München - Transsexualität ist auch in der aufgeklärten Gesellschaft von heute oft noch ein Tabuthema. Zwei ehemalige Frauen erzählen von ihrem schweren Weg zum anderen Geschlecht.
Breitbeinig sitzen die beiden jungen Männer auf ihren Stühlen. Thomas hat sich heute nicht rasiert, er trägt einen Dreitagebart. Das wirkt männlich - und männlich hat sich der 22-Jährige schon immer gefühlt. Das ging auch Stefan so, der neben ihm sitzt. Doch beide sind im falschen Körper geboren worden - als Mädchen. Jetzt sind sie das, was sie schon immer sein wollten: Männer.
Mit ihrem Schicksal sind die beiden nicht alleine: Rund 10.000 Deutsche haben seit 1995 ihre Geschlechtszugehörigkeit amtlich geändert. Diese Zahl sei jedoch nicht repräsentativ für die Transsexuellen in der Bundesrepublik, sagt Helma Alter von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Denn viele Betroffene outen sich nicht und verheimlichen ihre wahre Identität. „Es gibt eine viel höhere Dunkelziffer", sagt die Beraterin. „Ich schätze es gibt drei Mal mehr Transsexuelle in Deutschland, als die offiziellen Zahlen belegen."
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fühlt sich für das Thema nicht zuständigTranssexualismus ist die dauerhafte Gewissheit, sich dem biologisch anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen. Thomas und Stefan sind Transmänner, sie waren einst Frauen. Statistisch tritt jedoch häufiger der Fall auf, dass sich eine Frau als Mann fühlt als umgekehrt. Die zwei jungen Männer konnten ihre Situation lange nicht einordnen: „Ich fühlte mich schief, aber einem Namen konnte ich dem Ganzen nicht geben", sagt der 23-jährige Stefan. Thomas ging es ähnlich. Schon als Kinder spürten beide, dass etwas nicht stimmte - den Begriff Transsexualität lernten sie viel später kennen.
„Heute sehen sie, dass ich als Stefan glücklich bin"Thomas und Stefan sagen heute, dass sie Hilfe und mehr Informationen gebraucht hätten. Erst das Buch „Blaue Augen bleiben blau" von Balian Buschbaum war für sie ein Anhaltspunkt. Der ehemalige Stabhochspringer ist selbst transsexuell und beschreibt im Buch seinen langen Weg von Yvonne zu Balian. „Ich fand mich an vielen Stellen wieder", erzählt Thomas. Sie merkten, dass sie nicht die Einzigen sind, die sich im falschen Körper fühlen. Daraufhin recherchierten die Männer im Netz, informierten sich über Transsexualität. Irgendwann wusste Stefan: „Ich bin nicht verflucht, ich bin nur Trans."
Heute gehen beide offen mit ihrer Geschichte um. Sie hoffen, dass Transsexualität so mehr Akzeptanz in der Gesellschaft findet. Auch ihre Familien hatten zunächst große Schwierigkeiten, ihr Outing zu verstehen. „Für meine Eltern ist eine Welt zusammengebrochen", erinnert sich Stefan. Für ihn war das unverständlich, schließlich sei es doch egal, ob er nun der Sohn sei oder die Tochter. Doch es brauchte Zeit, bis sich die Familie an das alles gewöhnte. „Heute sehen sie, dass ich als Stefan glücklich bin", sagt der 23-Jährige. Auch Thomas' Familie akzeptiert den neuen Lebensweg.
Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine BehandlungEin wichtiger Schritt für die beiden Männer war die offizielle Namensänderung in ihren Personalausweisen: Aus Stefanie wurde Stefan, aus Andrea wurde Thomas. In Deutschland ist das seit 1980 durch das Transsexuellengesetz möglich. Die Rechtslage erlaubt Transsexuellen die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde. Voraussetzung ist, dass sich der Betroffene seit mindestens drei Jahren im falschen Körper fühlt. Zwei Gutachten müssen belegen, dass der Wunsch dem anderen Geschlecht zuzugehören, sich wahrscheinlich nicht mehr verändert. Auf Thomas' Ausweis steht seit Mai 2011 der neue Name. „Die erste neue Unterschrift war ein Befreiungsschlag für mich", erzählt der 22-jährige Werkzeugmechaniker.
Transsexualismus gilt nach der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten als Geschlechtsidentitätsstörung. Deswegen übernehmen die Krankenkassen in Deutschland die Kosten für die Behandlung. Bevor die Betroffenen jedoch medizinische Schritte gehen, müssen sie zuvor psychologisch untersucht werden. Dazu gehört die Alltagserprobung der neuen Geschlechtsrolle. Erst nach einem Gutachten eines Psychotherapeuten können die Betroffenen mit einer Hormonbehandlung beginnen.
Eine Geschlechtsangleichung ist unumkehrbarThomas nimmt seit Februar 2011 Testosteron. Viele Transsexuelle wollen sich auch körperlich dem gewünschten Geschlecht möglichst annähern. Geschlechtsangleichende operative Maßnahmen sind sowohl von Mann zu Frau als auch umgekehrt durchführbar. Thomas hat sich im letzten Jahr die Brust entfernen lassen. Stefans Mastektomie, so nennt sich eine Brustamputation, ist erst einige Wochen her. Der 22-Jährige Thomas zieht sein T-Shirt hoch und präsentiert seinen behaarten Männerkörper: „Ich kann mich im Schwimmbad zeigen, oder?", fragt er und lacht.
Im nächsten Jahr wollen beide Männer eine geschlechtsangleichende Genitaloperation durchführen lassen. Heutzutage ist es möglich, ein Glied aus bestehender Vagina, Implantaten und eigenem Körpergewebe aufzubauen - oder eine Vagina aus dem Penisschaft zu formen. Allerdings: Eine Geschlechtsangleichung ist unumkehrbar.
Der Münchner Urologe Bernhard Liedl ist Experte auf dem Gebiet. Er sagt: „Wenn sich irgendwelche Zweifel an der Diagnose ergeben, operiere ich nicht." Die jungen Transmänner sind sich sicher, dass sie nun das richtige Geschlecht haben. Eine Operation sei daher der nächste logische Schritt: „Ich will meinen Namen endlich in den Schnee pinkeln können", sagt Thomas. Endlich als Mann zu leben, das sei pure Freude.
Von Laura Díaz und Lisa Philippen