen Grabstein, kein zugeordnetes Grab. Ihre Urne liegt stattdessen neben anderen unter einer Rasenfläche. Das spart Kosten. Familienmitglieder wissen dann aber nicht, wo genau ihr Angehöriger liegt.

Die Bestattungsfirma Berolina Sargdiscount hat sich auf solche Bestattungen mit Tiefpreisgarantie spezialisiert. Ab 525 Euro bekommen die Kunden ein Komplettpaket für eine anonyme Feuerbestattung - und zwar in Osteuropa. „Wir weichen in vielen Fällen nach Tschechien aus", sagt Chef Hartmut Woite. Dort sei es recht erträglich. Kremiert wird der Verstorbene in Vysocani, nahe der deutschen Grenze.

Gegen einen Aufpreis geht es aber auch in Berlin oder Brandenburg. Und sollte jemand günstiger sein als Woite, lässt er noch einmal 30 Euro nach. „Oft ist die Situation der Familie so, dass sie den Verstorbenen gar nicht kennt", sagt Woite. Einen teuren Friedhof zu bezahlen, begeistere dann niemanden.

Kunden, wie Paul Holz sie hat, sind für die Stadt Bochum kein Problem. Ein regelmäßiger Austausch mit Bestattern lasse vermuten, dass die Wohnortnähe immer noch entscheidend sei bei der Suche nach dem richtigen Friedhof. Dennoch könne es vorkommen, dass Angehörige die Nachbarstadt wählen - nämlich dann, wenn diese besondere Grabarten anbietet, darunter pflegearme Gräber. Das stehe im Vordergrund, und nicht die „teilweise sogar höhere Gebühr".

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