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Ach so, Satire

Wenn es um Brüste geht, dann können sich Benni und Dennis vor Lachen kaum mehr halten. Die beiden Zwillinge sind YouTube-Stars, laden mehrmals die Woche Videos hoch. Und darin zeigen sie alles, was sie so im Netz finden – Hass, Beleidigungen und eben Brüste.

In einer ihrer letzten Ausgaben hat es ihnen die üppige Oberweite von Moderatorin Barbara Schöneberger angetan. „Barbaras Titten sind der Wahnsinn“, liest einer der eineiigen Zwillinge vor. Er zitiert dabei den Kommentar eines Nutzers, den er auf YouTube gefunden hat. Es ist einer der harmloseren, verglichen mit denen, die noch folgen werden.

Benni und Dennis finden das lustig. Sie sitzen schenkelklopfend daneben. Doch wer dahinter nun ein neues, kommerziell orientiertes Unterschichten-Format vermutet, der irrt sich. Die Zwillinge gehören zu ARD und ZDF. Mit ihrem YouTube-Kanal „World Wide Wohnzimmer“ sind sie Teil des neuen Jugendprogramms der öffentlich-rechtlichen Sender. Es heißt Funk und richtet sich an 14- bis 29-Jährige.


Mehr Geschmacklosigkeiten als Informationsgehalt

Für ARD und ZDF ist das, was die Zwillinge da machen, Satire. Förderungswürdige Satire. Benni, Dennis und ein paar Dutzend weitere Videomacher werden von den Öffentlich-Rechtlichen mit Millionen Euro im Jahr subventioniert.

Damit wollen die Sender ein junges Publikum ansprechen, das für das klassische, das sogenannte lineare Fernsehen kaum mehr zu erreichen ist. Dass die Auftragnehmer in ihren Clips zuweilen mehr Geschmacklosigkeiten als Informationsgehalt zu bieten haben, stört die Verantwortlichen offenbar nicht weiter.

Benni und Dennis etwa kommentierten „mit spitzer Zunge“, heißt es auf der Website von Funk. Mit dem Vorlesen von Inhalten aus dem Netz wollensich die Macher gegen Hasskommentare einsetzen. „Die Grundidee entspricht völlig unserer Haltung“, sagt eine Funk-Sprecherin.

Wochenlang war das Video auf YouTube frei zugänglich, bis zuletzt wurde es über 100.000 Mal angeklickt. Doch offenbar war der Schöneberger-Clip den Programmverantwortlichen nun doch zu spitz. Nach einer Anfrage der „Welt am Sonntag“ in der vorvergangenen Woche wurde das Video binnen weniger Stunden gelöscht. Entschieden hat darüber der SWR, gemeinsam mit den Verantwortlichen von Funk. Der SWR hat die Federführung für das Jugendprogramm übernommen.


Jugendschützer stehen Programm offen gegenüber

Und auch ein weiteres Video, in dem die Zwillinge sexistische Kommentare über Sängerin Lena Meyer-Landrut vorlesen, ist inzwischen nicht mehr aufrufbar. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass hier offensichtlich die Ablehnung gegenüber derartigen Hasskommentaren nicht klar genug gekennzeichnet wurde“, sagt eine Funk-Sprecherin. Die entsprechenden Passagen könnten von Zuschauern außerhalb der Community falsch verstanden werden, vor allem auch von sehr jungen Zuschauern.

Vom Lena-Clip ist nur noch ein 40-sekündiger Zusammenschnitt auf Twitter übergeblieben. War der Originalbeitrag nun jugendgefährdend? Eine Twitter-Sequenz genüge jedenfalls nicht, um das seriös zu beurteilen, sagen Jugendschützer. „Zumindest im gezeigten Ausschnitt findet keine deutliche Einordnung statt“, erklärt Anja Zimmermann, Referentin für Internetdienste bei jugendschutz.net. Es sei daher folgerichtig, dass das Video entfernt wurde.

Insgesamt stehen Jugendschützer dem Programm aufgeschlossen gegenüber. Schließlich werde jüngeren Menschen damit ein zeitgemäßes und zielgruppenorientiertes Angebot gemacht, sagt Kai Hanke, Medienexperte des Deutschen Kinderhilfswerks.

„World Wide Wohnzimmer“ steche dabei als besonders provokant heraus. „Es als Satire zu erkennen, ist teilweise sicherlich schwierig, für Jugendliche als auch für Erwachsene“, sagt Hanke. Allerdings könne man im Grundsatz davon ausgehen, dass Kinder ab 14 Jahren durchaus in der Lage sind, Satire zu erkennen.


Das Internet ins Fernsehen bringen

Erst im Oktober gingen ARD und ZDF mit Funk an den Start. Dahinter steht der Versuch, die fernsehscheue Jugend da abzuholen, wo sie sich heute herumtreibt: im Internet. Die öffentlich-rechtlichen Sender holten sich 40 verschiedene „Creators“ ins Haus, wie es im Jargon des Jugendprogramms heißt. Die produzieren Videos für die sozialen Netzwerke – maßgeschneidert für Facebook, Instagram, Snapchat, YouTube. Gebündelt werden die Inhalte auf einer eigenen Website und in einer App.

Bei der Gestaltung der Inhalte hätten die Künstler große kreative Freiheiten. „Wir steuern die Inhalte über die Auswahl der Formate“, sagt eine Funk-Sprecherin. Und die sind in drei verschiedene Kategorien eingeteilt: informieren, orientieren und unterhalten. Zur Unterhaltung zählen derzeit genauso viele Formate wie zu den anderen beiden Kategorien zusammen.

Die Zahl der Creators ist mittlerweile auf insgesamt 60 angewachsen. Neben Benni und Dennis gibt es da noch Serafina, die ihr ganzes Leben live auf Snapchat und Instagram teilt. Oder das Format „Auf Klo“, das Toilettengespräche zweier junger Frauen wiedergibt. Bei „Musstewissen“ wiederum helfen die Moderatoren mit den Mathe-Hausaufgaben. Und im Format „Fickt euch“ klärt Kristina alle Fragen zum Thema Sex – und zwar, wie die Macher des Formats schwärmen, „offen und tabulos“.

Seit 104 Tagen gebührenfinanziert

Den öffentlich-rechtlichen Sendern sind die Formate jährlich rund 45 Millionen Euro wert. Geld, das aus den Zwangsgebühren, dem Rundfunkbeitrag, kommt. Um diese Summe aufzubringen, haben ARD und ZDF zwei Sparten-Kanäle geopfert. EinsPlus und ZDFkultur wurden eingestellt. Auch Benni und Dennis bekommen ihren Teil aus dem Millionentopf – womit die Zwillinge bereitwillig kokettieren. „Seit 104 Tagen gebührenfinanziert“, steht auf einer Tafel, die prominent an der Studiowand platziert ist.

Freuen dürfte das nicht nur Benni und Dennis selbst, sondern auch die großen Plattformanbieter. Jeder Klick auf die Videos spült mehr Geld in die Kassen von YouTube, Facebook & Co. Der Gebührenzahler zahlt, die Jugendlichen klicken – und die Giganten aus der digitalen Welt verdienen. Wettbewerbsexperten sehen das äußerst kritisch. „Es ist sehr problematisch, dass der deutsche Gebührenzahler die Gewinne von Googleund anderen mitfinanziert“, sagt Justus Haucap, Wirtschaftsprofessor aus Düsseldorf und ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission. „Diese Unternehmen benötigen wirklich keine Subventionen, auch keine indirekten.“


Keine Werbung, keine Produktplatzierungen

Haucap kann hinter dem Jugendangebot auch keine Notwendigkeit erkennen. „Es gibt bei YouTube und anderswo eine sehr breite Angebots-Vielfalt.“ Weniger einzuwenden hätte der Experte, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender ihre ohnehin schon produzierten Sendungen hochladen würden. „Aber hier werden ja faktisch extra Sendungen für diese Kanäle produziert“, sagt Haucap. „Einen öffentlich-rechtlichen YouTube-Kanal benötigen wir nicht.“

Die öffentlich-rechtlichen Sender begreifen aber genau das als ihren Auftrag. Ziel des Jugendangebots von ARD und ZDF sei es, ein „identitäts- und demokratiestiftendes, meinungsbildendes Angebot zu machen“, hieß es schon im Konzeptentwurf vom Mai 2015. Die Jugendlichen würden im Netz aber nicht gezielt nach neuen Angeboten von ARD und ZDF suchen. Deshalb müsste die Verbreitung auf Drittplattformen im Vordergrund stehen – also da, wo die Jugendlichen ohnehin schon sind.

Der Unterschied zu kommerziellen Formaten: In den Funk-Videos selbst gebe es keine Werbung und keine Produktplatzierungen. „Wir ermöglichen also jungen Talenten, Inhalte zu erstellen, die unabhängig von finanziellen Einflüssen sind“, heißt es bei Funk.


SWR kündigt Gespräche an

Die jungen Nutzer scheinen das Jugendprogramm bislang gut anzunehmen. Bis zum März konnten die Formate allein auf YouTube insgesamt über zwei Millionen Abonnements verbuchen, seit dem Start sammelten sich dort zudem mehr als 100 Millionen Klicks an. Den Machern ist das nicht genug: „Wir wissen, dass da noch einiges geht.“ Das Programm werde sich im Laufe des Jahres weiter verändern. „Einige Formate werden wir einstellen, einige neu starten“, sagt eine Funk-Sprecherin.

Wie lange Benni und Dennis noch dabei sein werden, wollten die Macher nicht verraten: „Die vertraglichen Einzelheiten unterliegen der Vertraulichkeit.“ Die Zwillinge stießen erst im Januar zur Funk-Familie. Das Interesse sei damals gegenseitig vorhanden gewesen, heißt es.Mit den Zwillingen wollen die Programmverantwortlichen von Funk und SWR jedenfalls nun noch einmal reden. Man will besprechen, wie „Satire unmissverständlich als solche gekennzeichnet werden muss und welche Grenzüberschreitungen nicht tolerabel sind“, heißt es auf Anfrage. Vom Format seien die Verantwortlichen aber weiterhin überzeugt.


„World Wide Wohnzimmer“ trifft bald auf Schöneberger

Und damit sind die nicht allein. Denn „World Wide Wohnzimmer“ ist für den diesjährigen Webvideopreis Deutschland nominiert – als bestes Comedy-Format. Bestimmt hat das eine Jury. „Nicht jugendfreie Inhalte treten immer wieder mal auf“, sagt Markus Hündgen, Geschäftsführer der European Web Video Academy, die den Webvideopreis ausrichtet. „Sie fließen dann nicht in die Bewertung eines Nominierten ein.“ Nur wenn das Gesamtkonzept darauf abziele, jugendgefährdende Inhalte zu verbreiten, werde ein Format vom Wettbewerb ausgeschlossen.

Ob sich der Preis mit dem Vorlesen sexistischer Kommentare oder Zigaretten-Tests gewinnen lässt, klärt sich am ersten Juni, . Moderieren wird die Veranstaltung ausgerechnet Barbara Schöneberger. Was sie von „World Wide Wohnzimmer“ hält, mochte Schöneberger auf Anfrage nicht beantworten.

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